Integrationsbeauftragte lobt großes Ukraine-Engagement

"Man spürt so sehr ihre Trauer und Verzweiflung"

Auch nach über 70 Tagen Krieg helfen immer noch viele Ehrenamtler in den Gemeinden mit guten Ideen und heißen so Geflüchtete willkommen. Was es da an Angeboten gibt, erklärt Gabriele Atug-Schmitz.

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Das Interview führte Beatrice Tomasetti
Gabriele Atug-Schmitz (Zweite von links) bei einer Frühstücksinitiative mit ukrainischen Geflüchteten in Bensberg / © Beatrice Tomasetti (DR)
Gabriele Atug-Schmitz (Zweite von links) bei einer Frühstücksinitiative mit ukrainischen Geflüchteten in Bensberg / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Frau Atug-Schmitz, seit Anfang März, als die ersten Flüchtlinge in Rhein-Berg ankamen, bündeln Sie Angebote, die die Gemeinden für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine entwickelt haben. Dabei fungieren Sie wie eine Art Drehscheibe. Wie sieht es nach zehn Wochen Krieg aus? Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den ehrenamtlichen Helfern?

Gabriele Atug-Schmitz (Integrationsbeauftragte der "Aktion Neue Nachbarn" im Kreisdekanat Rhein-Berg): Das ist schon toll: Die Bereitschaft in den Gemeinden zu helfen ist sehr groß. Zu den vielen bereits engagierten Ehrenamtlern konnten speziell für die Ukraine-Hilfe viele neue dazu gewonnen werden. An vielen Orten wurden Begegnungscafés ins Leben gerufen, die sehr gut besucht werden.

Gabriele Atug-Schmitz ist Integrationsbeauftragte der "Aktion Neue Nachbarn" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Gabriele Atug-Schmitz ist Integrationsbeauftragte der "Aktion Neue Nachbarn" / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Aus solchen Treffs entstehen dann oft wieder neue Initiativen – immer am Bedarf der Menschen orientiert. Inzwischen bieten wir gemeinsam mit dem Katholischen Bildungswerk eine erhebliche Zahl an Deutschkursen an, die sehr gefragt sind. Aber dann gibt es auch Ausflugsangebote, um die Umgebung besser kennenzulernen.

Demnächst laden wir sogar zu einem Kurs "Kindertanzen" ein, weil ein solcher Wunsch sehr konkret an uns herangetragen wurde, und wir engagieren uns bei psychologischen Angeboten für Kinder, weil viele der Menschen von einer dramatischen Fluchtgeschichte berichten oder durch die Kriegserlebnisse in ihrer Heimat spürbar traumatisiert sind. Da liegt es nahe, dass die "Aktion Neue Nachbarn" eng mit der Katholischen Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder in Bergisch Gladbach zusammenarbeitet, zumal vor allem auch den Kleinsten schnell und wirksam geholfen werden soll.

Außerdem lade ich seit 2016 einmal im Monat alle Ehrenamtsbegleiter aus den Seelsorgebereichen zu einem Jour fixe ein. Das schafft einen engen Austausch und Vernetzung – auch um zu eruieren, welchen akuten Bedarfen unsere Angebotspalette angepasst werden sollte und worauf wir reagieren müssen. Ich bin absolut dankbar, dass es diese vielen Menschen in unserem Kreisdekanat gibt, die sich engagieren und mit dem Herzen dabei sind.

Natürlich profitiert unsere Arbeit auch davon, dass wir uns untereinander meist schon viele Jahre kennen. Und ich bin froh, dass die Kirche mit diesem Engagement für die Kriegsflüchtlinge gerade wieder Boden gut machen kann, zumal karitatives Handeln nun mal zu ihrem Kerngeschäft gehört. So gesehen ist die Ukraine-Hilfe auch eine Chance für die Kirche zu zeigen, dass sie für Menschen in Not da ist und mit anpackt, wenn es um sehr konkrete Projekte geht.

DOMRADIO.DE: Zurzeit kommen immer noch mehr Menschen bei uns an, vor allem Frauen und Kinder, die über einen Verteilschlüssel von den Kommunen bewältigt werden müssen. Das heißt, es müssen Unterkünfte bereit gestellt und für die Kinder im Schulalter Plätze in Schulen, aber auch in Kitas gefunden werden, was sich als nicht ganz so einfach herausstellt. Wie viele Menschen aus der Ukraine leben zurzeit im Kreisdekanat und wo sehen Sie für die Kirche das dringendste Betätigungsfeld?

Atug-Schmitz: Allein in Bergisch Gladbach leben zurzeit etwa 1.000 Geflüchtete aus der Ukraine. Die Dunkelziffer mag da noch weitaus höher liegen, weil viele bei Bekannten untergekommen und nicht offiziell registriert sind. Dass allein Dreiviertel dieser Menschen in privaten Haushalten aufgenommen wurde, hat es so noch nicht gegeben, bringt aber eben auch Herausforderungen mit sich.

Die Aufgabe der Kirche besteht darin, eine Willkommenskultur zu schaffen und neben den Türen auch Ohren und Herzen zu öffnen. Wir von Kirche sind eben einfach da, hören zu und sind Ansprechpartner für Wünsche. Über die "Aktion Neue Nachbarn" stehen finanzielle und personelle Ressourcen bereit.

Wir schaffen – gleich im doppelten Wortsinn – Begegnungsräume innerhalb der Gruppe der Ukrainer, aber auch zwischen Ukrainern und Deutschen, und wir sorgen für die entsprechenden Rahmenbedingungen, dass sie an die Kirchengemeinden andocken können, weil viele bleiben werden. Auch wenn die meisten zurück in ihre Heimat wolle, denn die Ukrainer haben eine große Liebe zu ihrem Land.

Besonders herausfordernd wird es außerdem sein, wenn die ersten Todesnachrichten kommen: von Ehemänner, Vätern und Söhnen. Auch auf dieses Leid müssen wir vorbereitet sein und reagieren können. Grundsätzlich gilt: Wir haben ein offenes Herz.

DOMRADIO.DE: Welchen Eindruck haben Sie von den Menschen, die ihre Heimat und eigentlich ihr ganzes Leben, vor allem auch Angehörige – Väter und Söhne – in zerstörten Städten zurücklassen mussten?

Atug-Schmitz: Für mich ist immer sehr berührend und auch traurig, wenn die Frauen von ihren Angehörigen sprechen, die gerade die Ukraine nicht verlassen dürfen und ihre Städte mit Waffen in der Hand verteidigen. In solchen Gesprächen entsteht immer eine besondere Nähe, auch weil für die Frauen meist noch keine Gelegenheit war, ihre persönliche Geschichte zu erzählen. Man spürt so sehr ihre Trauer und Verzweiflung.

Was wir uns immer wieder klar machen müssen: Diese Menschen hatten ja bis vor kurzem noch ein Leben wie wir. Die meisten erleben das, was jetzt passiert, eher wie im Film: als irreal. Noch immer können sie nicht glauben, was da in der Ukraine gerade passiert. Und die Gefühle dieser Menschen mitzuerleben lässt einen nicht kalt. Ich sehe, dass sie nonstop Kontakt mit der Heimat halten und in einem permanenten Angstzustand leben. Tag und Nacht sind sie mit ihren Gedanken in der Ukraine.

DOMRADIO.DE: Im Moment mehren sich die Stimmen, die berichten, dass die vielen Ehrenamtler auch an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoßen. Gastgeber von Privatunterkünften sprechen von ersten – auch kulturbedingten – Schwierigkeiten im Zusammenleben. Wie begegnen Sie solchen Ermüdungserscheinungen, oder sind das nur Einzelstimmen?

Atug-Schmitz: Das sind in der Tat eher Einzelstimmen. Eigentlich bekomme ich viele Rückmeldungen, dass es sehr gut klappt. Und selbst wenn nicht: Unsere Aufgabe besteht darin, Menschen, die sich ehrenamtlich für die Geflüchteten engagieren – aber für andere Ehrenamtler gilt das gleichermaßen – zu stärken. Daher gibt es auch Basisschulungen für sie, in denen es um Ehrenamt und Abgrenzung oder die Themen von Nähe und Distanz geht.

Hier werden unter Anleitung auch kulturelle Unterschiede thematisiert. Oder wir überlegen in konkreten Fällen, wer dazu geholt werden muss, um Hilfestellung zu geben, wenn es um Überforderung geht. Persönlich bin ich davon überzeugt: Es gibt immer einen Weg, das akute Problem zu lösen.

Natürlich kann es – gerade auch bei der privaten Aufnahme von Geflüchteten – unterschiedliche Erwartungen geben. So hat die Familie in anderen Kulturkreisen unter Umständen auch einen anderen Stellenwert. Es gibt so vieles, was wir von den Menschen, die zu uns kommen – 2015 war es ja eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Ethnien – nicht wissen.

Gabriele Atug-Schmitz (rechts) mit einer ukrainischen Dolmetscherin / © Beatrice Tomasetti (DR)
Gabriele Atug-Schmitz (rechts) mit einer ukrainischen Dolmetscherin / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Diesmal ist es so, dass wir uns dem ukrainischen Volk sicher näher fühlen, weil es ein Teil von Europa ist und es widerrechtlich angegriffen wurde. Vielleicht ist deshalb auch die Hilfsbereitschaft so groß. Grundsätzlich lässt sich aber sagen: Die Mehrheit unserer Gesellschaft reagiert sehr positiv auf die Neuankommenden und unterstützt unsere Arbeit.

Aber natürlich: Wenn sich jemand sechs oder acht fremde Menschen, vor allem auch kleine Kinder, mit nach Hause nimmt, kann er sich trotz guten Willens auch schon mal übernehmen. Aber das ist nach meiner Erfahrung eher selten. Unterm Strich bin ich stolz auf das, was wir als Gemeinschaft gerade stemmen.

DOMRADIO.DE: Hilft es, dass Sie bereits bei der Flüchtlingskrise 2015 Strukturen aufbauen konnten, auf die Sie heute zurückgreifen können und so das Rad nicht neu erfinden müssen?

Atug-Schmitz: Absolut. Das ist sogar eine riesige Hilfe. Wir haben nicht nur gute Kontakte innerhalb der Kirchengemeinden, sondern auch zur Stadt und zum Kreis, die sich durch ein kollegiales Miteinander auszeichnen. Die Ehrenamtsbegleiter in den Gemeinden, mit denen ich mich – wie gesagt – regelmäßig austausche, machen dabei eine unverzichtbare Basisarbeit. Aber ich gebe zum Beispiel zweimal monatlich einen Newsletter mit den wichtigsten Infos heraus, die für die Integrationsarbeit von ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern wichtig sein könnten, zum Beispiel wenn es politische Neuerungen oder andere wichtige Hinweise bezüglich der Gesetzeslage gibt, die bei der praktischen Arbeit im Rheinisch-Bergischen Kreis berücksichtigt werden sollten, weil sie weiterhelfen. Auch Veranstaltungen, neu entwickelte Angebote oder Tipps vom kommunalen Integrationszentrum werden hier vorgestellt. Dieser Newsletter geht an mehrere hundert Adressaten und hat sich als Medium der Vernetzung bislang sehr bewährt.

DOMRADIO.DE: Man sieht Ihnen an, dass die Arbeit der Integrationsbeauftragten nicht irgendein Job in der Kirche ist. Wie würden Sie diese Arbeit charakterisieren?

Atug-Schmitz: Eigentlich bin ich gelernte Diplom-Kommunikationswirtin. 2015 habe ich ehrenamtlich dann am Köln-Bonner Flughafen gearbeitet, als dort die ersten Flüchtlinge ankamen. Ich wollte Menschen unterstützen, die völlig neu in einem fremden Land sind. Das ist wie eine Berufung, weil ich hier viel Gutes tun kann, um Leid zu lindern.

Wenn ich in die leuchtenden Augen von Menschen schaue, die viel durchmachen mussten, aber nun mit meiner Hilfe für kurze Zeit einmal ihre Situation ausblenden können und einen Moment im Jetzt leben, ist das ein total schönes Gefühl. Ich brenne für diese Arbeit, bei der ja Werte wie Nächstenliebe eine große Motivation sind.

Hinzu kommt: Integrationsbeauftragte sind krisenerprobt und löschen akut Brandherde. Das heißt, sie schauen nicht zu sehr zurück oder sind mit zukünftigen Planungen befasst, sondern lösen die Themen im Hier und Jetzt. Flexibilität ist da ganz entscheidend. Als Corona kam, haben wir den Flüchtlingsfonds für die Coronahilfe geöffnet. Oder wir haben eine Lebensmittelverteilung organisiert, als die Tafeln geschlossen waren. Auch die Einkaufsdienste in den Gemeinden haben wir entwickelt, damit alte Menschen, die besonders geschützt werden mussten, im Lockdown zuhause versorgt werden konnten.

Was mich außerdem ganz besonders berührt, ist, dass sich viele von den Geflüchteten aus den vergangenen Jahren nun selbst als Helfer betätigen wie zum Beispiel im letzten Jahr bei der Katastrophenhilfe im Ahrtal. Oder wenn ich da an den Stammtisch arabischer muslimischer Frauen – Palästinenserinnen und Syrerinnen – in St. Laurentius, Stadtmitte, denke, die sich bei der Aktion Neue Nachbarn gemeldet haben, um jetzt bei den ankommenden Flüchtlingen aus der Ukraine zu helfen und aus eigenem Impuls zu einem Willkommenstreff mit arabischem Buffet einladen. Da spürt man eine ganz starke Solidarität zwischen den Frauen, die bei uns ganz wunderbar – und zudem noch interreligiös – angedockt sind.

Quelle:
DR
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