DOMRADIO.DE: Verdient das Wort "biodeutsch" den Titel "Unwort des Jahres" zu Recht?
Bruder Paulus Terwitte (Kapuziner, Seelsorger und Medienethiker): Ich finde es richtig, dass dieses Wort zum Unwort erklärt wird, weil es unsinnig ist. Denn es gibt gar keine Biodeutschen, wie es auch keine Bio-Westfalen, Bio-Bayern und Bio-Sachsen gibt. Vielmehr sind wir alle Menschen und tragen alle das eine gleiche Gen in uns, nämlich die Würde, die Gott einem jeden Menschen qua Menschsein gegeben hat.
DOMRADIO.DE: Wer, wenn nicht die Kirche, weiß, welche Macht Worte haben? Warum ist so ein harmlos dahergekommenes Wort wie "biodeutsch" so gefährlich?
Bruder Paulus: Das sind Schlagworte, die einen komplexen Sachverhalt plötzlich meinen vereinfachen zu können, um dann zu einer einfachen und schlichten Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß zu kommen. Das behindert das Denken und auch eine herzliche Zuwendung zu den einzelnen Menschen.
Das ist eine Wortwahl, die letztlich Schläge austeilt, die Menschen treffen soll, die hier bei uns und mit uns leben. Das trifft Menschen, die übrigens auch unser Wirtschaftssystem, unser Pflegesystem sowie die Städte in der Reinigung und sonst wo unterstützen. Wir haben auch in den Universitäten Menschen, die zu uns gekommen sind. Gott sei Dank.
Vor 40, 50 Jahren war Deutschland noch ganz froh, dass wir aus Spanien, Polen und anderen Ländern Menschen bekommen haben, die bei uns einfach mithelfen wollten.
DOMRADIO.DE: Also Worte können auch Waffen sein?
Bruder Paulus: Worte sind Waffen. Das wissen wir natürlich auch im Journalismus. Wir haben eine Zeitung in Deutschland, die geradezu mit Einzelwörtern immer wieder neu Stimmung macht. Da müssen wir uns bewusst werden, dass das Wort dazu da ist, um uns Menschen zu dienen, und dass es immer eine konstruktive Kraft sein will.
Jede Form von Demagogie, die Menschen versucht hat das Denken auszuschalten oder in die Irre zu führen, sind ganz schlimme Möglichkeiten, die tatsächlich auch das Wort in sich tragen. Darum braucht es einen Gewissen, das prüft, ob die Worte, die wir benutzen, auch wirklich die Würde des Menschen im Blick hat, ob sie der Gerechtigkeit dienen und letztlich auch Frieden stiften.
DOMRADIO.DE: Ein anderes Wort, das gerade für Wirbel sorgt, ist Abschiebeticket. Die AfD in Karlsruhe hat Flyer verteilt, die wie Flugtickets für illegale Einwanderer aussehen und darüber steht "Abschiebeticket". Die Polizei ermittelt wegen möglicher Volksverhetzung. Aber wie kann man selber damit umgehen, wenn einen ein solches Wort fassungslos macht? Wie kann man solche Waffen-Worte entschärfen?
Bruder Paulus: Wenn uns diese Worte begegnen, dann müssen wir sofort die rote Karte zeigen und sagen: Das möchten wir gar nicht in unserem Sprachschatz haben. Und wir möchten auch nicht, dass Mitbürgerinnen und Mitbürger so angegangen werden. Denn wir sind in dieser Welt alle eine einzige Bürgerschaft, eine einzige Menschheit.
Es braucht natürlich Entschiedenheit in der Ordnung in dieser Welt, das ist gar keine Frage. Aber das muss auf Augenhöhe, unter Wahrung des Rechtes und der Berücksichtigung der Einzelschicksale erfolgen. "Abschiebeticket" ist wieder so ein Wort, das letztlich das Denken ausschalten soll.
Meine große Befürchtung ist, dass diese Unwörter, die erfunden werden, Menschen davon abhalten sollen, sich differenziert Gedanken zu machen.
DOMRADIO.DE: Wie kann man sich denn ganz praktisch gegen solche Wörter und deren Wirkmacht wehren, wenn sie immer und immer wiederholt werden?
Bruder Paulus: Ich glaube, dass wir uns bei dem Gebrauch der Wörter, wie sie als Schlagwörter in dieser Welt gebraucht werden, selber fragen, in wie weit wir auch Wortpflegende sind.
Da habe ich schon ein bisschen Bedenken, dass die Menschen zu wenig lesen und sich einfach auch zu wenig in der Vielfalt der Möglichkeiten vertiefen, sich auszudrücken. Das beste Mittel gegen Schlagwörter ist eigentlich Literatur zu lesen und auch die Bibel zu lesen, um sich einen guten Wortschatz anzueignen, der die Vielfalt in dieser Welt im Blick hat und auch hilft, in der Vielfalt dieser Welt die richtigen Worte zu finden.
Das Interview führte Dagmar Peters.