Inklusive Flutopferhilfe hilft Behinderten im Flutgebiet

"Sie kamen nicht mehr von A nach B"

Die Flut im Juli 2021 war für alle Betroffenen belastend. Auf besondere Hilfe jedoch waren und sind Menschen mit Behinderung angewiesen. Die "Inklusive Flutopferhilfe" unterstützt sie. Welche Hilfe ist konkret gefragt?

Blick ins Flutgebiet nach der Hochwasserkatastrophe an der Ahr / © Julia Steinbrecht (KNA)
Blick ins Flutgebiet nach der Hochwasserkatastrophe an der Ahr / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Auch Menschen mit Behinderung sind natürlich von der Flutkatastrophe betroffen gewesen. Was unterscheidet die Hilfe für einen Sehbehinderten von der für einen Normalsichtigen?

Michael Schmidt / © Hildegard Mathies (Katholisches Stadtdekanat Köln)

Michael Schmidt (Leiter des Koordinationsbüros "Inklusive Flutopferhilfe" des Stadtdekanats Köln): Ich setze mich speziell für die von der Flut betroffenen Menschen mit Behinderungen und Familien mit behinderten Angehörigen ein. Bei Sehbehinderten ist das natürlich schon sehr speziell. Nehmen Sie Bad Neuenahr-Ahrweiler, wo ganze Infrastrukturen zerstört wurden und wo blinde Menschen, die sich vorher dort bewegen konnten, nichts mehr ohne Begleitung tun können. Der öffentliche Verkehr war zusammengebrochen, das heißt, sie kamen gar nicht mehr von A nach B. Sie brauchten jemanden, der sie zur Arbeit brachte und zu ihren Freizeitveranstaltungen, wenn es diese überhaupt noch gab.

DOMRADIO.DE: Und diese Leute haben Sie dann zum Beispiel vermittelt?

Schmidt: Ganz genau. Es gibt auch Behindertenseelsorge-Bereiche, in diesem Fall zum Beispiel im Bistum Trier, die sich speziell um diese Menschen gekümmert haben. Aber wo es diese Ansprechpartner gab, konnten wir unsere Hilfestellung anbieten.

DOMRADIO.DE: Wenn zum Beispiel das Auto bei der Flut kaputt gegangen wäre, hätte man sich relativ unkompliziert ein neues kaufen oder leihen können. Für Menschen mit Behinderungen sah das sicher anders aus. Hatten Sie auch mit Schwierigkeiten dieser Art zu tun?

Schmidt: Ja, hatten wir auch. Es gibt eine Flüchtlingsfamilie, die einen behinderten Sohn hat. Der brauchte regelmäßige Gesundheitsversorgung, regelmäßige medizinische Untersuchungen in der nahgelegenen Uniklinik. Der Familienvater war daran interessiert, ein neues Auto anzuschaffen, weil das alte mit der Flut abgesoffen ist und hat über einen Verein für Spendengelder aufgerufen. Wir konnten zusammen mit der Stiftung einen Großteil der Finanzierung dieses Autos übernehmen.

DOMRADIO.DE: Ihre inklusive Fluthilfe gibt es seit Oktober und sie wird unter anderem von der Behindertenseelsorge des Erzbistums Köln unterstützt. Sie sind an die Gemeinde St. Georg angegliedert, die mit hörgeschädigten Menschen zusammenarbeitet. Was für spezifische Schwierigkeiten hatten diese Menschen?

Schmidt: Wir hatten tatsächlich eine betroffene Familie aus Erftstadt, bei der Garten und Kellergeschoss unter Wasser standen und der wir in vielfältiger Weise geholfen haben. Ich war bei der Online-Beantragung des Wiederaufbaus und bei der Ausfüllung der Anträge dabei. Aber auch jetzt bei der Sanierung des Kellergeschoss bin ich zusammen mit einem aus dem Netzwerk stammenden Baufachmann vor Ort, um mit den Handwerkern in Kommunikation zu treten und der Mutter, die hörbehindert ist, zu helfen.

DOMRADIO.DE: Erst greifen Versicherungen, dann staatliche Hilfen und erst dann kommen Spenden. Fließen die Hilfsgelder schnell und unkompliziert oder war das zum Teil sehr kompliziert?

Schmidt: Das läuft mehr schlecht als gut. Also es ist tatsächlich so, dass Spendengelder erst ausgezahlt werden, wenn Landesmittel oder Mittel der Versicherung gezahlt sind. Das nennt man das Prinzip der Nachrangigkeit. Und sie bekommen für die Haussanierung vom Wiederaufbaufonds 80 Prozent ersetzt. Das heißt, bei diesen fehlenden 20 Prozent bemühen sich die Hilfsorganisationen, weiterzuhelfen und diese aufzufangen.

Aber auch dieses Prozedere ist eine langwierige Beantragung, denn auch die Hilfsorganisationen müssen den Nachweis erbringen, dass es sich hier um eine Familie handelt, die bedürftig ist und betroffen ist und dieses Geld zurecht bekommt. Manche Familien beantragen Mittel nicht nur bei der Caritas, sondern auch bei den Maltesern und bei der Arbeiterwohlfahrt. Da gibt es die sogenannte "Phoenix-Datenbank", bei der man einen Abgleich machen kann, wer schon Gelder bekommen hat.

DOMRADIO.DE: Sie nehmen morgen an dem öffentlichen Gedenken im Kurpark von Bad Neuenahr teil, das der Kreis Ahrweiler ausrichtet. Da soll der Zusammenhalt im Vordergrund stehen. Warum finden Sie es wichtig, dabei zu sein?

Schmidt: Einmal natürlich, weil ich mich die ganze Zeit  mit diesem Thema auseinandergesetzt habe. Ich werde auch vormittags noch die besagte Familie mit dem behindertengerechten Fahrzeug besuchen, denn da geht es auch darum: Wie finden sie jetzt eine neue Wohnung? Dann will der Familienvater hier eine Berufslaufbahn weiter fortführen, die er in seinem Herkunftsland angefangen hat, die hier aber nicht anerkannt wird.

Zudem war es mir wichtig, wenn ich jetzt schon mal vor Ort bin, auch diese Veranstaltung zu besuchen. Ich kenne mittlerweile mehrere Helfende vor Ort, weil ich mit denen Kontakt hatte oder weil ich an sie vermittelt habe, wenn ich aus Köln nicht so schnell wegkomme. Ich denke, dass ich dort auch  manche Betroffene wiedertreffen werde.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR
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