DOMRADIO.DE: Ein Selbstmordattentäter hatte am Freitagmorgen nordöstlich der Stadt Gao in dem westafrikanischen Land eine Patrouille mit einer Autobombe angegriffen. 13 UN-Soldaten wurden verletzt, zwölf Deutsche und ein Belgier. Drei Deutsche erlitten schwere Verletzungen. Christen sind in Mali mit maximal fünf Prozent eine kleine Minderheit; missio unterstützt zwei Projekte im Land. Wie beurteilen denn Ihre Partner vor Ort die UNO-Stabilisierungsmission MINUSMA?
Johannes Seibel (Pressesprecher missio): Ich denke, die Partner selbst stehen der UNO- und auch der EU-Mission relativ neutral gegenüber. Für unsere Partner sind eher die politischen Schwierigkeiten in Mali selbst das Problem. Da geht es um Dinge wie Korruption oder auch die Folgen des Klimawandels für die Gesellschaft und eben die aktuellen Konflikte.
DOMRADIO.DE: Bis 2012 galt Mali als Vorzeigeland für Frieden, Toleranz und Religionsfreiheit. Was ist seitdem schiefgelaufen?
Seibel: Ich sehe da eine Vielzahl verschiedener Entwicklungen. Eine ist sozusagen ein Problem der Verfassung: Mali ist seiner Verfassung nach ein laizistischer Staat; die Mehrzahl der Bevölkerung sind Muslime. Innerhalb des Islam hat sich in den vergangenen Jahren eine ideologische Auseinandersetzung ergeben, wie mit dieser Laizität umzugehen ist. Dabei kam es früh zur Konkurrenz zwischen einem wahabitischen Islam, einem schiitisch geprägten und einem Sufi-Islam, der traditionell in Mali beheimatet war. Es ging um die Auslegung des Islam, um die Scharia und letztlich darum, wie der Islam mit der Laizität des Staates umgeht. Das ist der eine Entwicklungsstrang.
Der zweite ist, dass es im Norden des Landes Auseinandersetzungen mit den Tuareg gab; die sozialen Konflikte rührten daher, dass sich die Tuareg schon immer marginalisiert gefühlt hatten und dann das Aufkommen des Dschihadismus als Chance sahen. Sie schlossen sich dschihadistischen Gruppen an und kämpften für einen eigenen Staat im Norden des Landes. Diese beiden großen Entwicklungsstränge haben aus unserer Sicht die Lage in Mali radikalisiert.
DOMRADIO.DE: Mali gilt als Schlüsselland für Stabilität in der gesamten Region. Inwiefern ist das wirklich so?
Seibel: Mali ist in der Tat ein Schlüsselland, allerdings nicht Mali alleine, sondern auch die umliegenden Staaten, vor allem Niger. Zum einen ist das aufgrund der Rohstoffvorkommen so; in Mali sind zum Beispiel Goldadern gefunden worden und viele Einheimische sind sehr argwöhnisch gegenüber westlichen Interventionen, weil sie dahinter auch strategische und wirtschaftliche Interessen vermuten.
Außerdem sind Mali und seine Nachbarländer ein Transitraum für die Migrationsbewegungen aus Afrika nach Europa.
Drittens bildet sich in diesem Länderkonglomerat auch eine dschihadistische Bewegung, die sich speist aus früheren Kämpfern Libyens, die viele Waffen in die Region bringen.
Für uns ist Mali auch deshalb so wichtig, weil die Religionen hier einmal gut zusammengelebt haben und die Hoffnung besteht, wieder an diese Tradition anzuknüpfen.
DOMRADIO.DE: Die Christen leben in einer absoluten Minderheitensituation. Spielen sie gesellschaftlich überhaupt eine Rolle?
Seibel: Das ist wie in anderen afrikanischen Staaten, in denen Christen die Minderheit darstellen: Sie spielen auch in Mali trotzdem eine Rolle. Sie sind stark im Gesundheitswesen, sie sind stark auch im Schulwesen und erfüllen damit eine wichtige Funktion, weil das staatliche Gesundheits- und Bildungswesen nicht mehr funktionieren und Mali zum Teil ein prekärer Staat ist. Insofern sind Christen anerkannt.
Hinzu kommt, dass, obwohl Mali ja ein laizistischer Staat ist, Politiker immer stärker versuchen, ihre Legitimation mit religiösen Stimmen zu verbinden. Und wenn Christen oder Muslime die Bevölkerung zur Mäßigung aufrufen, ist das sehr wichtig. Christen spielen also, obwohl sie in der Minderheit sind, gesellschaftlich eine wichtige Rolle. Auch im aktuellen Konflikt bieten sich die Christen immer wieder als Vermittler und Versöhner an.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihre Strategie? Wie versuchen Sie von missio in dieser Situation zu helfen?
Seibel: Wir von missio Aachen und missio München versuchen, in Mali besonders den interreligiösen Dialog zu fördern. Das ist keine naive akademische Sache. Es geht darum, junge Menschen auszubilden, die im konkreten Streitfall deeskalieren können. Die immer wieder neu dafür sorgen, dass, wenn es zum Konflikt, wenn es zu Streitigkeiten kommt, diese sofort vor Ort beigelegt werden können.
Außerdem spielt in Mali das Radio als Kommunikationsmittel eine zentrale Rolle. Und da unterstützen wir katholische Journalistinnen und Journalisten, damit sie über die Religion aufklären und Informationen vermitteln können, um so Vorurteile und Ressentiments abzubauen.
Das Interview führte Dagmar Peters.