DOMRADIO.DE: Bei Ihnen laufen die Fäden rund um das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und den Bundesfreiwilligendienst zusammen. Sie stehen also für die Freiwilligkeit. Jetzt kommt der Bundespräsident mit der Pflicht um die Ecke. Wie finden Sie das?
Heike Rieder (Geschäftsführerin des Vereins Freiwillige soziale Dienste im Erzbistum Köln): Dieser Pflichtdienst wird alle paar Jahre aus der Schublade gezogen. Das erleben wir immer wieder. Wir katholischen Träger, aber auch die anderen bundesweiten Freiwilligendienstträger sind gegen einen Pflichtdienst. Wir halten das nicht für den richtigen Ansatz.
Ich finde, das ist das falsche Signal, denn dieser Pflichtdienst bezieht sich nur auf junge Menschen. Das ist das falsche Signal an diese Generation.
Ich erlebe auch diese Generation überhaupt nicht als nicht engagiert. Das sagt auch der aktuelle Freiwilligensurvey, dass sich 42 Prozent in dieser Altersgruppe engagieren. Das ist die zweitgrößte Kohorte, Nur 44 Prozent beträgt der Anteil in der Altersgruppe darüber. Das spricht doch dafür. Die jungen Leute engagieren sich. Ich muss die nicht dazu verpflichten.
DOMRADIO.DE: Auf der anderen Seite gibt es auch eine Schulpflicht, betont der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Bei der Schulpflicht greift der Staat auch in die Selbstbestimmung von jungen Menschen ein. Hat er Unrecht?
Rieder: Bei der Schulpflicht liegt der Hintergrund auf dem Recht auf Bildung. Jetzt sind wir hier im Rahmen der Freiwilligendienste, in der außerschulischen Bildung. Es gibt ja lebenslanges Lernen, das gibt es auch für Erwachsene. Aber wo soll da die Grenze sein?
Wenn man eine Schulpflicht erfüllt hat, dann muss auch die Pflicht eines Bürgers enden. Dann muss selbstbestimmt geguckt werden, wo engagiere ich mich, wie engagiere ich mich. Und es ist ja die Bedingung für einen Freiwilligendienst, dass man die Schulpflicht erfüllt hat.
Und und passiert auch in Sportvereinen, in Jugendverbänden. Überall finden wir das. Es ist dann keine Wertschätzung dieses Engagements, wenn man das so infrage stellt, dass man eine Pflicht braucht.
DOMRADIO.DE: Hatten denn die Zivildienstleistenden früher nicht auch ihr Gutes?
Rieder: Aber natürlich. Ich habe in der Vergangenheit mit vielen Zivis gearbeitet. Auf der menschlichen Ebene sind es klasse junge Menschen, sowie auch die Freiwilligen heute klasse junge Menschen sind. Das würde ich sofort unterstreichen. Aber es ist ja ein Sinn dahinter.
Herr Steinmeier will den Pflichtdienst entweder, um ein pädagogisches Ziel zu erreichen, was ich noch nicht ganz einschätzen kann, oder, um einen Pflegenotstand oder einen Notstand in Kitas aufzufangen. Beides finde ich nicht notwendig.
Wenn man die letzten Zahlen von 2008 aus der Zeit des Zivildienstes sieht, dann waren wir unter den heutigen Zahlen der Gesamtfreiwilligen. Das waren damals 90.000, heute haben wir bundesweit über 100.000 Freiwillige. Die Zeiten der vielen Zivis lag im vorigen Jahrhundert.
DOMRADIO.DE: Die Freien Wähler in Bayern sagen, dass ein Gemeinschaftsjahr für die Krisenfestigkeit von Staat und Gesellschaft unerlässlich sei. Vermutlich gibt es auch hier keinen Konsens mit Ihnen?
Rieder: Ich glaube, das Ziel von Herrn Steinmeier ist, den Gemeinsinn zu stärken. Ich glaube nicht, dass man das verwurzeln kann, wenn die jungen Menschen das nicht freiwillig und selbstbestimmt entscheiden.
Die Idee, dass man beim Wehrdienst mehr Personen benötigt, ist auch nicht aktuell. Denn heute ist es so technisiert und fachspezifisch, dass mehr Personen nicht unbedingt hilfreich sind. Sie brauchen für den Dienst fachspezifisches Wissen. Und das ist nicht nur in der Bundeswehr so, das ist auch im Pflegebereich und in den Kitas so.
Sie können unterstützende Leistungen nicht unbedingt bis nach oben hochschrauben. Sie muss ja auch die Qualität halten. Es sind keine Fachkräfte im Freiwilligendienst. Dieser Dienst soll ein Lerndienst bleiben. Da sind junge Leute, die sich dafür entscheiden können, gut aufgehoben.
Die jungen Menschen wollen sich noch orientieren, weiterbilden, etwas lernen und sich persönlich entwickeln. Das erleben wir jedes Jahr aufs Neue, dass es eine Entwicklung dieser Menschen gibt. Das muss aber freiwillig und selbstbestimmt sein. Auch der Zeitpunkt muss selbstbestimmt sein. Es kann nämlich sein, dass jemand mit 27 Jahren das noch macht.
DOMRADIO.DE: Sie wären also nicht für die Wiedereinführung eines Pflichtdienstes. Was würde Deutschland denn voranbringen?
Rieder: Der erste Schritt müsste sein, einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst einzuführen. Das heißt, dass man den Freiwilligendienst bekannter machen muss. In NRW machen fünf Prozent der Schulabsolventen ein FSJ. Das heißt nicht, dass dies darüber hinaus keine jungen Menschen machen wollen, sondern dass es ihnen nicht bekannt ist. Das hören wir immer wieder in Schulen bei Lehrkräften.
Es muss in die Berufsfindung in den Schulen integriert werden. Dort muss auch der Freiwilligendienst mit aufgenommen werden. Das gehört für mich zwingend dazu, weil es immer eine Generation gibt, die noch Orientierung braucht.
Das ist in den anderen Bundesländern im Übrigen deutlich besser als in NRW. In Baden Württemberg machen zwölf Prozent ein FSJ. Das heißt aber nicht, dass es in Baden Württemberg mehr engagierte junge Menschen gibt. Vielmehr hat das Bundesland eine deutlich bessere Strategie, was die Wertschätzung der Freiwilligendienste angeht. Darüber waren wir auch mit NRW-Landespolitikern zu den Wahlen im Kontakt. Da finden wir auch großen Konsens in der Politik. Da muss was passieren.
Das Interview führte Tobias Fricke.