In Ostdeuschland sind nur etwa knapp vier Prozent der Bevölkerung Muslime. Und die Zahlen und Aktivitäten von islamistischen Akteuren sind im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern überschaubar, hält Autor Caspar Schliephack zu Beginn der neuen Kurz-Studie "Islamismus in Ostdeutschland" fest.
Doch sei in den vergangenen zehn Jahren in diesem Bereich ein klarer Anstieg zu verzeichnen. Islamistische Akteure und Organisationen verstärken demnach ihre Aktivitäten vor Ort, gründeten Vereine, übernahmen Gebetsräume und rekrutierten Anhängerinnen und Anhänger.
Einige ostdeutsche Besonderheiten kamen ihnen dabei zu Pass, etwa dass es dort vor 2014/15 kaum oder gar keine Erfahrungswerte im Umgang mit Islamismus gegeben habe.
Einzelpersonen und informelle Netzwerke
Laut Studie umfassen die islamistischen Szenen in Ostdeutschland ein "Personenpotential" von 1.400 Menschen, davon werden 800 dem Salafismus zugeordnet, und weisen meist keine festen Organisationsstrukturen auf, sondern sind geprägt von Einzelpersonen und informellen Netzwerken.
Ausnahmen bildeten der Verein Islamische Gemeinde in Sachsen mit der Al-Rahman-Moschee in Leipzig, die vom Verfassungsschutz als ein salafistischer Hotspot eingestuft wird.
Ferner das Marwa Elsherbiny Kultur- und Bildungszentrum in Dresden und das Islamische Zentrum Fürstenwalde, beide werden der fundamentalistischen Muslimbruderschaft zugeordnet.
Vier aktuelle Trends skizziert die Analyse: Erstens seien die muslimischen Vereine und Initiativen in Ostdeutschland geprägt von Menschen, die 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Meist werden sie von Ehrenamtlichen betrieben, in der Regel ohne nachhaltige Finanzierungsmodelle, auch die Suche nach geeigneten Imamen sei schwierig.
Diese Strukturschwäche macht Schliephack als ein Einfallstor für islamistische Akteure aus, die teils über erhebliche Finanzmittel und ideologisch geschultes Personal aus dem Ausland verfügten.
Die islamistischen Aktivitäten würden teilweise flankiert von intensiven Vernetzungsbestrebungen in Politik, Zivilgesellschaft und Medien. Einerseits will man so Legitimität erlangen und andererseits in der Öffentlichkeit zu offiziellen Vertretern "des Islams" aufsteigen.
Ziel sind Erfolge im Streit um die Deutungshoheit über relevante Themen. Der Mangel an qualifizierten Imamen wirke sich darüber hinaus auch negativ auf den Bereich der Prävention von religiös begründetem Extremismus aus, insbesondere auch in Haftanstalten.
"Tiktokisierung des Extremismus"
Ein weiterer Trend, allerdings nicht spezifisch für Ostdeutschland, ist laut Studie, dass islamistische Gruppierungen das Internet und soziale Medien gezielt nutzten.
Darüber könnten auch Wohn- und Kinderzimmer ohne regionale Nähe zu extremistischen Zirkeln zu Schauplätzen der Radikalisierung werden. Der Landesverfassungsschutz in Brandenburg spricht von einer "Tiktokisierung des Extremismus", wobei der Islamismus "ein erhebliches Aktivierungspotential von Gewaltressourcen" aufweise.
Mehrere salafistische Prediger sind laut Studie in den vergangenen Jahren zu regelrechten Influencern geworden, die gezielt Schlüsselthemen wie "Lebensführung", "Demokratie" und "Integration" bespielen.
Schliephack zufolge sind auch in Ostdeutschland "zahlreiche Fälle" - genau beziffert er es nicht - bekannt geworden, in denen Menschen, oft Minderjährige, sich maßgeblich über das Internet radikalisierten.
Intensivierte Aktivitäten seit 7. Oktober
Als dritten, ebenfalls nicht spezifisch ostdeutschen Trend nennt die Studie den Umstand, dass seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 weltweit islamistische Gruppierungen ihre digitalen und analogen Aktivitäten intensiviert haben.
Sie versuchen, die Deutungshoheit über den Konflikt zu erlangen sowie ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele damit zu verknüpfen.
Es werde ein striktes Freund-Feind-Denken propagiert, in dem Jüdinnen und Juden pauschal der Feind-Kategorie zugeordnet würden. Auch in Ostdeutschland sei etwa bei pro-palästinensischen Demonstrationen ein Schulterschluss von unterschiedlichsten extremistischen Gruppierungen zu beobachten, deren gemeinsamer Konsens Antisemitismus sei.
Als vierten Trend benennt die Studie ein Erstarken der sogenannten Islamistischen Nordkaukasischen Szene (INS), die hauptsächlich aus tschetschenisch-stämmigen Personen bestehe. Die INS verfüge in vielen ostdeutschen Bundesländern über ein nennenswertes Personenpotential.
Die dortigen Verfassungsschutzbehörden gehen von etwa 150 Personen aus, plus weitere 60 aus der Berliner Szene. Gefährlich sei das besonders große Gewaltpotenzial dieser Menschen, von denen viele über Erfahrungen im bewaffneten Kampf sowie der Organisation und Durchführung von Untergrund-Aktivitäten besäßen.
Außerdem unterhielten sie Kontakte zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS), aber auch zu dschihadistischen Gruppierungen im Kaukasus, dem Mittleren Osten und Zentralasien.
Noch bestehen Möglichkeiten zur Prävention
Da die islamistische Szene in Ostdeutschland sich überwiegend in einer Phase der Etablierung und des Aufbaus befinde, sieht die Studie vielerorts noch Möglichkeiten, die Bestrebungen und Akteure zurückzudrängen. Wichtig dafür seien eine Stärkung und der Ausbau zivilgesellschaftlicher Träger zur Islamismusprävention sowie eine bessere Vernetzung der Angebote.
Vorgeschlagen wird auch die Einrichtung einer Datenbank, die Tranzparenz unter anderem über die Vorstandsmitglieder und Mittelgeber von islamischen Vereinen in Deutschland schafft.
Auch eine Stärkung des Monitorings und der Auswertung von islamistischen Online-Räumen sei notwendig. Nicht zuletzt bedürfe es der Förderung von Qualifizierungs- und Ausbildungsangeboten für Imame und muslimische Seelsorge sowie deren Finanzierung.