DOMRADIO.DE: Sie waren einer der zehn Chefredakteure, die den Papst interviewen duften. Konnten Sie die Fragen frei stellen oder wurden die Fragen vorher freigegeben?
Pater Stefan Kiechle SJ (Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift "Stimmen der Zeit"): Nein, wir konnten die Fragen ganz frei stellen. Pater Spadaro, der Chefredakteur der italienischen Zeitschrift Civilta Cattolica, hat das Treffen eingefädelt. Wir waren in den apostolischen Palast eingeladen und wurden dort durch die Prunkräume geführt.
Später saßen wir mit dem Papst in der Bibliothek im Kreis zusammen. Das war dann ein sehr freundschaftliches, geschwisterliches Gespräch mit dem Papst und wir konnten unsere Fragen frei stellen. Der Papst hat, so gut er konnte ganz locker versucht, spontan zu antworten.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch über die Situation im Erzbistum Köln gesprochen. Franziskus habe sich dazu "recht kühl" geäußert, heißt es in einem Korrespondentenbericht. Der Papst verglich das Erzbistum Köln mit dem Bistum Arecibo in Puerto Rico, das auch von einem Konflikt erschüttert wird. Muss die Kirche in Deutschland von dem Gedanken Abschied nehmen, im Vatikan eine besondere Rolle zu spielen?
Kiechle: Das weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass der Papst Deutschland im Blick hat. Er nimmt wahr, was ist und dass die Situation eine andere ist als in Südamerika.
Diese Äußerung des Papstes zur evangelischen Kirche war zunächst einmal ein Witzchen. Damit wollte er seine Wertschätzung für die evangelische Kirche in Deutschland ausdrücken. Außerdem wollte er sagen, dass die katholische Kirche nicht das Gleiche ist; nicht das gleiche werden wird und einen eigenen Synodalen Weg gehen muss. Der Papst hat großen Respekt und eine große Wertschätzung für den Synodalen Weg in Deutschland.
DOMRADIO.DE: Auch wenn die Papstaussage über die evangelische Kirche als Witz gedacht war, könnte man meinen, dass dem Papst der reformorientierte Kurs des Synodalen Weges nicht gefällt. Wie haben Sie das während des Interviews empfunden, als das Thema aufkam?
Kiechle: Dass der Papst unseren Weg respektiert und wir ihn gehen sollen. Die Vorstellung des Papstes ist eine geistliche Erneuerung der Kirche, die das Evangelium neu und tiefer lebt und verkündet. Das ist ihm wichtiger als alle Strukturreformen, auf die man in Deutschland so sehr achtet. Wir Deutsche sind ja sehr auf Regeln, Ordnung und Struktur orientiert. In der weltweiten Kirche tickt man da ein bisschen anders und auch der Papst setzt andere Schwerpunkte.
DOMRADIO.DE: Sie sehen aber nicht die Gefahr, dass der Papst sagt: "Nein, das ist überhaupt nicht gut, was da passiert."
Kiechle: Überhaupt nicht, sondern der Papst schätzt den Synodalen Weg. Das hat der Papst auch in seinem Brief geschrieben. Er schätzt den Synodalen Weg; ermutigt uns dazu; und gibt uns geistliche Anregungen an die Hand. Die Tatsache, dass Franziskus einen weltweiten synodalen Weg ausgerufen hat, zeigt ja auch, dass Deutschland vielleicht ein bisschen Vorbild ist und man den Synodalen Weg auch weltweit machen könnte.
DOMRADIO.DE: Der Brief des Papstes wurde sehr unterschiedlich aufgefasst. Befürworter und Kritiker des synodalen Wegs haben ihr Anliegen darin gleichermaßen vertreten gesehen. Hat sich da jeder das herausgesucht, was er hören wollte?
Kiechle: Sagen wir mal so: Es ist ein geistlicher Brief und der regt zur Unterscheidung der Geister an. Der Papst sagt darin, dass man sich nicht so sehr auf die Reform der Strukturen fixieren, sondern auf den Geist hören sollte. Das kann man als jesuitische Dialektik bezeichnen.
Aber der Papst will einfach keine festen Vorgaben machen. Er will nicht vorgeben, was gilt und was nicht; in welche Richtung es gehen muss und in welche nicht, sondern Franziskus gibt die Freiheit und Offenheit, dass die Kirche ihren eigenen geistlichen Weg gehen kann.
Natürlich hören manche gerne das raus, was sie wollen: Was sich nicht ändern darf; was sich ändern muss. Der Papst frustriert aber beide Seiten gleich, weil es ihm nicht um schnelle strukturelle Änderungen geht, sondern um die geistliche Erneuerung. Da kann jeder rausholen, was er will. Das ist vielleicht der Nachteil von solchen Briefen. Der Vorteil ist, dass der Papst auf eine gute Weise auf das Eigentliche verweist. Da soll die Kirche weitergehen.
Das Interview führte Michelle Olion.