DOMRADIO.DE: Wo genau in der Ukraine sind denn Ihre Mitbrüder?
Bruder Paulus Terwitte OFMCap: Die sind an verschiedenen Stellen und ehrlich gesagt: Die Namen von diesen Orten weiß ich nicht, weil ich die Sprache dort nicht spreche. Ich habe jetzt noch mal genauer nachgelesen, dass es in der Ukraine sieben Brüdergemeinschaften gibt, 36 Brüder, von denen die Hälfte aus der Ukraine kommen, die anderen aus anderen Ländern.
Wir sind als Orden sehr davon betroffen, dass jetzt alle in Angst sind und gleichzeitig sagen diese Brüder, dass sie vor Ort bleiben. Sie wollen bei den Menschen sein. Sie nehmen Menschen auf und sind Zufluchtsort vor den Bombenangriffen. In den Kirchen wird gebetet und die Brüder versuchen für alle eine Stütze zu sein.
Wir haben die Brüder gebeten, alles, was sie haben, herauszugeben und wir werden ihnen aus unseren Ordensmitteln dann Sachen bringen und zukommen lassen. Sie wollen dort helfen und wir wollen sie unterstützen. Aber es ist einfach furchtbar.
DOMRADIO.DE: Wie sind Sie miteinander in Kontakt, was genau ist über ihre Situation bekannt?
Br. Paulus: Wir sind in Kontakt über unseren Generalminister. Ich habe keine persönlichen Kontakte dahin. Unser Generalminister hat aber natürlich Beauftragte, die mit diesen Brüdern telefonieren, per Zoom etwa. Deswegen sind sie sehr genau informiert, was dort gerade stattfindet. Die Sachlage ändert sich natürlich immer wieder, aber es ist für die Brüder herzzerreißend, sagt der Generalminister. Sie sehen einerseits ihre Eltern in Gefahr, die eigenen Geschwister, wollen natürlich am liebsten nach Hause und für den Vater, für die Mutter da sein. Gleichzeitig stürmen die Menschen die Kirchen und die Klöster und wollen vor Ort auch Hilfe haben. Es ist einfach Chaos.
DOMRADIO.DE: Sie werden jetzt von Deutschland aus alles tun, um die Brüder vor Ort zu unterstützen. Wie genau wird das ablaufen?
Br. Paulus: Unser Generalminister in Rom ist verantwortlich, zusammen mit einem Büro für internationale Solidarität, die jetzt dort koordinieren und besprechen, was möglich ist. Natürlich haben wir in Polen Brüder, das ist naheliegend, dass die jetzt besonders aktiv und aktiviert werden. Wir warten eigentlich darauf, dass von dort auch Hilfeanfragen kommen, die von uns natürlich auch positiv beantwortet werden. Aber das ist ja alles erst ganz frisch und das muss sich erst noch alles aufbauen.
DOMRADIO.DE: Da ist die Angst um die Mitbrüder. Da ist aber auch die Ohnmacht, ihnen jetzt im Augenblick nicht persönlich wirklich zur Seite stehen zu können. Damit muss man erst mal klarkommen. Wie gehen Sie damit um?
Br. Paulus: Ich würde am liebsten sagen, ich packe hier alles und gehe dahin und weiß auch, dass das einfach wahnsinnig ist. Aber ich habe Leute in Frankfurt getroffen, die mir ganz verzweifelt sagen, dass sie es nicht mehr aushalten und helfen wollen. Man möchte etwas tun, ist gefangen und Aschermittwoch heute ist vielleicht der richtige Tag, wo man in Sack und Asche geht wegen der Menschheit. Man schämt sich einfach für die Menschheit und dass man nichts aufhalten kann. Da kommen in einem ja auch Sachen wie Rache auf. Das ist ja ein ganz schlechter Ratgeber und ich bete für die Politikerinnen und Politiker, dass sie da standfest und klar sind. Aber gegen die Aggression muss eine Gegenaggression kommen. Ich kann es auch nicht ändern. Es ist leider so.
DOMRADIO.DE: Die meisten hatten gedacht, dass wir diese Art von Krieg in Europa hinter uns gelassen hatten. Putin belehrt uns jetzt eines Besseren. Blickt uns da das schiere Böse entgegen?
Br. Paulus: Für mich ist das schon so. Putin zeigt mit seinen Entscheidungen, dass es offensichtlich möglich ist, immer noch möglich ist in dieser Welt, dass Befehlshaber über Menschen so befehlen können, dass die sich mit gefangen nehmen lassen im Sinne von "Wir ziehen los". Wir hören ja auch jetzt Berichte, dass dort Soldaten unterwegs sind, die überhaupt gar nicht wussten, dass sie in einen Krieg ziehen. Die dachten, dass es eine Übung sei. Da merkt man auch wie perfide das ganze System ist. Da ist für mich schon so etwas Teuflisches dran, das es ja leider nicht nur in Russland gibt. Aber jetzt ist es so, dass da ganze Nationen von betroffen sind, es fallen Bomben und es werden furchtbare Sachen in Gang gesetzt. Da muss man irgendwie sagen, das Böse in dieser Welt ist gegenwärtig und wir müssen allesamt aufpassen, dass wir uns ihm immer wieder neu in Klarheit nicht unterwerfen.
DOMRADIO.DE: Da hilft nur Beten, sagen wir manchmal mit Blick auf eigentlich hoffnungslose Situationen. Kann das auch jetzt gelten?
Br. Paulus: Ich hätte schon beinahe gesagt, als Selbsttherapie auf jeden Fall. Wir sind heute in unserem Morgengebet dem Aufruf von Papst Franziskus gefolgt und haben stille Minuten des Schweigens gehabt und haben uns dem Psalmengebet angeschlossen, "Oh Gott, komm mir zu Hilfe". Nie war das ein dringenderer Ruf im Stundengebet, den wir immer wieder sprechen, als heute.
DOMRADIO.DE: 69 Prozent der Deutschen haben jetzt Angst vor einem Weltkrieg. Was kann man tun, um sich von so einer Angst nicht lähmen zu lassen?
Br. Paulus: Realistisch bleiben und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, den Verstand einschalten und den Politikerinnen und Politikern vertrauen, die wir gewählt haben. Wir sehen ja, dass sie ihre Meinungen auch ändern und der Situation anpassen. Wir hatten gedacht, dass wir mit Friedensbewegungen und mit guten Gedanken die Welt in den Frieden führen können. Aber es kann ja niemand in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Offensichtlich gibt es böse Nachbarn und Russland, muss man wirklich sagen, ist ein Land voller toller Menschen. Die orthodoxe Kirche ist dort und selbst die Kirche dort ist gelähmt, als Werkzeug des Friedens tätig zu werden, weil sie zu nah mit dem Staat verbandelt ist. Da sind auch Enttäuschungen im Spiel. Ich wünschte mir sehr, dass an vielen Stellen Christen jetzt in Einheit aufstehen und sagen: "Es sind unsere Brüder und Schwestern, es sind unsere Mitmenschen und wir lassen uns das nicht gefallen, dass irgendein Einzelner mit der politischen Gewalt, die er hat, so viel Unglück über die Menschheit hereinbrechen lässt".
Das Interview führte Hilde Regeniter.