Die Papstreise nach Kanada endet bemerkenswert: Papst Franziskus nennt das erlittene Unrecht der Indigenen eine Form von "Völkermord". Leider sprach er das Wort "Genozid" erst aus, als er Kanada schon verlassen hatte - auf der Pressekonferenz im Flugzeug zurück nach Rom. Dass er auf den Begriff verzichtet hatte, den Kanadas Wahrheits- und Versöhnungskommission selbst benutzte, war ihm auf seiner Reise durch das zweitgrößte Land der Erde mehrfach vorgeworfen worden.
Päpstliches Engagement ging nicht weit genug
Insgesamt muss das Fazit des Besuchs durchwachsen ausfallen. Franziskus erfüllte die an ihn gerichteten Forderungen auf seine Weise. Vielen Kanadiern, unter ihnen besonders die Angehörigen indigener Völker, ging das päpstliche Engagement nicht weit genug.
Franziskus hatte diese Reise - trotz körperlicher Einschränkungen - angetreten, um Abbitte zu leisten. Nach jahrelangen Forderungen von Ureinwohnern und Politik an das Kirchenoberhaupt bat er in den vergangenen Tagen um Vergebung für die Rolle der Kirche in dem verheerenden System der Residential Schools. Diese Internate waren wesentlicher Teil kolonial-europäischer Anpassungspolitik.
Rund 150.000 indigene Kinder mussten diese unter Zwang besuchen; unter den desolaten Bedingungen dort starben laut Expertenschätzungen 4.000 bis 6.000 Kinder. Bei vielen Überlebenden hält das Trauma aufgrund von Misshandlungen und Missbrauch bis heute an. Zwar betrieben auch andere Konfessionen diese vom Staat initiierten und finanzierten Einrichtungen; ihr System baute aber auf jenen Schulen auf, die katholische Missionare mit Beginn der Kolonialisierung in Kanada errichtet hatten. Betreiberin war somit zu einem großen Teil die katholische Kirche.
Wichtiger Schritt der Verarbeitung
Franziskus bat für deren Rolle - auch bei der Kolonialisierung und Zwangsmissionierung - während seiner Reise mehrfach um Vergebung, verurteilte dabei die Taten von "vielen Mitgliedern der Kirche" und "von Ordensgemeinschaften", "von Christen" - die Institution "römisch-katholische Kirche" jedoch nicht. Dies genau hatte neben den Indigenen auch die vom Staat beauftragte Aufarbeitungskommission gefordert. Kanadas Premierminister Justin Trudeau merkte das bei einem Treffen mit dem Kirchenoberhaupt durchaus an - neben Lob und Dank.
Lobende Worte und Anerkennung für seine, von ihm selbst so bezeichnete "Bußreise" fanden viele Indigene trotzdem. Bei den meisten von ihnen überwog die Erleichterung über diesen, so wichtigen Schritt auf dem Weg der Verarbeitung. Denn neben den vielen Überlebenden selbst leiden ebenso ihre Angehörigen und Gemeinschaften bis heute unter den Traumata durch das Schulsystem.
Mit ihnen suchte Papst Franziskus an allen drei Stationen - Edmonton, Quebec und Iqaluit - das verbindende Element. Er besuchte die erste indigene katholische Pfarrei Kanadas, betete an einem See, der den Indigenen heilig ist und zugleich bedeutender Wallfahrtsort für Katholiken aus ganz Nordamerika. Verbunden wurden die zahlreichen Treffen mit traditioneller Trommelmusik der Ureinwohner, die Franziskus überallhin begleitete. Wie ein roter Faden zog sich auch die Figur der heiligen Anna durch das päpstliche Besuchsprogramm, die von Katholiken wie Indigenen verehrte Großmutter Jesu. Ihr Festtag wurde am vergangenen Dienstag begangen.
An einem weiteren Ort, der ihrer Verehrung gewidmet ist, kam es zu einem Zwischenfall, der einen weiteren Kritikpunkt von kanadischer Seite aufgreift. Zu Beginn einer Messe am nationalen Wallfahrtsort Sainte-Anne-de-Beaupre forderten Indigene auf einem Transparent, Franziskus solle Aussagen früherer Päpste zur Legitimierung der Kolonialisierung widerrufen.
Konkrete Äußerungen erst auf dem Rückflug
Die sogenannte "Entdeckungsdoktrin" hatte ihren Ursprung in päpstlichen Urkunden des 15. Jahrhunderts. Europas Kolonialherrschern lieferte sie einen Vorwand, indigene Völker zu enteignen und zu entrechten und sie floss auch in spätere staatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung ein.
Bedingt konkret dazu äußerte sich Franziskus auch erst nach dem Abflug aus Kanada: Diese Doktrin der Kolonisierung, das stimme, sei schlecht und ungerecht und werde teils heute noch angewandt. Die Absicht, Dokumente seiner Vorgänger zu widerrufen, äußerte das Kirchenoberhaupt jedoch nicht.
Ein erster Schritt sei diese Reise gewesen, das war Konsens - bei Franziskus, Indigenen wie Politikern. Zugleich war sie aber auch Anstoß zu einigen konkreten Schritten, wie sie viele Kanadier bislang vermissen. So arbeiten laut Medienberichten kanadische Bischöfe mit dem Vatikan an einer Erklärung zur "doctrine of discovery".
Auch im Fall eines französischen Priesters, der mutmaßlich indigene Kinder missbraucht und sich nach Frankreich abgesetzt hatte, kommt Bewegung. Die Regierung in Ottawa bestätigte einen Auslieferungsantrag an Paris.
Fragen zur Rückgabe indigener Artefakte aus vatikanischen Museen oder die Forderung nach einer Öffnung von Kirchenarchiven zur weiteren Aufarbeitung der Geschichte der Residential Schools blieben bislang offen.
Klar ist: Wie sehr Franziskus das Thema am Herzen liegt, hat er allein mit der Reise gezeigt. Wie belastend seine Knieprobleme für ihn sind, war bei keinem der Termine zu übersehen. So kam der 85-Jährige auf dem Rückflug vor Pressevertretern zu der Erkenntnis, dass man Reisen in so einem Zustand eigentlich nicht machen kann.
Auch die Möglichkeit eines Rücktritts schloss er bei selber Gelegenheit nicht aus, obwohl er gerade nicht darüber nachdenkt. "Die Tür steht offen", so der Papst. Immerhin einen weiteren Spalt hat sich mit der Reise auch die Tür zur Aussöhnung mit den Indigenen geöffnet. Um sie zu durchschreiten, wird die katholische Kirche aber noch viele konkrete Schritte tun müssen - im Vatikan und in Kanada.