DOMRADIO.DE: Sie sind gebürtiger Spanier, leben aber seit über 20 Jahren in Deutschland und sind seit vier Jahren Kaplan in Düsseldorf. Als Priester des Neokatechumenalen Wegs kann Sie der Ortsbischof überall hin entsenden. Nun geht es Anfang September für Sie nach Angola, wo Sie im Priesterseminar Redemptoris Mater von Luanda Spiritual werden sollen. Was ging Ihnen durch den Kopf, als diese Anfrage kam?
Juan Riquelme Cano (Kaplan in der Seelsorgeeinheit Düsseldorfer Rheinbogen): (lacht) Mein erster Gedanke war: Was habe ich getan, dass ich das verdient habe? Aber im Ernst: Zum Sommer hätte ohnehin ein Stellenwechsel für mich angestanden und bei den sogenannten Perspektivgesprächen, die man dann mit der Personalabteilung des Generalvikariats führt, hatte ich den Wunsch geäußert, eine Zeit lang in die Mission zu gehen, bevor ich dann im Erzbistum Köln Pfarrvikar oder leitender Pfarrer werde. Da mir aber signalisiert wurde, dass man mich hier brauche, hatte ich wenig Hoffnung. Zu meiner großen Überraschung kam dann zwei Monate später ein Anruf. Der Kardinal würde meiner Bitte entsprechen und mir eine Stelle als Spiritual am Priesterseminar in Luanda anbieten. Ich wusste zunächst gar nicht, wo das ist und habe fälschlicherweise auch erst einmal Ruanda verstanden. Als man mir dann sagte, das sei die Hauptstadt von Angola, war ich richtig geschockt.
Auch wenn ich bislang meine Berufung immer so verstanden hatte, überall hin zu gehen, wo Gott mich haben will, hatte ich ausgerechnet dieses afrikanische Land nun überhaupt nicht auf dem Schirm, wobei mich weniger der Zielort Angola selbst erschreckt hat als vielmehr die Tatsache, dass ich Deutschland verlassen sollte. Schließlich lebe ich seit über 20 Jahren hier und empfinde dieses Land als meine zweite Heimat. Als erstes ging mir durch den Kopf, dass ich dieses Zuhause mit den Menschen, die mir hier vertraut geworden sind und mir nahe stehen, nie wiedersehen werde. Und da habe ich noch einmal diesen Abschiedsschmerz durchlebt, den ich damals hatte, als ich Spanien verlassen habe.
Also war meine erste Reaktion, dieses Angebot auszuschlagen. Zum Glück hatte ich Bedenkzeit, in der ich viel gebetet und auch mit Mitbrüdern gesprochen habe, die schon mal in Afrika waren. Und da habe ich mit einem Mal verstanden, was für ein Geschenk das ist, wenn mir der Erzbischof eine solche Zeit der Mission zugesteht, in der Erfahrungen auf mich warten, die ich so an keinem anderen Ort machen kann.
DOMRADIO.DE: Was genau fasziniert Sie denn an dem Gedanken, missionarisch in Afrika zu wirken?
Riquelme Cano: Das zu tun, was Gott will und nicht, was ich will. Damit habe ich immer gute Erfahrungen gemacht. Und dann reizt es mich, auf einem anderen Kontinent, wo die Menschen ein viel schwierigeres, entbehrungsreiches Leben führen, eine völlig andere Kirche zu erleben. Über Angola selbst weiß ich nichts. Aber schon vor meiner Weihe war mir diese Bereitschaft wichtig: den Weg, den Gott für mich erwählt hat, zu gehen und ihn mir nicht selbst auszusuchen. Das heißt, ich lege mein Leben ganz in die Hände Gottes.
So war es auch vor 20 Jahren, als ich nach Deutschland ausgesandt wurde, und auch später bei jedem weiteren Wechsel. Als Priester will ich offen für das sein, was Gott mit mir vorhat. Ich bin zu allem bereit, und das zeigt sich für mich darin anzunehmen, was der Bischof mir aufträgt. Bevor ich ins Priesterseminar eingetreten bin, habe ich Gott einen Blankoscheck ausgestellt, dass ich dorthin gehe, wohin er mich schickt. Und den löst Gott nun ein.
DOMRADIO.DE: Wie bereiten Sie sich auf das Leben in diesem südafrikanischen Staat vor? Sie sagen, Sie wissen nichts über Angola…
Riquelme Cano: Nein, absolut nichts. Ich springe ins kalte Wasser. Wie gesagt, ich hatte zunächst ja nicht einmal den Namen richtig einordnen können, weil ich ihn bis dahin noch nie gehört hatte. Inzwischen habe ich mich belesen, dass Angola ehemals portugiesische Kolonie war und reich an Rohstoffen ist. Erdöl und Diamanten sind die größten Einnahmequellen. Dank seiner natürlichen Schätze gehört das Land zu den zehn stärksten afrikanischen Volkswirtschaften.
Dennoch lebt ein großer Teil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Außerdem ist die Kriminalitätsrate hoch, Korruption und Menschenrechtsverletzungen sind weit verbreitet, der über 25-jährige Bürgerkrieg wirkt sich noch immer auf das alltägliche Leben aus. Die Säuglingssterblichkeit ist hoch, und immer wieder erkranken Menschen an Cholera, Malaria und Gelbfieber. Und klar, das erste, das ich nach meiner Landung tun werde, ist, Portugiesisch zu lernen. Wenigstens kann ich es einigermaßen gut verstehen, weil ich schon ein paar Mal in Portugal und Brasilien war.
DOMRADIO.DE: Mit welchen Gefühlen beginnen Sie nun dieses neue Leben weit ab der Heimat?
Riquelme Cano: Vor allem mit einer großen Unsicherheit. Einerseits verlasse ich meine Komfortzone, den deutschen Wohlstand, zu dem auch eine gute medizinische Versorgung gehört, aber auch meinen vertrauten Arbeitsplatz und die damit verbundene Geborgenheit. Andererseits bewegt mich sehr, wieder ganz auf Gottes Vorsehung zu vertrauen. Erst neulich hieß es im Tagesevangelium: "Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch." Aus einem solchen Wort beziehe ich die nötige Kraft.
Gleichzeitig freue ich mich natürlich auch und bin gespannt auf die Menschen, auf das Land und seine Natur… Da ist viel Neugierde mit dabei. Und dann sind erfahrungsgemäß Missionsaufenthalte ja auch nicht etwas gänzlich Neues für mich, weil ich als Seminarist des Redemptoris Mater schon zu Praktika in Nicaragua, in Costa Rica, in Albanien und einigen anderen Ländern war. Trotzdem: Emotional bin ich noch zwiegespalten, weil ich für diese neue Erfahrung auch eine Menge zurücklasse. Und das tut mir wirklich weh, weil ich vor allem die Menschen vermissen werde: die Gemeinschaft des Neokatechumenalen Wegs, meine Mitbrüder dort, die wie eine Familie für mich sind, aber auch die Menschen aus den Gemeinden in Brühl, Wuppertal und jetzt Düsseldorf, in denen ich als Kaplan tätig war und wo Freundschaften entstanden sind. Auch meine Patenkinder werden mir fehlen.
Es sind weniger die Bedingungen, die ich in Angola antreffen werde, die mir Angst machen. Schwerer wiegen die totale Umstellung und die große Verantwortung. Denn mir ist bewusst, dass die Menschen dort in den letzten Jahren viel Leid erfahren haben und ein Großteil der Bevölkerung unter bitterer Armut leidet. Umso mehr freue ich mich, als Priester an einen Ort zu gehen, wo die Verkündigung der guten Nachricht, das Evangelium, dringend notwendig ist und ich damit – so Gott will – den Menschen Ermutigung und Trost bringe.
DOMRADIO.DE: An diesem Ruf nach Afrika, dem Sie folgen, wird Ihre Verfügbarkeit deutlich, die Teil der Spiritualität des "Camino", des Neokatechumenalen Wegs, ist. Dazu haben Sie "Ja" gesagt, als Sie zum Priester geweiht wurden. Und nun brechen Sie in eine ungewisse Zukunft mit großen Herausforderungen auf. Ist das nicht auch eine "Zu-Mutung" im eigentlichen Sinne, dass Ihnen da jemand diese neue Aufgabe zutraut?
Riquelme Cano: Ich kann nur noch einmal betonen: Es fällt mir wirklich ungemein schwer, eben weil ich hier in den letzten zwei Jahrzehnten heimisch geworden bin. Ja, menschlich betrachtet, ist dieser Abschied in der Tat eine große Zumutung. Trotzdem: Mich schickt nicht irgendjemand, sondern Gott. Bisher habe ich immer hinter den großen existenziellen Entscheidungen in meinem Leben die Hand Gottes, seinen Willen, erkannt. Und mit diesem Vertrauen, mit diesem Glauben, habe ich mich damals auch von Spanien auf den Weg nach Deutschland gemacht, was genauso eine Zumutung war. Ich hatte einen Beruf als Tierarzt, und auf einmal habe ich meine Zelte abgebrochen und alles zurückgelassen, was auch für meine Familie nicht einfach war. Per Losverfahren – wie es im Rahmen eines Einkehrtages beim Neokatechumenat üblich ist – war mir damals Deutschland zugefallen. So bin ich hierher gekommen. Es hätte aber auch genauso gut Japan oder Australien sein können.
Ich selbst habe dahinter immer das große Zutrauen Gottes gesehen. Ohne dieses Zutrauen wäre ich heute kein Priester und auch nicht in Deutschland. Und natürlich wäre mir auch nie in den Sinn gekommen, nach Angola zu gehen – gerade, weil ich in Köln sehr glücklich bin. Den Willen Gottes zu tun, macht mir aber Freude. Immer wenn er es war, der mich geführt hat – das ist meine Erfahrung – hatte ich ein erfülltes Leben, selbst wenn aller Anfang schwer war. Und ein solches erfülltes Leben erhoffe ich mir nun auch in Angola.
DOMRADIO.DE: Über 40 Prozent der angolanischen Bevölkerung sind katholisch. Die Kirche unterstützt das Bildungs- und Sozialwesen, gibt Orientierung und schafft Gemeinschaft. Mit welchen Erwartungen oder Hoffnungen beginnen Sie Ihre weltkirchliche Arbeit in Angola?
Riquelme Cano: Mit der Hoffnung, dass ich Menschen finde, die nach den Verletzungen und Leiden in der Vergangenheit nach Gott hungern und ich ihnen als Priester Hoffnung und Trost geben kann. Das macht für mich einen großen Unterschied zwischen Arm und Reich, Europa und Afrika aus, dass gerade die Länder, die im Wohlstand leben, meinen, Gott nicht zu brauchen. Wo Menschen arm sind und viel leiden, gibt es dagegen noch einmal eine ganz andere Offenheit für das Wort Gottes, auf das sie sehnlichst warten, weil sie sich davon eine Linderung ihrer Not versprechen. Eigentlich würde das auch für europäische Länder gelten oder selbstverständlich auch für Deutschland – denn arm meint ja nicht nur materielle Not – aber hier fällt Gottes Wort nicht immer auf fruchtbaren Boden, weil die Menschen zu satt sind. Das ist sicher in Angola anders, und deshalb werde ich dort bestimmt noch einmal sehr viel mehr gebraucht, auch weil die Menschen sich vor allem nach dem Empfang der Sakramente sehnen.
Trotzdem ist die Aufgabe als Spiritual für mich natürlich völlig neu. Bisher war ich als Kaplan in den Gemeinden ja vor allem bei der Tauf-, Kommunion- oder Firmpastoral eingesetzt. Natürlich führe ich ein geistliches Leben und habe Vorbilder in meinen eigenen Spiritualen, aber das ist dann auch schon alles. Und da sind wir dann wieder bei der "Zu-Mutung".
Afrika ist bestimmt zunächst einmal ein großes Abenteuer, aber wenn man den Dienst als Spiritual ernst nimmt, ist das vor allem eine große Herausforderung, weil ich ja nochmals ganz anders als bisher im Dienst an jungen Menschen stehe, die ich geistlich begleite. Dieser Verantwortung werde ich ohne Gottvertrauen nicht gerecht werden können. Berufungsgeschichten – das weiß ich aus eigener Erfahrung – verlaufen nicht immer gradlinig. Ich selbst wollte zunächst auch überhaupt nicht Priester werden, habe erst Tiermedizin studiert und mich lange gegen Gott gewehrt. Priester zu werden kann von daher auch Kampf bedeuten. Es braucht immer wieder das Gebet und viele Gespräche. Von daher bringe ich zwar keinerlei Erfahrung als Spiritual mit, aber mein eigenes Ringen um die richtige Berufung. Und davon gebe ich gerne etwas ab. Denn alle Fragen, die sich auf einem Berufungsweg stellen, kenne ich selbst nur allzu gut.
DOMRADIO.DE: Nicht zuletzt – Sie sagten es schon – geben Sie hier auch Ihre neokatechumenale Gemeinschaft auf, die für Sie wie eine zweite Familie ist. Wie sehr trägt Ihr Glaube, mit diesem Schritt das Richtige zu tun, und die Hoffnung, damit anderen zum Segen zu werden?
Riquelme Cano: Der Glaube ist die Grundlage. Zu glauben bedeutet nicht, sich in ein großes Nichts zu werfen, sondern ist die Antwort auf einen Ruf. Und weil ich in meinem Leben oft erfahren habe, dass Gott treu ist, bin ich heute überhaupt nur in der Lage, diesen gewaltigen Schritt zu machen: nämlich, weil ich in den letzten 20 Jahren erfahren habe, dass Gott da ist. Andere, auch meine eigene Familie, haben mich damals für verrückt erklärt, als ich 2003 in Spanien alles stehen und liegen gelassen habe. Aber ich habe Gottes Treue gespürt, denn er hat mir eine neue Heimat und eine neue Familie geschenkt. Nur mit dieser konkreten Erfahrung kann ich nun den nächsten Schritt machen und versuchen, für andere zum Segen zu werden.
Zufall oder Fügung? An dem Wochenende, als die Entscheidung mit Angola anstand, gab es die Lesung vom Opfer Isaaks. Abraham sollte seinen einzigen Sohn opfern. Und die Geschichte endet mit den Worten: "Du sollst ein Segen sein!" Dieser Appell, der wie ein Auftrag klang, hat mich tief im Herzen berührt, weil ich plötzlich klar hatte, was zu tun ist. Die Zeit in Deutschland habe ich immer als Geschenk, ja als Gnade, empfunden. Jetzt aber sagt Gott zu mir: "Juan, komm, opfere mir dieses Leben, geh nach Angola, ich werde für dich sorgen und dich segnen, damit auch du anderen zum Segen wirst."
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.