Jesuit kritisiert Kirchen in Abtreibungsdebatte

Zu wenig im Blick

Der frühere Leiter der Deutschen Provinz des Jesuitenordens, Stefan Kiechle, fordert die Kirchen auf, sich aktiver in die Debatte um eine Neuregelung der Abtreibung einzuschalten. Er wolle eine kontroverse Debatte.

Plakat gegen Abtreibung / © Tyler Orsburn (KNA)
Plakat gegen Abtreibung / © Tyler Orsburn ( KNA )

In einem Gastbeitrag für das Portal katholisch.de (Freitag) schreibt er: "Niemand will einen Kulturkampf zu dieser Thematik wie in den USA, aber wo bleibt in der Breite unserer Gesellschaft das sehr grundsätzliche Abwägen des Menschenbildes, der Werte usw. in dieser extrem heiklen Frage?"

Pater Stefan Kiechle SJ / © privat
Pater Stefan Kiechle SJ / © privat

Er vermisse die breite und kritische Diskussion des Vorhabens der Ampel, so der Jesuit weiter: "Und müssten nicht die Kirchen - Akademien, Fakultäten, Beratungsinstitutionen, katholische Büros - schon längst und noch viel deutlicher hierzu die Debatte führen?"

Abtreibung bis kurz vor Geburt

Immerhin könne die von manchen geforderte komplette Abschaffung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch dazu führen, "dass Abtreibungen bis kurz vor der Geburt des Kindes erlaubt sind und als normale Leistung des Gesundheitssystems gelten", so Kiechle weiter.

In der Ampelkoalition gibt es Pläne, im Rahmen der "reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts neu zu regeln.

Dabei fordern etliche Akteure eine komplette Abschaffung des Paragrafen 218, wonach Abtreibungen zwar rechtswidrig sind, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben. Für das Projekt wurde eine Kommission eingesetzt, an der die Kirchen nicht beteiligt sind.

Kirchen müssten sich deutlicher positionieren

Eine Abtreibungsgegnerin trägt ein pinkes Shirt mit einem Piktogramm einer Familie / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Eine Abtreibungsgegnerin trägt ein pinkes Shirt mit einem Piktogramm einer Familie / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Der aktuelle Paragraf 218 sei nach jahrzehntelangem Ringen als Kompromiss verabschiedet worden, fügte der Ordensmann hinzu. Dieser wolle zum einen grundlegenden Ansprüchen der Frau, zum anderen dem Lebensrecht des Kindes und damit auch dem möglichen Widerstreit beider gerecht werden und habe wie alle Kompromisse auch eine "paradoxale und nicht ganz befriedigende Seite".

Kiechle fragte weiter, ob die Kirchen schon genügend bemerkt haben, was da gerade passiere: "Eine Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts, damals durchaus mit einiger Akzeptanz eingeführt, ist durch verschiedene Umstände fraglich geworden und soll nun eher schnell substanziell verändert werden." Dabei sehe er die Gefahr, dass dem "reproduktiven Selbstbestimmungsrecht der Frau" hier Vorrang vor dem Lebensrecht des Embryos gegeben werden könne. Hierzu müssten sich die Kirchen sehr viel deutlicher positionieren, als sie es bisher täten.

Pater Stefan Kiechle ist seit 2018 Chefredakteur der Jesuiten-Zeitschrift "Stimmen der Zeit". Zuvor leitete er sieben Jahre die Deutsche Provinz des Jesuitenordens.

Quelle:
KNA