Jerusalemer Abt ruft trotz Krieg zu Reisen nach Israel auf

"Deutschland hat mehr Angst als wir"

Der Krieg im Nahen Osten polarisiert die Welt. Trotz der Kriegshandlungen ruft der deutsche Benediktinerabt Nikodemus Schnabel zum Besuch des Heiligen Landes auf. Im Moment ist er in Deutschland unterwegs und kämpft gegen Vorurteile.

Nikodemus Schnabel / © Afif Amireh (KNA)
Nikodemus Schnabel / © Afif Amireh ( KNA )

DOMRADIO.DE: Im Heiligen Land ist die Situation seit dem 7. Oktober ein Ausnahmezustand. Es herrscht offener Schlagabtausch zwischen der israelischen Armee und der Hamas. Dazu kommt in den letzten Wochen die Zuspitzung durch die militärische Auseinandersetzung mit dem Iran. Sie sind Momentan in Deutschland, unter anderem für ein Symposium an der Thomas-Morus-Akademie dieses Wochenende. Ist es im Moment möglich, in so einer Kriegssituation in Israel ein- und auszureisen?

Abt Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Benediktiner-Abtei Dormitio in Jerusalem): Ja, das ist tatsächlich möglich. Ich möchte auch in dieser Situation alle Menschen ermutigen, das Heilige Land zu besuchen. Kommen Sie als Pilgerin und Pilger. Die heiligen Stätten haben offen. Wir Klöster haben offen und wir vermissen seit einem halben Jahr die Pilgerinnen und Pilger.

Abt Nikodemus Schnabel

"Kommen Sie als Pilgerin und Pilger. Die heiligen Stätten haben offen. Wir Klöster haben offen und wir vermissen seit einem halben Jahr die Pilgerinnen und Pilger."

Ich weiß, es gibt vonseiten der Bundesregierung eine Reisewarnung. Das macht es versicherungstechnisch für Reisegruppen schwieriger und auch der Flugplan ist reduziert, weil der Tourismus komplett eingebrochen ist. Ich bin mit dem Flugzeug aus Tel Aviv nach Deutschland geflogen, sogar mit der Lufthansagruppe, die fliegt. Allen, die schon mal im Land waren, rate ich wirklich: Nur Mut, kommen Sie als Pilger.

DOMRADIO.DE: Wie sieht ihr Alltag in Jerusalem im Moment aus? Auf der einen Seite liegt die Stadt weit abseits der Kampfhandlungen. Auf der anderen Seite zielten die Raketen beim Angriff des Irans auch auf Jerusalem und haben es teilweise auch bis dorthin geschafft.

Abt Nikodemus: Ja, den Raketenalarm des Irans wegen haben wir mitbekommen. Der Angriff kam mit langem Vorlauf. Schon zur Mittagszeit wusste ich, dass die ersten Raketen um 1:41 Uhr ankommen und zu dieser Zeit kamen sie auf die Minute. Es war alles andere als ein Überraschungsangriff und in Israel haben wir Schutzräume. Es ist niemand umgekommen. Ein Beduinenmädchen wurde verletzt, aber ist - was mich sehr freut - wieder auf dem Weg der Besserung. Eine Militärbasis wurde beschädigt, sonst wurde alles abgefangen. In dem Sinne ist es glimpflich abgelaufen.

Abt Nikodemus Schnabel

"Zum Beispiel kann man in der Grabes- und Auferstehungskirche zurzeit direkt zum österlichen Ort, dem leeren Grab gehen. Aber es gibt keine echte Bedrohung im Alltag."

Blick auf die Grabeskirche mit Baugerüsten, am 10. April 2024 in Jerusalem / © Johannes Schidelko (KNA)
Blick auf die Grabeskirche mit Baugerüsten, am 10. April 2024 in Jerusalem / © Johannes Schidelko ( KNA )

Abgesehen von dieser Nacht hat wahrscheinlich jemand, der in Deutschland lebt und sich die Bilder anschaut, mehr Angst als wir, die vor Ort sind, weil wir in Jerusalem ein ganz normales Leben führen. Was auffällt, sind die fehlenden Pilgergruppen und dass wenige Menschen unterwegs sind. Zum Beispiel kann man in der Grabes- und Auferstehungskirche zurzeit direkt zum österlichen Ort, dem leeren Grab gehen. Aber es gibt keine echte Bedrohung im Alltag.

In der Dormitio-Abtei und in Tabgha warten wir sehnsüchtig auf Pilger. Unsere Kirchen sind auf. Unsere Klöster sind auf. Unsere Cafeterien sind auf. Leider ist kein Ende in Sicht.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, der Alltag ist undramatisch, gar ungefährlich. Gleichzeitig werden die Christen durch die verschärfte Polarisierung in Israel auch von jüdischen Nationalisten stärker bedrängt, weil diese ein Problem in der christlichen Präsenz sehen. Es gab mehrere Angriffe auf Sie persönlich, die teilweise durch die Medien gegangen sind. Ist das ein größeres Problem, das in der aktuellen Situation untergeht?

Abt Nikodemus: Nein, es ist kein größeres, es ist ein kleineres Problem. Für mich ist das größere Problem, das Menschen sterben. Aber im Schatten solcher Kriege wird die Lage in Jerusalem angespannter. Im Normalfall befrieden Touristen und Pilger Jerusalem, weil jeder seine Geschäfte machen will. Durch das Ausbleiben der Touristen und Pilger fehlt es an den zig Augen und Ohren, die sonst sehr viel sehen.

Wir sehen auch in Israel einen Rally-around-the-Flag-Effekt (Anm. d. Red.: im Deutschen auch Stunde der Exekutive, kurzfristig erhöhte Unterstützung der Regierung oder der politischen Führung durch die Bevölkerung in Kriegs- oder Krisenzeiten). Die Polarisierung im Land nimmt zu. Es wird wichtiger, wo man steht. Entweder-oder? Weiß oder schwarz? Pro oder kontra?

Dormitio Abtei in Jerusalem / © Karin Wabro (shutterstock)
Dormitio Abtei in Jerusalem / © Karin Wabro ( shutterstock )

Das ist anstrengend und führt zu einer großen Schwächung. Darüber führe ich die meisten Gespräche mit den vielen friedensbewegten Menschen. Seien es Juden, Christen, Muslime. Wir als Dormitio-Abtei sind eine bisschen Hoffnungsoase und Treffpunkt für diejenigen, die an Koexistenz, eine gemeinsame Zukunft und eine universales Jerusalem eintreten.

Gerade haben allerdings diejenigen Hochkonjunktur, die dualistisch denken. Freund, Feind. Schwarz, weiß. Das erlebe ich auch als Christ, weil ich auf dem Radar dieser Kahanisten (Anm. d. Red.: Richtung des religiösen Zionismus, Mischung aus Ultranationalismus mit religiösem Fundamentalismus, Rassismus, Nicht-Juden-Feindlichkeit und der Rechtfertigung von Gewalt) stehe.

Der israelische Schriftsteller Amos Oz nennt sie jüdische Neonazis, weil sie Israel allein für die Juden haben und alle Nichtjuden aus dem Land vertreiben wollen. Diese Menschen haben leider gerade Oberwasser, wie auf der anderen Seite die Hamas ebenso Oberwasser hat. Solche Kriege kennen nur Verlierer.

DOMRADIO.DE: Wie verhält man sich während dieser Polarisierung als Religionsgemeinschaft, die nicht Teil des Konfliktes ist und nicht auf eine der Seiten gezogen werden will?

Abt Nikodemus: Da muss ich widersprechen. Wir sind auf beiden Seiten Teil des Konflikts. Das ist unsere Haltung als Christen, die uns verbietet einseitig zu sein. Es gilt in Friedenszeiten und auch jetzt: Wir sind weder pro Israel noch pro Palästina, wir sind pro Mensch.

Abt Nikodemus Schnabel

"Wir können gar nicht einseitig sein, weil wir arabisch und hebräisch sprechende Christen in und um Gaza herum haben."

Christen sind auf allen Seiten von dem Konflikt betroffen. Am 7. Oktober wurden vier Katholiken von den Philippinen ermordet, ein Syro-malabarischer Katholik aus Indien wurde durch den Raketenbeschuss der Hisbollah im Norden Israels getötet. Christen sind auch immer Leidtragende, sogar in erster Reihe. Wir wissen von 32 durch die israelische Armee getöteten palästinensischen Christen in Gaza.

Wir können gar nicht einseitig sein, weil wir arabisch und hebräisch sprechende Christen in und um Gaza herum haben. In diesem sehr polarisierten Bild - Israel = Judentum = westliche Welt; Palästina = Islam = arabische Welt - kommen wir nicht vor. Dieses Bild ist absolut unterkomplex. Wir haben palästinensische Christen und wir haben israelische Christen.

Ich fremdle massiv mit Leuten, die sich mit Hashtags und Flaggen von Israel oder Palästina auf eine Seite schwingen. Das ist alles Menschenwerk. Jede Flagge, jede Hymne, jede Grenzziehung. Ich glaube nicht, dass Gott mit dem Globus im Himmel sitzt und Grenzen zieht. Ich glaube an einen Gott, der jedem Menschen eine unverlierbare Würde geschenkt hat. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Christen, als Dormitio-Abtei und als Priorat Tabgha, das jeden Tag neu mit Leben zu füllen.

DOMRADIO.DE: Sie sind in Deutschland, um unter anderem auf die Lage in Nahost aufmerksam zu machen. Dafür findet am 27. Und 28. April ein Seminar in der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg statt. Ein Highlight ist ein Podiumsgespräch am Samstagabend zwischen ihnen und dem deutsch-iranischen Schriftsteller Navid Kermani. Was erwarten Sie von dem Gespräch?

Abt Nikodemus: Ich freue mich total, weil ich glaube, dass das Gespräch ein Zeichen sein wird. Ein Zeichen gegen die dumme und unterkomplexe Aussage, dass die Religion das Problem sei. Navid Kermani ist ein gläubiger Mensch. Ich bin ein tiefgläubiger Mensch. 

Wir werden beweisen, dass sich zwei gläubige Menschen, die Gott suchen, wunderbar unterhalten und verstehen können. Ich möchte die Schönheit und das Friedens- und Versöhnungspotenzial von Religion demonstrieren, weil ich tief der Überzeugung bin, dass es ohne Religion keine Lösung gibt und es ohne Gott nicht einfacher wird.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Dormitio-Abtei

Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Dormitio-Abtei in Jerusalem / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Die deutschsprachige Benediktinerabtei der Dormitio gehört als Blickfang zur Silhouette Jerusalems. Der Bau des Klosters auf dem Zionsberg am Rande der Altstadt begann im März 1906. Es befindet sich dort, wo nach kirchlicher Überlieferung das Letzte Abendmahl Jesu und die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel stattfanden. Abt ist Bernhard Maria Alter.

Quelle:
DR