Nur wenige Tage vor dem Beginn der weltweit größten Parlamentswahl haben in safrangelben Hemden und Schals gekleidete Hindus im Süden Indiens eine katholische Schule zerstört und einen Priester angegriffen. Anschläge auf Christen wie auch auf die muslimische Minderheit sind im Indien von Premierminister Narendra Modi Alltag. Trotzdem gehen Indien-Kenner nicht davon aus, dass diese religiöse Intoleranz den 73-Jährigen möglicherweise den dritten Wahlsieg in Folge kosten könnte. Eher im Gegenteil. 80 Prozent der Inder sind Hindus – und Umfragen zufolge sind 75 Prozent der Inder sehr zufrieden mit Modi.
Der Premier und seine Indische Volkspartei (BJP) stehen fest auf dem Fundament der Hindutva-Ideologie. Indien, so die Hindutva, müsse auf Grundlage eines kulturellen, religiösen und politischen Hinduismus regiert werden. Im Weltbild der Hindu-Nationalisten sind Islam und Christentum ausländische, also un-indische Religionen.
Der BJP sei es in der vergangenen Dekade gelungen, eine nationale hinduistische Identität zu schaffen, "die als Gegenbild zu einer jahrhundertelangen Besetzung durch muslimische und britische Invasoren inszeniert wird", heißt es im jüngsten Report der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Neu Delhi; er trägt den Titel: "Der Unbesiegbare gegen die Uneinigen". Der Befund: "In der öffentlichen Wahrnehmung verschwimmen die Grenzen zwischen Hindutva und Hinduismus zusehends, so dass viele Inder beide Begriffe als praktisch austauschbar verstehen und jede Kritik der Hindutva zugleich auch als Kritik am Hinduismus interpretieren."
150 Wähler mehr als beim letzten Mal
Die Wahl ab Freitag (19. April) ist ein Mega-Ereignis: 969 Millionen Wähler – 150 Millionen mehr als bei der vergangenen Wahl – bestimmen bis 1. Juni in sieben Phasen die 543 Abgeordneten des "Lok Sabah" genannten Unterhauses.
Die Wahl könnte in die Geschichte als die absolute und möglicherweise endgültige Niederlage der oppositionellen Kongress-Partei eingehen. Die Partei der Polit-Dynastie der Gandhis und Nehrus als Gründer des säkularen Indien hat seit ihrer Niederlage gegen den populistischen Modi 2014 kein Rezept gegen den Hindu-Nationalismus gefunden. Hindutva, so Oppositionsführer Rahul Gandhi (53), stehe für Gewalt und Hass und könne nicht mit dem Hinduismus gleichgesetzt werden. Dafür wird Gandhi von der BJP-Propaganda als "Anti-Hindu" gebrandmarkt.
Das von der Kongress-Partei geführte Oppositionsbündnis "INDIA" hat die BJP erfolgreich gespalten. Zahlreiche Politiker und Parteien der Opposition sind zuletzt zur BJP-geführten Parteienallianz NDA übergelaufen. So manches Mal waren den Übertritten Anklagen wegen Korruption vorausgegangen – die dann plötzlich im Sande verliefen. Zudem ist INDIA mit sich selbst nicht im Reinen. Das einzige, was die 26 Parteien verbindet, ist der gemeinsame Feind BJP.
Taktik gegen religiöse Minderheiten
Die Taktik des "spalte und herrsche" setzt Modi auch gegen die von seinen Hindutva-Extremisten verfolgten religiösen Minderheiten ein. Und auch bei den Stimmen der Minderheiten ist die Lage der INDIA-Allianz keineswegs rosig. "Während sich die Oppositionsführer und -parteien um eine gemeinsame Wahlstrategie stritten, konzentrierte sich Premierminister Modi darauf, auf ausgewählte Minderheiten zuzugehen", heißt es in dem KAS-Report.
So habe Modi beim Weihnachtsempfang für Bischöfe der christlichen Konfessionen vor den Augen vieler Journalisten und Kamera-Teams seine enge Verbundenheit mit dem Christentum und die große Bedeutung der Christen für Indiens Gesellschaft betont.
Scharf gehen die Hindu-Nationalisten gegen die muslimische Minderheit vor. Im Wahlkampf hetzten Modi und die BJP gegen Muslime. Auf der anderen Seite hat der Premier mit dem gesetzlichen Verbot des islamischen Scheidungsrechts die Rechte muslimischer Frauen gestärkt. Modi, so die Adenauer-Stiftung, brauche zwar die Minderheitenstimmen nicht, um die Wahlen zu gewinnen. Aber mit solchen Maßnahmen könne er sich als tolerant präsentieren und großflächige Stimmenverluste an die Opposition verhindern.
Das Wahlergebnis wird zwar erst am 4. Juni mitgeteilt. Seine Siegesfeier hat Modi aber schon jetzt zu einem "zweiten Holi-Fest" erklärt. Mit Holi feiern Hindus den Triumph des Guten über das Böse.