Islamexperte des Erzbistums Köln zum möglichen Kopftuchverbot für Mädchen

"Es bewirkt das Gegenteil"

Kopftuch für Mädchen verbieten - ja oder nein? Diese Frage stellt sich gerade wieder: Doch wie hilfreich oder schädlich ist das? Islamexperte Thomas Lemmen vom Kölner Erzbistum hat seine Zweifel bei diesem Vorstoß.

Schülerin mit Kopftuch / © Wolfram Kastl (dpa)
Schülerin mit Kopftuch / © Wolfram Kastl ( dpa )

DOMRADIO.DE: So kenne ich das aus arabischen Ländern: Erst mit Beginn der Pubertät sollen Mädchen das Kopftuch tragen. Was bedeutet das eigentlich, wenn es jetzt heißt, das Tuch für unter 14-Jährige würde zu einer Sexualisierung von Kindern führen?   

Thomas Lemmen (Referat Interreligiöser Dialog beim Erzbistum Köln): Also man muss ja sagen, diese Regeln des Islam, was Geschlechtertrennung und Geschlechterverhalten angeht, die gelten ja für Mädchen und Jungen gleichermaßen. Und grundsätzlich sagt man: Bis zur Pubertät ist alles erlaubt, was später verboten ist.

Von daher ist das ein Phänomen, was in der islamischen Welt gar nicht so bekannt ist. Ich vermute, es handelt sich dabei um den Versuch einiger, sich bewusst abzusetzen als Muslim oder Muslima von einer Umwelt, in der man nicht angekommen ist oder die man als feindlich betrachtet. 

DOMRADIO.DE: Das haben Sie jetzt erzählt, um die Motivation nachvollziehen zu können, warum Eltern ihre Kinder eben mit Kopftüchern ausstatten. Aber noch mal die Frage: Ein frühes Kopftuch würde die Kinder sexualisieren, was bedeutet das?  

Lemmen: Damit wird die Geschlechtertrennung frühzeitig in die Schule hineingetragen und damit die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Das verstehe ich unter "sexualisiert".

DOMRADIO.DE: Das heißt auch, wenn ich Sie richtig verstehe, dass sie keine religiöse Motivation dahinter sehen?

Lemmen: Ich sehe darin den Versuch der Abgrenzung über die Religion. Da ist die Religion das Mittel zum Zweck von Menschen, die sich bewusst als anders definieren und die Gesellschaft als nicht die ihre definieren. Das Phänomen beobachten wir ja nun bei Personen, die aus dem Bereich des Salafismus kommen - also einer extremen Spielart des Islamismus - und wo es sehr viel um diese äußerlichen Symbole geht, um damit die perfekt islamische Lebensweise zu demonstrieren. Das verlagert man gleichsam so früh wie möglich ins Kindesalter, um damit Kinder in diesem System aufwachsen zu lassen. Das findet man auch bei anderen nicht-muslimischen Gruppen.

DOMRADIO.DE: Um sich abzugrenzen, weil man sich nicht zuhause fühlt, weil man sich nicht wohl fühlt, weil man sich abgrenzen möchte....

Lemmen: Und sich für die bessere Gemeinschaft hält...

DOMRADIO.DE: Gibt es valide Zahlen, wie viele Menschen diese extreme Art der Abgrenzung leben? 

Lemmen: Ich bin sicher, es gibt dazu keine Zahlen. Wir wissen nur, dass es in NRW 5.000 Salafisten gibt, die als solche bekannt sind. Bei diesen Dingen ist es ja oftmals so, dass wir keine validen Zahlen, sondern eine gespürte Wahrnehmung haben. Das heißt, Salafisten verstehen es natürlich auch in die Öffentlichkeit zu gehen und öffentlichkeitswirksam aufzutreten, so dass der Eindruck entsteht, dass es viel mehr sind als in Wirklichkeit.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie sagen, dass es um Abgrenzung geht: Dann könnte ein Verbot diese Gruppe in ihrem Willen sich abzugrenzen, bestärken. Das ist doch dann eigentlich kein richtiger Weg?

Lemmen: Das Kopftuchverbot hilft bei diesen Menschen überhaupt nicht. Im Gegenteil. Es wird sie in ihrer Argumentation stärken. Verbote haben in solchen Kreisen einen bestärkenden Charakter.

Als Osama bin Laden erschossen wurde und es sollte ein öffentliches Totengebet geben, waren die Sicherheitsbehörden in einer schwierigen Situation. Wenn man es verbietet, hat man erst Recht den Märtyrer-Charakter gestärkt. Und wenn man es erlaubt, dann bietet man den Salafisten aber eine Plattform der öffentlichen Darstellung. Und so wird das dieses Mal auch sein.

DOMRADIO.DE: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, sagt, man müsse viel mehr die Eltern erreichen und die Mädchen stark machen, damit sie in der Lage sind, selber eine Entscheidung zu treffen. Ist das der bessere Weg, oder ist das genauso eine Sackgasse?  

Lemmen: Ich halte das für entscheidend richtig. Beim Kopftuch geht es auch um das Grundrecht der Religionsfreiheit, das die Eltern stellvertretend für ihre Kinder bis zur Religionsmündigkeit wahrnehmen. Wenn man da eingreift, dann ist die Frage: Wie will man das juristisch begründen? Das soll nicht meine Sorge sein. Aber ich halte es für vernünftiger präventiv daran zu arbeiten, den Familien und Kindern zu vermitteln: "Ihr seid angekommen, Ihr seid Teil dieser Gesellschaft." Und dann helfen Aussagen wie etwa "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" überhaupt nicht weiter, sondern sie bestätigen solche Abgrenzungen.

DOMRADIO.DE: Aber Sie sagen auch, dass Sie juristisch einem solchen Verbot überhaupt keine Chancen einräumen.

Lemmen: Ich bin kein Jurist, aber ich habe meine Zweifel. Was würde man dann sagen bei einem Kind, das Kippa trägt, wenn es fünf oder sechs Jahre alt ist? Würde man einem Kind, dass ein Kreuz trägt, verbieten es zu tragen? Das was für eine Religion gilt, das muss auch für eine andere gelten. Da wird man, denke ich, Schwierigkeiten haben, das zu begründen.

DOMRADIO.DE: Sie sind der Islamexperte des Erzbistums Köln. Sie haben Kontakt und sprechen viel mit Muslimen. Wie sehen die Muslime diese Diskussion?

Lemmen: Der Islamrat hat gesagt: "Weder ein Kopftuchzwang noch ein -Verbot sind der richtige Weg. Jugendliche müssen frei entscheiden. Und in dieser Entscheidungsfindung müssen sie von Familien und der Gesellschaft und den Schulen unterstützt werden. Die Muslime, denen ich begegnet bin, die haben mir in den letzten Tagen signalisiert: Sie halten ein Verbot für falsch.

Das Interview führte Andreas Lange.


Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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