Seit Jahren verliert die katholische Kirche in Deutschland stetig Mitglieder. Die Zahl der Priester sinkt. Und die finanziellen Rücklagen haben keine Ewigkeitsgarantie. In vielen Bistümern laufen deswegen Überlegungen, wie sich Seelsorge und kirchliche Strukturen in Zukunft noch aufrechterhalten lassen. Schmerzhafte Einschnitte stehen bevor. Unlängst erst kündigte das Erzbistum Freiburg an, bis Jahresbeginn 2026 aus 1.000 Pfarreien 36 zu machen.
Beschwerdebriefe an Papst Franziskus
Im Bistum Aachen gibt es ähnliche Pläne. Hier läuft der Prozess zur Strukturreform unter der Überschrift "Heute bei dir". Heute außer sich sind derzeit allerdings viele engagierte Katholiken im Bistum. Gleich zwei Briefe gingen dieser Tage an den Vatikan. Darin bitten die Verfasser Papst Franziskus, "dem Bischof von Aachen Einhalt zu gebieten und ihn zur pastoralen Vernunft zu bringen".
Was ist geschehen? Zum Jahreswechsel unterzeichnete Bischof Helmut Dieser ein Dekret, das bis spätestens Januar 2025 die Einrichtung von 44 "Pastoralen Räumen" vorsieht. Dieser Schritt, so schildert es Dieter Verheyen, kam für Eingeweihte wenig überraschend. Als Mitglied der Initiative "Kirche Bleibt Hier" war Verheyen an den monatelangen Vorgesprächen beteiligt. "Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet: Wie viele Kirchengemeinden bleiben in den Pastoralen Räumen noch übrig?"
Aus 326 Pfarreien sollen acht Großpfarreien entstehen
Bischof Dieser plant, aus den bislang bestehenden 326 Pfarreien acht Großpfarreien mit bis zu 140.000 Katholiken zu bilden. Daran scheiden sich die Geister. "Was passiert mit den Vermögen der bisherigen Pfarreien?", will Verheyen wissen. Ganz zu schweigen von den Konsequenzen für die Menschen vor Ort. Vor allem auf dem Land verlören die Menschen den Kontakt zur Kirche. Bereits 2019 hat Verheyen mit anderen Kirchenvorständen "Kirche bleibt hier" gegründet, um den Prozess "Heute bei dir" kritisch und konstruktiv zu begleiten, wie er sagt.
"In brennender Sorge um das Seelenheil"
Die Initiative stehe inzwischen mit 270 Kirchenvorständen in Kontakt, mit 140 Gemeinden pflege man einen regelmäßigen Austausch. "Wir haben uns Sorgen gemacht und um Antworten gebeten", sagt Verheyen. Aber das Bistum habe kaum reagiert. Deswegen nun der Brief an Papst Franziskus, seinen Botschafter in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, sowie an die für den Klerus zuständige Vatikanbehörde. Man wende sich "in brennender Sorge um das Seelenheil der katholischen Christen im Bistum Aachen" an die Verantwortungsträger in Rom, heißt es darin.
Ähnliche Töne schlägt ein weiterer Brief an, der an den gleichen Verteiler ging. Den Anstoß zu diesem Schreiben gaben Anita Zucketto-Debour vom Vorstand des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Aachen und Wilfried Hammers, Mitglied des Pastoralteams von Sankt Josef in Herzogenrath-Straß. Zu den 35 weiteren Unterzeichnern gehören Priester, pastorale Mitarbeiterinnen, Religionslehrer und Ehrenamtliche. Die Pläne des Bischofs seien "allenfalls dazu angetan, die Wirtschaftlichkeit des Bistums zu stabilisieren", heißt es in dem Brief. "Reformen im Sinne der Glaubensvermittlung und dessen Weitergabe an zukünftige Generationen sind sie aber gewiss nicht."
Anfrage ans Bistum bleibt unbeantwortet
Was sagt das Bistum zu alledem? Eine Anfrage zu einer Stellungnahme blieb am Wochenende unbeantwortet. In der "Aachener Zeitung", die am Samstag zuerst über den Vorgang berichtete, wird die Pressestelle mit den Worten zitiert, dass das Dekret zur Errichtung der Pastoralen Räume "nach Abstimmung der jeweiligen regionalen Pastoralräte" erfolgt sei. Nun werde über die weitere Entwicklung der acht Großpfarreien beraten. Bischof Dieser selbst reagierte laut Zeitung gelassen auf die Kritik an dem bisherigen Ablauf der Strukturreform. "In dieser betont synodalen Ausrichtung meines Bischofsamtes fühle ich mich von Papst Franziskus inspiriert und ermutigt."
Wunsch nach Optimierung der Strukturreform
Anita Zucketto-Debour nimmt das anders wahr. "Das war alles mäßig synodal", sagt sie. Das Klima der bisherigen Beratungen umschreibt sie so: "Wir diskutieren so lange, bis alle 'im Konsent' die Meinung des Bischofs akzeptieren." Mit den Briefen wolle man die Notbremse ziehen. Sie hofft, dass der Vatikan in Aachen ähnlich wie in Trier eingreift. Dort musste das Bistum aufgrund von Beschwerden seine Strukturreform nachbessern.
Für Aachen haben Verheyen und seine Unterstützer einen konkreten Vorschlag ausgearbeitet: Eine Reduzierung auf 85 Pfarreien mit maximal 25.000 Mitgliedern, welche wie bisher deckungsgleich mit den staatlich verfassten Kirchengemeinden sein sollten. Deren Bedarf an Priestern ließe sich auch in den nächsten zehn bis 20 Jahren abdecken. Die Geistlichen wiederum würden nicht zu "liturgischen Erfüllungsgehilfen" ihrer acht Mitbrüder degradiert, die an der Spitze der vom Bistum vorgesehenen Großpfarreien stünden.
Und dann gäbe es da noch einen grundsätzlichen Aspekt, den Verheyen in seinem Brief an den Vatikan so umschreibt: Es sei nicht nachvollziehbar, wieso jedes Bistum seine eigene Strukturreform machen müsse, wenn es bereits Modelle wie das schlussendlich in Trier umgesetzte gebe. "Dies hätte auch den Vorteil, dass deutschlandweit - wie in der Vergangenheit auch - vergleichbare ähnliche Strukturen bestünden und die katholischen Christen insgesamt wieder ein Verständnis des Aufbaus der katholischen Kirche in den jeweiligen Bistümern in Deutschland hätten."