Susanne graut es vor Weihnachten. Denn dann übernimmt ihre Schwiegermutter wieder das Kommando. Die verlange, dass sie und ihr Mann Heiligabend bei ihr verbringen, klagt Susanne in einem Ratgeber-Forum im Internet. Und dann müsse der Abend auch noch exakt nach ihren Vorstellungen ablaufen - von der Zubereitung des Heringssalats bis zur Auswahl der Weihnachtslieder. "Der Streit ist programmiert", ahnt die junge Frau.
Bammel vor enttäuschten Erwartungen
Nicht nur in Internet-Foren ist die Sorge vor Familienzwist an den Weihnachtstagen zurzeit ein heiß diskutiertes Thema. Jeder zweite Deutsche erwartet laut einer Umfrage, dass es an den Feiertagen zu Konflikten kommt. Größter Streitfaktor seien enttäuschte Erwartungen an einen besinnlichen Abend, ergab eine von der Creditplus Bank in Auftrag gegebene repräsentative Befragung unter rund 1.000 Teilnehmern.
Irene Schäfer von der Evangelischen Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung in Düsseldorf kann das bestätigen. "Viele Menschen, die in die Beratung kommen, sind besorgt, ob sie den Erwartungen gerecht werden können", berichtet die Psychologin. Für Familien mit jüngeren Kindern bedeute es oft großen Stress, weite Wege zu Verwandten fahren zu müssen. "Ruhe und Erholung kommen häufig zu kurz."
Gerade weil viele Familien heute weit verstreut wohnten und sich nicht mehr so oft sähen, seien die Erwartungen an das Fest besonders hoch, beobachtet auch Werner Hübner. Der Kölner Psychologe hält seit acht Jahren im Advent ein Seminar zur Familiendynamik des Weihnachtsfestes ab. Dabei stellt er fest, dass Weihnachten in vielen Familien der einzige Anlass im Jahr ist, zu dem alle zusammenkommen.
Strittige Themen besser ausklammern
"Für manche Menschen sind die Familientreffen dann aber eine regelrechte Gerichtsstätte." Da werde etwa kritisch nachgefragt, wann der Sohn denn endlich eine vernünftige Ausbildung mache oder warum man denn immer noch Single sei. An den Feiertagen sollten strittige Themen ausgeklammert werden, empfiehlt Irene Schäfer.
Für Entspannung sorgen könne auch, wenn man die Erwartungen an das Fest vorher genau abklärt, sagt Schäfer. "Sprechen Sie deshalb vorher im Familienkreis über Wünsche und Bedürfnisse." Junge Leute wollten zum Beispiel oft am späteren Abend gerne noch einmal auf die Piste. "Das sollte man ihnen gönnen, statt beleidigt zu sein."
Generell empfiehlt Schäfer, sich nicht zu starr auf einen bestimmten Ablauf des Weihnachtsabends festzulegen. "In manchen Familien ist das Weihnachtsfest regelrecht wie eine Inszenierung durchgetaktet", weiß auch Hübner. Meist seien die Mütter für die Planung zuständig. "Wenn dann etwas anders läuft, wird das als persönliche Niederlage gesehen."
Rückzugszeit einplanen
Dabei sei es ganz wichtig, auch freie Stunden zu haben, in denen zum Beispiel Kinder einmal in Ruhe spielen können, sagt Schäfer. Auch viele Erwachsene hätten zwischendurch das Bedürfnis nach Ruhe. Deshalb sei es sinnvoll, Zeit einzuplanen, in der sich jeder zurückziehen kann, etwa für einen Mittagsschlaf oder einen Spaziergang.
Doch was kann man tun, wenn die Vorstellungen so gar nicht übereinstimmen und man sich in vorgegebenen Ritualen gefangen fühlt? Erwachsene Kinder müssten ihren Eltern dann klarmachen, dass sie Heiligabend mit dem Partner oder den eigenen Kindern alleine feiern wollen, sagt Hübner. Der Besuch bei den Verwandten könne dann an einem der anderen Feiertage eingeplant werden.
Für ein entspannteres Weihnachtsfest raten beide Psychologen, weniger perfektionistisch zu sein. "Je unperfekter, desto menschlicher, desto wärmer wird es", meint Hübner. Und nicht zuletzt könne es zumindest für kirchlich gebundene Menschen hilfreich sein, sich einfach auch einmal auf den eigentlichen Anlass des Festes zu besinnen, nämlich die Geburt Jesu Christi, sagt Hübner. Da stimmt auch Irene Schäfer zu: "Weihnachten findet dann ja schon in der Kirche statt. Da muss zu Hause nicht auch noch alles perfekt sein."