DOMRADIO.DE: An diesem Donnerstag wird Ihr Buch "#Out in Church. Für eine Kirche ohne Angst" vorgestellt. Bevor wir darüber sprechen, gucken wir noch mal zurück auf das vergangene Jahr und die Initiative #OutInChurch. Sie haben vor gut einem Jahr mit dem Religionspädagogen und Gemeindereferenten Jens Ehebrecht-Zumsande eine erste Videokonferenz auf die Beine gestellt, mit 90 Betroffenen, allesamt bei der katholischen Kirche beschäftigt, ehrenamtlich oder fest angestellt. Was hat Sie vor einem Jahr zu diesem Schritt bewegt?
Bernd Mönkebüscher (Katholischer Pfarrer aus Hamm, Initiator von #OutInChurch und Mitherausgeber des Buches #OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst): Auslösend war die Aktion #ActOut der 185 Schauspieler:innen, die sich am 5. Februar in der Süddeutschen Zeitung geoutet haben. Jens und ich haben uns dann über soziale Medien ausgetauscht und gesagt, so etwas müsste es auch in der katholischen Kirche geben. Dann ging ein Chat hin und her und andere beteiligten sich. Irgendwann war dann die Frage von mir im Raum: Machen wir es, wer nimmt es in die Hand? Und dann haben Jens und ich es in die Hand genommen: erstmal in dem Umfeld, in dem wir uns bewegen, Menschen, die wir kennen, einzuladen zu einer ersten digitalen Konferenz, die dann am 19. Februar stattfand, mit zunächst ungefähr 90 Teilnehmenden. Wobei man sagen muss, dass 1/3 von ihnen damals verpixelt und ohne Klarnamen teilgenommen hat - was den Untertitel des Buches rechtfertigt; für eine Kirche ohne Angst.
DOMRADIO.DE: Mit Ihrem Engagement haben Sie einen großen Stein ins Rollen gebracht. Wie erleichtert sind Sie über diesen Schritt?
Mönkebüscher: Ich persönlich habe mich 2019 geoutet und habe das keine Sekunde bereut. Ich hatte es nicht zu hoffen gewagt, dass im Raum Kirche so ein Schritt möglich wäre - mit einer so großen Anzahl von Menschen, die sich geoutet haben. Umso schöner, dass er möglich geworden ist. Und für die Menschen, die dies getan haben ist es ist größtenteils etwas, was jemand in der ARD-Doku am Ende so schön beschrieb als "in das Land der Freiheit gekommen zu sein". Dieses Empfinden teilen viele, die sich geoutet haben.
Andererseits steht auf der anderen Seite die Reaktion der Amtskirche, der Bischöfe, der Generalvikare, die sich einen Tag nach #OutInChurch, also am 26. Januar, furchtbar queer-freundlich gaben. Und wo wir das Gefühl haben - und ich glaube auch das nicht unberechtigte Gefühl - es sind erstmal Vertröstungen, es wird alles langgezogen, es sind eigentlich so lange unverbindliche Worte, solange sie nicht in Recht gegossen sind. Zumindest wenn es zum Beispiel das Arbeitsrecht angeht.
DOMRADIO.DE: Wie hat sich denn Ihr Leben seitdem verändert? Spüren Sie überhaupt etwas?
Mönkebüscher: Was ich persönlich nicht so im Blick hatte, dass ich durch diese Aktion gemerkt habe, wie sehr es um Verwundungen geht. Das erzählen auch andere, die dabei mitmachen aus den Wochen danach. Jetzt ist Retraumatisierung ein sehr hohes Wort, aber es geht darum, wie sehr Menschen etwas von sich preisgeben, was sie jahrzehntelang verwundet hat, verletzt hat, diskriminiert hat. Wir reden ja hier auch über Diskriminierung. Und da hat dieser Schritt nach außen doch nochmal vielfach Wunden gerissen. Das kann ich für mich auch sagen. Also, das sind ja Lebensgeschichten von Menschen, die teils 50 Jahre, 60 Jahre und älter sind, natürlich auch Jüngere - aber die eben viele Jahre oder Jahrzehnte in Angst verbracht haben; in Angst um ihren Job, in Angst, entdeckt zu werden, erkannt zu werden.
DOMRADIO.DE: Nach der ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" erscheint jetzt das Buch #OutInChurch. Für eine Kirche der Freiheit und Vielfalt. Sie sind einer der fünf Herausgeber. Worum geht es jetzt in diesem Buch?
Mönkebüscher: Das Buch hat im Wesentlichen vier Teile. In einem relativ kurzen Teil wird die Aktion #OutInChurch nochmal vorgestellt, das Manifest und sieben Kernforderungen, die wir formuliert haben. Dann gibt es Zeugnisse von Menschen in der Pastoral oder auch im Schuldienst - also Religionslehrerinnen und Religionslehrer - die von sich und ihrem Leben erzählen, wie sie die Jahre erlebt haben. Dann gibt es einen systemisch kirchlichen Teil, wo aus kirchlicher, pastoral-theologischer Sicht auf Coming-out und das Verstecken geschaut wird. Also was bedeutet das eigentlich auch für eine Kirche, wo Menschen nicht offen zu sich stehen können, sich zeigen können? Was bedeutet es, wenn man immer im Verborgenen leben muss, sich einschließt?
Wir hatten ja letzten Sonntag so ein schönes Evangelium dazu: Die Jünger schließen sich aus Angst ein und Jesus bricht dann doch ein. Es gibt die pastoral-psychologischen Perspektiven. Also, was bedeutet das für die Seele? Was bedeutet es psychisch in einer heteronormativen Welt zu leben und sich da auch wieder zu verbergen? Und es gibt auch nochmal kirchenpolitische Perspektiven - Generalvikar Klaus Pfeffer hat dazu einen Beitrag geschrieben. Es gibt solidarische Bekundungen und auch Perspektiven aus der Weltkirche, weil ja immer gesagt wird, das sind deutsche Themen. Um zu zeigen, dass sich in anderen Ländern natürlich diese Fragen genauso stellen.
DOMRADIO.DE: Sie werden das Buch in einem digitalen Format am Donnerstag vorstellen. Dazu wird es eine Podiumsdiskussion geben mit dem Mitinitiator von #OutInChurch, Jens Ehebrecht-Zumsande und der Religionswissenschaftlerin Veronika Gräwe. Rechnen Sie da auch mit kritischen Bemerkungen oder kommen die dann eher im Nachzug in den sozialen Medien?
Mönkebüscher: Kritische Bemerkungen sind natürlich ehrlich gesagt willkommen, denn es geht ja um eine Auseinandersetzung. Was nutzt es, wenn jeder seine Sachen in die Welt posaunt und es berührt sich nichts. Dann verändert sich ja auch nichts. Aber leider empfinde ich es so, dass kritische Auseinandersetzungen gerne anonym geschehen. Es kommt dann nicht wirklich zu einem Dialog, zu einer Auseinandersetzung, sondern jeder ist in seiner Blase und verstärkt sich dann gegenseitig. Das kann man in den sozialen Medien beobachten, dass es dann nicht wirklich zu einem Dialog kommt oder wenn, dass er dann sehr persönlich und sehr verletzend wird. Das bringt dann auch nichts.
Man muss allerdings auch sagen, was mich noch mal nachdenklich gemacht hat: Es gibt von dem Mainzer Moraltheologen Stephan Goertz eine Äußerung - er sagt: Viele Theologinnen und Theologen reden seit Jahrzehnten schon über das, was im Grunde inhaltlich auch #OutInChurch bewegt und antreibt. Man wird von der Amtskirche nicht gehört. Und es kommt jetzt zu einer Kampagne und sie erregt zumindest erstmal eine große öffentliche Aufmerksamkeit. Wo auch noch mal deutlich wird: Innerkirchlich gelingt ja der Dialog auch.
Das Interview führte Tobias Fricke.