DOMRADIO.DE: Seit vergangener Woche überlagert das Missbrauchsthema inhaltlich das Familientreffen in Dublin. Inwieweit spüren Sie das bei dem Treffen?
Heiner Koch (Erzbischof von Berlin und Vorsitzender der Kommission für Ehe und Familie der Deutschen Bischofskonferenz): Wir spüren es natürlich deutlich: Die veränderte kirchliche und gesellschaftliche Situation in Irland überschattet vieles, aber dies bringt im Grunde die Auseinandersetzung mit den Themen Kirche und Familie und "Amoris laetitia" erst richtig zur Geltung.
DOMRADIO.DE: Es hat in dem Lehrschreiben um einige Stellen weltweit kontroverse Debatten gegeben. Ein Stichwort ist der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Wird das Familientreffen bei so einem Thema zur Klärung beitragen können?
Koch: Es ist erstaunlich, dass dieses Thema speziell hier eher Randthema ist. "Amoris laetitia" ist ja sehr viel breiter und viel größer aufgestellt. Es geht hier vor allen Dingen um die Freude an und in der Familie, und dies wird sehr stark in allen möglichen Varianten thematisiert. Diese Frage, die Sie ansprachen, ist ja eine Folgefrage. Wenn man grundsätzlich das christliche Ehe- und Familienverständnis sieht und wahrnimmt und bejaht, muss man zunächst fragen: Was meint das eigentlich?
Gerade hier in Irland – aber auch in der gesellschaftlichen Situation vieler Länder weltweit – ist unklar, was das christliche Ehe-Sakrament ist und was es für Christen bedeutet, als Ehe und Familie zu leben. Wie stellen uns hier diese grundsätzlichen Fragen, nicht nur soziologisch-institutionell, sondern aus dem Evangelium heraus. Hier geht es sehr stark um diese Grundsatzfragen. Erst wenn diese geklärt sind, wird man andere Fragen beantworten können.
DOMRADIO.DE: Kardinal Schönborn hat bereits auf dem Weltfamilientreffen kritisiert, die Kirche würde zu viel über Sexualität sprechen. Als in Deutschland der Missbrauchsskandal ans Tageslicht gekommen war, hatte Erzbischof Zollitsch angeregt, man müsse in der Kirche mehr über Sexualität sprechen. Wer hat denn nun Recht und wie viel wird darüber wirklich bei dem Treffen gesprochen?
Koch: Für uns ist Sexualität eine in die gesamte Persönlichkeit integrierte Lebenswirklichkeit. Natürlich gehört Sexualität zum Thema "Ehe und Familie" dazu. Aber die Loslösung von Familie und Menschsein – das war ja das Thema – wird hier klar gesehen und kritisch beurteilt.
DOMRADIO.DE: Welche persönlichen Ziele haben Sie auf diese Reise nach Dublin mitgenommen?
Koch: Zunächst ist der Austausch mit Bischöfen und Familien aus anderen Ländern und Kulturen sehr interessant. Man merkt, dass viele Probleme für uns ganz wichtig, in manchen Ländern aber gar keine Hauptprobleme sind.
Das zweite ist, ich bemerke hier eine gute Öffnung der Kirche. Ich habe schon mehrere Weltfamilientage mitgemacht, aber so kontrovers und vielseitig zusammengesetzt wie in Dublin waren die Weltfamilientage bisher nicht. Da zeigt sich deutlich die Haltung von Papst Franziskus und der unterstützenden Bischöfe und Familien.
Das dritte ist eine enorme Gastfreundschaft. Die Kirche von Irland ist froh, dass wir da sind. Wir helfen ihr sicherlich dabei, die Situation mutig anzugehen, aber sie stellt sie auch vor große Probleme. Insgesamt herrscht hier eine heitere Stimmung.
DOMRADIO.DE: Es gab diese Woche 37.000 Dauergäste. Morgen soll sich die Zahl fast verdoppeln, da gibt es eine Familienmesse mit Papst Franziskus. Das wird ein konzert-ähnliches Ereignis, viele Künstler werden erwartet. Glauben Sie, dass da noch Zeit für ernste Gespräche bleibt?
Koch: Der Kongress endet heute Abend. Er bot viele Gespräche, Diskussionen, Foren. In den nächsten Tagen steht sicherlich das Feiern und Zusammensein stärker im Vordergrund, aber es wird kein blindes Feiern sein. Es wird sicherlich auch Kräfte geben, die demonstrativ kritische Fragen stellen. Und es wird bei allen sicherlich eine Freude nicht ohne Belastung sein – nicht nur mit Blick auf die Vergangenheit, sondern auf die Frage hin: Wohin gehen wir als Kirche, als Familie?
DOMRADIO.DE: Was ist für sie das wichtigste Ergebnis des Treffens?
Koch: Das wichtigste Ergebnis für mich ist die Vergewisserung, was für uns Christen das Besondere an Ehe und Familie ist. Dass beides zur Freude des Evangeliums gehört. Dass sie eben nicht nur gesellschaftliche und anthropologische Wirklichkeit sind, sondern ein Stück Lebenswirklichkeit Gottes, in der wir stehen. Die Tiefe des Evangeliums, auch in Bezug auf Ehe und Familie, wird hier sichtbar. Nicht umsonst sind die tiefsten und wichtigsten Programmpunkte nach meinem Empfinden kleine Gottesdienste.
Das Gespräch führte Dagmar Peters.