DOMRADIO.DE: Ralph Brinkhaus löst den seit 2005 amtierenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, ab. Viele Journalisten und Politikexperten sehen darin auch eine herbe Niederlage für Kanzlerin Angela Merkel, die zuvor noch klar für Volker Kauder geworben hatte. Ist die Wahl von Ralph Brinkhaus der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkels?
Dr. Andreas Püttmann (Katholischer Politologe und Publizist): Das scheint mir doch eine etwas plumpe und eindimensionale Lesart zu sein, auch wenn das jetzt von allen Dächern verkündet wird. Denn es gab ja sehr unterschiedliche Gründe dafür, Herrn Brinkhaus zu wählen. Nicht nur, um der Kanzlerin eins auszuwischen, sondern: Es kam nicht jeder zurecht mit dem Führungsstil von Herrn Kauder, der manchen als etwas ruppig galt. Andere wiederum wollten ein Signal frischen Windes setzen, gerade in Ergänzung zur erfahrenen Kanzlerin, um die weitere Kanzlerschaft so zu unterstützen. Und wieder andere haben sich vielleicht gedacht: Es sieht eh nicht nach einem klaren Sieg von Kauder aus. Wenn der dann mit zwei blauen Augen als gedemütigter Sieger da rauskommt, wird die Lage noch schwieriger und man sagt: Merkel hält den Laden nicht mehr zusammen, alles geht den Bach runter. Dann wähle ich doch lieber gleich Brinkhaus, damit wir wenigstens den positiven Effekt von Überraschung und frischer Luft haben.
Es gibt also verschiedene Motive. Zudem muss man sagen, dass die echten Merkel-Kritiker bei den Wahlen zum stellvertretenden Fraktionsvorsitz die schwächsten Ergebnisse erzielt haben. Ich warne daher vor dieser einseitigen Anti-Merkel-Lesart. Bei der Prognose zur "Kanzlerdämmerung" sollte man beachten, dass die Bevölkerung noch zu 46 Prozent mit Frau Merkel zufrieden ist, und das nach 13 Jahren - zum Vergleich: Herr Macron liegt nach kurzer Zeit schon nur noch bei 30 Prozent. Dass die CSU wahrscheinlich, wenn am Wahlabend im Oktober der Gewinn- und Verlustbalken um zehn Prozent herrunter geht, Herrn Seehofer opfern wird, der ja wesentlich für die Krisen dieser Koalition steht, dürfte die Lage auch entspannen. Und es ist keine richtige Konkurrenz in der Union in Sicht. Auch Herr Brinkhaus hat kein Interesse daran, dass jetzt zu schnell ein Kanzlerwechsel kommt. Selbst wenn er eigene Ambitionen hätte, müsste er sich ja doch erstmal längere Zeit bewähren.
Ich sehe das Ende der Kanzlerschaft also noch nicht - außer im Horizont der zwei, drei Jahre, die Frau Merkel selbst genannt hat. Dabei wird sie vielleicht Interesse haben, den Stabwechsel schon vor den Wahlen zu vollziehen, um ihre Nachfolgerin oder ihren Nachfolger mit dem Amtsbonus auszustatten.
DOMRADIO.DE: Kommen wir noch mal auf Ralph Brinkhaus zu sprechen. Der konnte ja vor allem Gegner der Politik Merkels hinter sich bringen und wirbt um Verständnis für die Wähler, die sich von der CDU abgewandt haben. Wie, denken Sie, wird er sich künftig in seiner neuen Rolle positionieren?
Püttmann: "Vor allem Gegner" Merkels hat er, würde ich sagen, nicht unbedingt hinter sich gebracht. Er hat nur ziemlich sicher fast alle Stimmen der Gegner Merkels bekommen. Aber das hätte bei weitem nicht gereicht, um über 50 Prozent zu kommen. Es gibt ja viele Motive, ihn und nicht Kauder zu wählen. Und es haben ihn ja fast 50 Prozent der Fraktion nicht gewählt. Es ist ihm jetzt sehr anzuraten, sich loyal zu präsentieren. Im Übrigen, glaube ich, ist das auch seine Überzeugung. Er ist nie als ausgesprochener Merkel-Gegner aufgefallen - höchstens durch den einen oder anderen sachlichen Widerspruch.
Also ist meine erste Erwartung: Er wird Merkel loyal sein. Die zweite ist aber: Er wird sich sachlich-thematisch durchaus auch unabhängig präsentieren, im Sinne eines eigenen Profils von CDU/CSU. Also vielleicht etwas weniger als Herr Kauder als Koalitionär und etwas mehr als profilierter Sprecher christdemokratischer Programmatik. Und er wird in der Tat versuchen, den Teil der AfD-Anhänger, die nicht rechtsradikal sind, wiederzugewinnen. Er hat ja dafür auch eine gewisse Glaubwürdigkeit als Kritiker der Euro-Rettungspolitik. Er wird als Finanz- und Wirtschaftsexperte vielleicht auch versuchen, den ein oder anderen von der FDP zurückzugewinnen. Das wird so etwa sein Kurs sein. Er ist ein sehr sachorientierter Politiker.
DOMRADIO.DE: Also sehen Sie Chancen, dass er vielleicht den einen oder anderen Wähler zurückholen kann?
Püttmann: Ich denke schon, dass ihm das gelingen kann. Allerdings warne ich davor, von der AfD-Klientel zu viel zu erhoffen. Wir sehen ja gerade, dass die CSU damit krachend gescheitert ist. Denn ein Großteil der AfD-Wähler ist zu fanatisch und verbohrt, um sich von irgendwelchen leicht justierten Politikangeboten der sogenannten Alt- und Systemparteien wieder zurückholen zu lassen.
DOMRADIO.DE: Brinkhaus gilt ja eher als wirtschaftsliberal, zeigt sich skeptisch gegenüber einer Erhöhung der Sozialleistungen. Was könnte das bedeuten für die Koalition mit der SPD?
Püttmann: Er muss kooperativ mit der SPD umgehen. Das hat er auch schon angekündigt. Weil er trotz seines wirtschaftsliberalen und auch durchaus konservativen Profils - etwa bei der "Ehe für alle", wo er dagegen gestimmt hat - ja nur mit einer linken Partei regieren kann. Die Zeiten für Schwarz-Gelb, wofür er ja eigentlich stünde, sind definitiv auf lange Frist vorbei. CDU, CSU und FDP kommen jetzt zusammen auf weniger als 40 Prozent. Deswegen wird es nur Konstellationen entweder mit den Sozialdemokraten oder den Grünen geben. Und er wird deshalb versuchen, Profil zu zeigen, ohne einen Dauerkrach zu provozieren. Denn man weiß genau, dass der beim Wähler schadet. Das sieht man ja jedes Mal in der Demoskopie, dass es nach Koalitonskrisen regelrechte Einbrüche gibt. Ich sehe also Brinkhaus' Zusammenarbeit mit der SPD nicht als so problematisch an.
DOMRADIO.DE: Volker Kauder war ja bekennender Protestant. Mit Ralph Brinkhaus kommt nun ein Katholik aus Ostwestfalen in die Position des Fraktionsvorsitzenden, der ja eher als konservativ gilt. Sie haben im Januar in Berlin einen Vortrag im Kardinal-Höffner-Kreis der CDU gehalten, wo Brinkhaus ja auch anwesend war. Wie schätzen Sie ihn als Katholik ein?
Püttmann: Im Höffner-Kreis finden sich dezidiert christliche, meist katholische Abgeordnete zusammen. Und wenn da von 246 Fraktionsmitgliedern immerhin zehn Prozent an einem eng durchgetakteten Tag zu einem Vortrag kommen, dann spricht das für ein bewusst christliches Selbstverständnis. Brinkhaus ist nicht nur in diesem Kreis, sondern auch im Stephanuskreis Mitglied. Das heißt, man kann bei ihm schon davon ausgehen, dass das "katholisch" nicht nur in den Papieren steht.
Allerdings muss man sehen: Konfessionelle Aspekte spielen keine so große Rolle, wie das teilweise dargestellt wird. Nach der Papst-Kritik von Angela Merkel 2009 haben alle angefangen zu zählen, wie viele Protestanten und Katholiken da sind. Da gab es in der Tat bis auf Peter Altmaier im Kabinett und an der Spitze von Fraktion und Partei fast nur Protestanten. Das war aber eigentlich mehr ein Zufall, keine gezielte Personalpolitik.
Jetzt haben wir fast nur Katholiken. Frau von der Leyen ist neben Frau Merkel die einzige Christdemokratin im Kabinett, die evangelisch ist. Die Bundesregierung wird von Katholiken bevölkert wie lange nicht. Das ist aber heutzutage bei den meisten Fragen sekundär. Da ist die Politik-Ökumene der kirchlichen Ökumene voraus. Die ethischen Konflikte gehen ja auch quer durch die Konfessionen. Insofern registriert man zwar, dass an der CDU-Spitze wieder mehr Katholiken sind, aber ich würde das nicht überbewerten.
Das Interview führte Moritz Dege.