Jugendgangs sind nicht das einzige Problem in El Salvador

Geschichten über Gewalt

Ganzkörpertätowierte Gangster, brutale Morde, schwere Waffen. So in etwa sieht der "Markenkern" der Mara-Banden in Mittelamerika aus. Doch im Kampf gegen die Gewalt verwischen die Grenzen zwischen Gut und Böse.

Jugendgang in El Salvador / © Oscar Rivera (dpa)
Jugendgang in El Salvador / © Oscar Rivera ( dpa )

Die Mutter ringt um Fassung; ihr Sohn schaut betreten zu Boden, wischt eine Träne aus dem Gesicht. Kurz zuvor hat der Stiefvater gezeigt, was dem 18-Jährigen widerfahren ist: Ein Bluterguss zeugt von einem heftigen Schlag auf das Brustbein. Mit einem Mal wird die alltägliche Gewalt greifbar, die das Leben vieler Menschen in El Salvador bestimmt. Doch in diesem Fall sind nicht die berüchtigten Mara-Jugendbanden die Bösen. Sondern die, die eigentlich auf der Seite der Guten stehen sollten: die Polizei.

Im Kampf gegen die Jugendkriminalität fährt der Staat seit Jahren eine Politik der harten Hand. Tötungskommandos sollen die "roten Zonen", die "zonas rojas" von den Bandenmitgliedern säubern, die "Kakerlaken ausräuchern". Schon der Verdacht, mit den Mara-Banden gemeinsame Sache zu machen, genügt.

"Sie haben gesagt, wir würden sterben, wenn wir nicht tun, was sie verlangen", erzählt der Sohn über seine Begegnung mit der Polizei. "Dabei hatten wir gar nichts mit den Maras zu tun." Aus Angst vor weiteren Schikanen tauchte die Familie unter. Wieder ein paar Entwurzelte mehr unter den 6,7 Millionen Einwohnern des kleinsten Staates in Mittelamerika.

Maras bedienen viele kriminelle „Geschäftsfelder“

Schätzungsweise 60.000 Mareros soll es in El Salvador geben, sagt der Soziologe und Theologe Benjamin Schwab, der an der katholischen UCA-Universität in der Hauptstadt San Salvador zu dem Thema forscht. Etwa 500.000 Menschen gehörten dem direkten Umfeld der Banden an.

Längst leide das ganze Land unter den Gangs, die von Raub über Schutzgelderpressung bis hin zu Zwangsprostitution und Drogenhandel so gut wie alle kriminellen "Geschäftsfelder" bedienen. Aber genauso, wie in El Salvador hinter der Maske des Guten die Fratze des Bösen lauern kann, leuchtet in der Schattenwelt mitunter so etwas wie Licht - wenn auch nur trübe und matt.

Gerade Jugendliche, die aus zerrütteten Familien kommen, suchen bei den Banden Halt. "Auch materielle Bedürfnisse werden gedeckt", sagt Soziologe Schwab. "Bei den Maras heißt es immer: 'Wenn einer zu essen hat, haben alle zu essen.'" Kleine Hoffnungen in einem Land, das seinen Heranwachsenden kaum Perspektiven bietet.

Fast die Hälfte der Einwohner von El Salvador ist 24 Jahre alt oder jünger. Sie haben den Bürgerkrieg, der das Land zwischen 1980 und 1992 erschütterte, nicht mehr erlebt. Wohl aber erleben sie dessen Folgen. Damals kämpfte die linksgerichtete Guerilla FMLN gegen die regierenden Militärs und deren ARENA-Partei. Rund 75.000 Menschen verloren das Leben.

FMLN und ARENA sind geblieben. Und die Gewalt. Wie viele Waffen es in El Salvador gibt, weiß niemand zu sagen. Die meisten stammen aus den USA, vom "großen Bruder", der sich in dem Konflikt aufseiten der Militärs schlug. In den Vereinigten Staaten wiederum formierten sich unter Exilanten aus Mittelamerika auch die Banden, die nun in El Salvador und den Nachbarländern für Angst und Schrecken sorgen. Der Bürgerkrieg selbst mag seit dem Abkommen von Chapultepec 1992 beigelegt sein - der Weg zu einem Frieden ist steinig.

Angst als ständiger Begleiter

"Wir lernen noch, mit dieser neuen Wirklichkeit zu leben." So formuliert es Kardinal Gregorio Rosa Chavez, einer der prominentesten Kirchenvertreter des Landes. "Wenn wir es schaffen, uns auf gemeinsame Ziele zu verständigen, werden sich die Dinge ändern." Das Gespräch mit dem Weihbischof von San Salvador findet in der Pfarrei des Kardinals statt. Stacheldraht krönt die Mauern. Wer draußen um den Häuserblock geht, stößt an einer Wand auf ein unscheinbares schwarzes Graffito: "MS" - das Kürzel der "Mara Salvatrucha", eine der berüchtigtsten Gangs.

Jede Kirchengemeinde, die Sozialarbeit in den Territorien der Banden betreibe, komme nicht umhin, in Kontakt mit den Maras zu stehen, sagt Benjamin Schwab. Weil die Machtverhältnisse hinter den markierten Häuserfassaden ständig wechseln, ist Angst ein ständiger Begleiter.

"Es gibt viel Unsicherheit", sagt auch Polizist Jorge Mauricio Aleman. Er engagiert sich für die Jugendarbeit in seinem Viertel. Seine Pistole trägt er an diesem Tag versteckt unter dem Polohemd - eine Vorsichtsmaßnahme. Wer ist Täter, wer Opfer? Auf diese Frage gibt es in El Salvador keine einfachen Antworten.

 


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