Journalist sieht neues Potential für Papst Franziskus

Rückzug oder Rückkehr?

Nach dem Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. ist Franziskus nun wieder der einzige Papst im Vatikan. Welche Auswirkungen hat das auf sein weiteres Pontifikat und auf einen möglichen Amtsrücktritt? Und wo gab es Konflikte?

Papst Franziskus küsst die Hand des emeritierten Papstes Benedikt XVI. (l.) (Archiv) / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus küsst die Hand des emeritierten Papstes Benedikt XVI. (l.) (Archiv) / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Inwieweit war es denn für das Pontifikat von Franziskus von Bedeutung, dass es immer einen zweiten, wenn auch emeritierten Papst im Hintergrund gegeben hat?

Georg Löwisch (Chefredakteur der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt"): Es war ein ganz wesentliches Kennzeichen und es war vor allem auch völlig neu. Genauso historisch, wie der Rücktritt von Benedikt war, war diese Zweierkonstellation. Das hat auch Franziskus geprägt.

2013 ist der Wechsel gewesen. Das ist jetzt fast zehn Jahre her. In diesem Jahrzehnt gab es immer zwei Päpste, auch wenn der eine der amtierende Papst war und der andere der Papa emeritus.

DOMRADIO.DE: Benedikt hat sich ja auch nicht so ganz zurückgehalten. Er hat sich immer mal wieder zu Wort gemeldet.

Das Kloster "Mater Ecclesiae" war Benedikts XVI. Alterssitz im Vatikan.  / © Domradio.de (DR)
Das Kloster "Mater Ecclesiae" war Benedikts XVI. Alterssitz im Vatikan. / © Domradio.de ( DR )

Löwisch: Es fing zunächst damit an, dass er gewählt hat, in den Vatikanischen Gärten im Kloster zu leben. Das ist  schon nah dran am Geschehen, fast mitten im Geschehen. Er hat sich auch dafür entschieden, ein weißes Gewand zu tragen, wie es eigentlich nur dem Papst zusteht.

Er war kein pensionierter Papst, sondern ein emeritierter Papst. Genauso, wie die emeritierten Professoren an den Universitäten lehren, hat das auch Benedikt immer mal wieder getan. Es war viel von Bescheidenheit die Rede. Er hat auch eigentlich gelobt, dass er sich sehr zurückhalten wird. Aber so ganz ist ihm das nicht gelungen.

Georg Löwisch, Chefredakteur der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt"

"Er hat eigentlich gelobt, dass er sich sehr zurückhalten wird. Aber so ganz ist ihm das nicht gelungen"

DOMRADIO.DE: Wäre es in Ihren Augen besser gewesen, wenn er sich wirklich mehr zurückgehalten hätte?

Löwisch: Es wäre zumindest für Franziskus leichter gewesen. Es geht ja hier auch nicht um irgendeinen Sparkassendirektor, sondern es geht um das Papstamt. Ein Amt, für das es immer konstituierend war, dass es nur einen gibt. Aber es gab eben eine zeitlang immer diesen zweiten.

Er hat sich auch immer mal wieder geäußert, zum Beispiel zur Lockerung des Zölibats, die Franziskus durchaus für entlegene Pfarreien im Amazonasgebiet vorsah. Da kam dann plötzlich ein Beitrag von Benedikt und hat da ein wenig quer geschossen.

Hinterher war das alles natürlich ein Missverständnis, aber da hat man schon gemerkt, dass immer im Raum steht: Wenn es Benedikt oder Benedikts Umfeld nicht passt, dann gäbe es schon die Möglichkeit, dass es zu einem kleinen öffentlichen Eklat kommt.

Georg Löwisch, Chefredakteur der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt"

"Es geht hier nicht um irgendeinen Sparkassendirektor, sondern es geht um das Papstamt"

Das hat natürlich kein amtierender Papst gern, das kann überhaupt kein Machthaber gern haben. Und so knifflig war eben diese Zweierkonstellation. Man sagt bei Leuten, die mächtig sind, die ein Amt haben, oft, dass ihnen die Einsamkeit des Amtes zu schaffen macht. Auf Franziskus trifft es vielleicht eher zu, dass ihm die Zweisamkeit des Amtes zu schaffen gemacht hat.

DOMRADIO.DE: Kurz nach Benedikts Tod hat sein engster Vertrauter, Erzbischof Gänswein, ziemlich schnell betont, wie sehr es den emeritierten Papst zum Beispiel geschmerzt habe, dass Franziskus die Alte Messe wieder strikter eingeschränkt hat. Heißt das also, dass Benedikt im Hintergrund Franziskus auch sehr kritisch beobachtet hat?

Erzbischof Georg Gänswein und der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Juni 2020 / © Sven Hoppe/dpa/Pool (KNA)
Erzbischof Georg Gänswein und der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Juni 2020 / © Sven Hoppe/dpa/Pool ( KNA )

Löwisch: Es gab Momente, wo diese Kontroverse zwischen den beiden, die unausgesprochen im Raum schwebte, aufbrach. Sicherlich ist ein Punkt gewesen, dass Franziskus die Alte Messe, die Benedikt eigentlich wieder groß gemacht hat, drastisch eingeschränkt hat. Damals hat Benedikt nichts dazu gesagt. Das hat nun aber Gänswein getan. Aber es gibt auch andere Punkte, zum Beispiel Gänswein selber: Er war ja am Anfang für beide Päpste zuständig. Dann hat ihn Franziskus von dieser Aufgabe entbunden und das ist schon eine große Demütigung gewesen.

Papst Franziskus und Gerhard Ludwig Kardinal Müller / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus und Gerhard Ludwig Kardinal Müller / © Paul Haring ( KNA )

Noch ein anderer Punkt: Kardinal Gerhard Ludwig Müller war noch bei Benedikt der Chef der Glaubenskongregation geworden, also eigentlich einer der wichtigsten Kardinäle. Franziskus hat ihn übernommen und 2017 aber sehr unsanft aus dem Amt befördert. Müller selber hat sich darüber beschwert. Man könnte sagen, der ist sozusagen abgemeiert worden oder man müsste vielleicht eher sagen, abgemüllert.

DOMRADIO.DE: Heißt das denn im Umkehrschluss auch, dass Papst Franziskus sich jetzt befreiter fühlen könnte, möglicherweise Reformen anzupacken und durchzusetzen?

Löwisch: Es wäre völlig übertrieben, wenn man sagen würde: Was Franziskus nicht erreicht und nicht geschafft hat und dass er so viel angekündigt und letztlich dann doch nicht so viel umgesetzt hat, liegt alles an Benedikt. Das wäre zu viel. Aber es könnte schon diesen Effekt geben, dass es jetzt einfacher ist, dass man Benedikt nicht mehr mitdenken muss.

Es ist eben ein Unterschied, wenn der Großvater – oder jetzt ist es ein heiliger Großvater gewesen – im Altenheim ist oder wenn er tot ist. Dann ist der sozusagen der Opa weg und er wird auch nicht mehr mitgedacht, er kann auch nicht mehr als lebender Referenzpunkt für ein "gegnerisches" Lager dienen. Insofern würde ich schon sagen, das Potenzial, dass Franziskus jetzt etwas befreiter aufspielen kann, ist schon da. Die Frage ist, ob er das noch nutzt. Das liegt an ihm selbst.

DOMRADIO.DE: Gilt das auch für einen möglichen Rücktritt? Franziskus hat ja schon oft davon gesprochen, aber zwei zurückgetretene Päpste im Garten des Vatikan konnte man sich nicht so wirklich vorstellen. Wäre das jetzt wieder einfacher möglich.

Löwisch: Ich würde das auch so sehen. Ein heiliger Vater und ein heiliger Großvater ist schon schwer genug. Aber jetzt einen Heiligen Vater einen Heiligen Großvater und einen Heiligen Urgroßvater zu haben, dafür wäre der Vatikan oder auch die katholische Kirche wahrscheinlich zu klein gewesen. Das erleichtert das vielleicht tatsächlich.

Franziskus hat auch gesundheitliche Probleme, das konnte man auch bei der Beerdigung sehen, dass das in den weitesten Teilen im Sitzen abläuft, wenn er den Gottesdienst feiert. Aber das ist jetzt eben offen. Es kann sein, dass es ein Rückzug auf Raten wird oder dass es die Rückkehr des Reformers ist. In diesem Moment der Kirchengeschichte ist einfach beides möglich.

Georg Löwisch, Chefredakteur der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt"

"Es kann sein, dass es ein Rückzug auf Raten wird oder dass es die Rückkehr des Reformers ist"

DOMRADIO.DE: Beim Requiem hat Franziskus auch über Benedikt gepredigt und dabei die Mühen des Papstamtes betont. Was würden Sie sagen, was man aus dieser Predigt vielleicht ablesen konnte, in welche Richtung sein Pontifikat jetzt gehen könnte?

Löwisch: Ich fand, dass er sich ganz stark auf die Lesungsexte bezogen hat. Er hat auch nur sehr wenig direktes über den Vorgänger gesagt. Er hat die Weisheit und das Feingefühl von Benedikt gewürdigt und gesagt: "Benedikt, du treuer Freund des himmlischen Bräutigams, möge deine Freude vollkommen sein, wenn du seine Stimme endgültig und für immer hörst." Das klang für mich sehr warm, aber es war dann auch irgendwie sehr knapp.

Seine Aussagen zum Papstamt kann man natürlich auch interpretieren und sagen: Vielleicht wollte Franziskus sagen, auch wenn das Papstamt schwierig ist, heißt das nicht, dass man gleich aufgibt. Er hat wörtlich gesagt: "Liebe heißt, bereit zu sein, zu leiden."

Oder dass es Widersprüche und Kreuzungspunkte im Papstamt gibt. Vielleicht hat er das auch auf sich bezogen und wollte uns bedeuten, dass das jetzt nicht heißt, dass er gleich hinschmeißt, nur weil das jetzt vielleicht protokollarisch leichter möglich ist als vorher, wegen dieser Zweierkonstellation, die es nicht mehr gibt.

Das Interview führte Hannah Krewer.

Quelle:
DR