Islamverbänden fehlt Solidarität nach Putschversuch

Scharfe Kritik an Türkei

Zum ersten Jahrestag des Putschversuchs in der Türkei haben Politiker, Wissenschaftler und Journalisten die Entwicklung in dem Land scharf kritisiert. Sie warfen der Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan Demokratiedefizite vor. 

Versuchter Militärputsch in der Türkei / © Cem Turkel (dpa)
Versuchter Militärputsch in der Türkei / © Cem Turkel ( dpa )

Islamverbände beklagten dagegen eine "fehlende Solidarität" und eine "unterkühlte Reaktion Europas", die die "Türkeistämmigen sehr verunsichert" habe. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe mit, zwischen Januar und Juni 2017 seien 3.206 Asylanträge von Türken eingegangen.

Reporter ohne Grenzen erklärte: "Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den Ausnahmezustand für eine beispiellose Hexenjagd auf ihre Kritiker in den Medien genutzt." Die Behörden müssten Journalisten freilassen. Mit aktuell rund 165 Inhaftierten sei die Türkei das Land mit den weltweit meisten eingesperrten Medienschaffenden. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten- Verbandes, Frank Überall, appellierte auch an die Bundesregierung, weiter auf eine Freilassung hinzuwirken.

Özdemir: Opposition wurde "mundtot" gemacht

Grünen-Chef Cem Özdemir erinnerte an eine "Säuberungswelle" und Verhaftungen nach den Ereignissen von Mitte Juli 2016, die Zehntausende erfasst habe. Die Opposition sei "mundtot" gemacht worden. "Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun." Erdogan habe "tiefe Keile" in die türkische Gemeinschaft in Deutschland getrieben.

Die Hochschulrektorenkonferenz forderte die Türkei auf, "akademische Freiheiten in vollem Umfang" zu gewährleisten. Analysen zufolge wurden seit Juli vergangenen Jahres 15 Hochschulen geschlossen, fast 5.300 Hochschullehrer entlassen und mindestens 889 Hochschulangehörige festgenommen.

Islamverbände bemängeln fehlende Solidarität

Kritik am Westen kam von Islamverbänden: "Dass Europa das große Trauma des 15. Juli nicht erkannt hat, stimmt bis heute traurig", heißt es in einer Erklärung des deutsch-türkischen Moscheeverbands Ditib mit der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) und der Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa (Atib). Die Türkeidebatte sorge für "massive Irritationen", heißt es. "Die Sorgen der Menschen um die Zukunft ihres Herkunftslandes wurden zum Problem und als ein Zeichen von Illoyalität und Fremdheit gewertet."

Hinter dem Putschversuch sehen die Verbände einen "sektenähnlich formierten Parallelstaat", der nahezu den gesamten Staatsapparat "mit Seilschaften und rechtswidrigen Mitteln unterwandert hat, mit dem Ziel, die Staatsmacht - notfalls mit Gewalt - an sich zu reißen". Das Vertrauen der Türkeistämmigen in Politik und Medien sei zerrüttet. Die deutsch-türkischen Beziehungen müssten "auf das gewohnte freundschaftliche Niveau" angehoben werden.

In den vergangenen Monaten hatte es Kritik an Ditib und an der Atib gegeben, weil diese zu stark mit der türkischen Religionsbehörde verbunden seien. So sollen Imame Mitglieder der Gülen-Bewegung ausspioniert haben, die Erdogan für den gescheiterten Putsch verantwortlich macht. Die IGMG wurde lange wegen des Verdachts islamistischer und antisemitischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet. Im Verfassungsschutzbericht 2016 ist von einem Reformprozess die Rede.


Quelle:
KNA