Er sieht sich als Opfer eines Komplotts, als Betrogener, als rechtschaffener Kirchenmann: Giovanni Angelo Becciu, Kardinal aus Sardinien, muss sich ab Dienstag vor dem vatikanischen Strafgericht verantworten. Dem 73-Jährigen werden Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Verleitung zu einer Falschaussage vorgeworfen. Mit ihm auf der Anklagebank sitzen acht Männer und eine Frau, darunter Geistliche, Banker, Anwälte. Die Vorwürfe gegen die restlichen Angeklagten wiegen schwerer: Geldwäsche, Erpressung, Korruption, Unterschlagung und Betrug. Wie lange sich der Prozess hinziehen und was am Ende herauskommen wird, ist offen. Ein päpstlicher Paukenschlag ist es jetzt schon.
Beccius Karriere
Hinter dem promovierten Kirchenrechtler Becciu liegen 36 Jahre Kuriendienst, eine glänzende Laufbahn als Vatikandiplomat in Afrika, Europa, Neuseeland und den USA, dann als Nuntius in Angola, Sao Tome und Principe und schließlich Kuba. 2011 gab ihm Benedikt XVI. das Amt des Substituten, eine Schlüsselposition in der Kurienverwaltung, die er sieben Jahre lang ausübte. Becciu war für zentrale personelle und finanzielle Angelegenheiten in der Kirchenleitung zuständig.
Als der Malteserorden 2017 in einer Leitungskrise steckte, machte Franziskus Becciu zu seinem Sondergesandten. Im Herbst 2018 berief er ihn an die Spitze der Heiligsprechungskongregation, nachdem er ihn kurz zuvor zum Kardinal ernannt hatte. Mancher stutzte damals schon.
Vorwürfe gegen Sarde
Der 73-jährige Sarde gilt als machtbewusst und bestens vernetzt. Unter anderem trat er als Substitut mit dem damaligen vatikanischen Wirtschaftschef Kardinal George Pell in einen Konflikt um Kompetenzen bei der Vermögenskontrolle. Spätestens im Oktober 2019 jedoch geriet die Welt des Kardinal Becciu ins Wanken.
Am 1. Oktober führte die Vatikan-Gendarmerie eine Razzia im Staatssekretariat und in der vatikanischen Finanzaufsicht AIF durch.
Fünf Mitarbeiter wurden suspendiert. Hintergrund und nun Schwerpunkt der Anklageschrift ist eine vom Staatssekretariat genehmigte verlustreiche Investition einer dreistelligen Millionensumme in eine Immobilie in London sowie die Deals und Provisionen drum herum.
Mitangeklagte
Dabei vertraute der Vatikan Recherchen zufolge weitgehend auf einzelne italienische Geschäftsfreunde wie die Finanzmanager Raffaele Mincione und Enrico Crasso, die nun mit Becciu auf der Anklagebank sitzen. Offenbar flossen auch Spenden aus dem Peterspfennig in ein teuer bezahltes Geschäftshaus in der Sloane Avenue im Londoner Stadtteil Chelsea.
Im September 2020 traf Becciu der wahre Blitz. Franziskus entband ihn von seinem Amt als Kurienpräfekt und nahm ihm "die mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte". Gründe nannte der Vatikan nicht.
In einer eigenen Pressekonferenz am Tag danach machte Becciu seinem Unverständnis Luft, beteuerte Unschuld. Im Anschluss spekulierten italienische Medien, er habe seinen Posten im Staatssekretariat auch genutzt, um Familienangehörige in Sardinien bei fragwürdigen Sozialprojekten zu unterstützen.
Geld für private Luxusgüter?
Auf diese Vorwürfe geht die Anklageschrift nicht ein; wohl aber auf seine Beziehung zu der nicht weniger fragwürdigen Sicherheitsberaterin Cecilia Marogna. Ihr bzw. ihrer slowenischen Briefkastenfirma gab Becciu aus den Kassen des Staatssekretariates gut 500.000 Euro, die sie wohl vorrangig für private Luxusgüter ausgab. Marogna geriet auch in den Fokus der italienischen und slowenischen Justiz.
Becciu beteuert weiter seine Unschuld. "Der Prozess wird zeigen, dass ich immer ehrlich gehandelt habe", erklärte er nach der Prozessankündigung. Mehrfach schon drohte er Medien, die ihm diverse Vergehen zur Last legten, mit Verleumdungsklagen. Bei einer Klage forderte er Schadenersatz in Millionenhöhe. Die Berichterstattung habe seine künftigen Kandidatenchancen auf das Papstamt zerstört.
Nicht auf der Anklagebank, sondern auf der Seite der Nebenkläger sitzt indes Beccius früherer Vorgesetzter, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Und auch seinem Nachfolger Egdar Pena Parra, der bereits seit 2018 die Rolle des Substituten einnimmt, wird in diesem Prozess bislang nichts vorgeworfen. Ob sich das mit Prozessbeginn ändert, bleibt abzuwarten.