KAB zu Mindestlohn-Studie

"So kann es nicht weitergehen"

Das Mindestlohn-Gesetz gilt seit 2015 - zumindest auf dem Papier. In der Praxis wird es von vielen Arbeitgebern unterlaufen, beklagt Dr. Michael Schäfers, Arbeitsmarktexperte der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung im domradio.de-Interview.

Mindestlohn steigt auf 8,84 Euro / © Norbert Neetz (epd)
Mindestlohn steigt auf 8,84 Euro / © Norbert Neetz ( epd )

domradio.de: Noch immer erhalten mehr als die Hälfte der Minijobber nicht den gesetzlichen Mindestlohn, sagt eine aktuelle Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Überrascht Sie das?

Dr. Michael Schäfers (Leiter des KAB-Grundsatzreferates und Arbeitsmarktexperte): Das überrascht uns überhaupt nicht, weil wir eine Praxis der Unterlaufung des gesetzlichen Mindestlohnes seit seiner Einführung im Jahr 2015 beobachten.

domradio.de: Warum können Arbeitgeber dieses Gesetz so häufig unterlaufen?

Schäfers: Es gibt da viele Schlupflöcher. Nehmen wir das Beispiel einer großen Lebenmitteleinzelhandelskette im Kölner Raum, die mit 450-Euro-Minijobs arbeitet. Vor allem Frauen sind da betroffen. Dort werden in einer Smoothie-Abteilung die Einarbeitungszeiten nicht als Arbeitszeiten aufgeschrieben und abgerechnet, sondern es wird nach Stückzahlen bezahlt, die auf Arbeitsstunden umgeschrieben werden. Und diese Praxis wird dann so gedreht, dass man genau auf die 450 Euro-Grenze und die 8,84 Euro Stundenlohn kommt, der ab 1. Januar 2017 gilt. Der effektive Stundenlohn, wenn man Stunden gegen Lohn rechnet, liegt dann bei unter 5 Euro. Solche Praktiken beobachten wir auch in anderen Bereichen.

domradio.de: Gibt es da keine Kontrollen, um so etwas zu verhindern?

Schäfers: Genau, das ist ja auch der Sinn eines Gesetzes, das es durchgesetzt wird. Zuständig für diese Bereiche ist der Zoll. Wir merken aber, dass der Zoll aus verschiedenen Gründen dieser Kontrollpflicht nicht nachkommen kann – Unterbesetzung zum Beispiel. Und dann gibt es auch eine deutliche Schwerpunktsetzung aus Schäubles Finanzministerium, die der Kontrolle des Internet- und Medikamentenhandels Priorität einräumt. Dadurch fallen andere Bereiche wie die dringend notwendige Kontrolle der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns hinten über.

domradio.de: Also sagt die Politik, es gibt größere Probleme als den Mindestlohn?

Schäfers: Das lassen wir mal so dahingestellt. Aber Finanzminister Schäuble, der dafür verantwortlich ist, ist bekanntermaßen kein Freund des gesetzlichen Mindestlohns. Offensichtlich wird der Kontrolle des Mindestlohns keine Priorität eingeräumt, denn sonst wären die Zahlen nicht so dramatisch, wie es jetzt in der Studie zum Ausdruck kommt.

domradio.de: Seit dem Wochenende haben wir mit Martin Schulz einen SPD-Kanzlerkandidaten, der sich für den gesetzlichen Mindestlohn einsetzen will. Wie will er das hinkriegen?

Schäfers: Herr Schulz hat ja den gesetzlichen Mindestlohn mehrmals erwähnt. Er will ihn sogar deutlich erhöhen und die Durchsetzung forcieren. Das heißt ja auch, konkrete Eingriffe in Abläufe wie Zollkontrollen zu unternehmen. Wir harren der Dinge, die da kommen, um es optimistisch zu sagen. Der gesetzliche Mindestlohn war eine gute Initiative gegen Ausbeutung, aber die findet weiter statt. Dieser Zustand kann so nicht weitergehen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch


Quelle:
DR