Kardinal Hollerich zieht erste Bilanz als COMECE-Präsident

EU-Politik nimmt Kirche als moralische Autorität wahr

Wenige Wochen vor Ende seines Mandates als COMECE-Präsident hat Kardinal Jean-Claude Hollerich am Montag Papst Franziskus getroffen. Gegenüber Radio Vatican zog der Erzbischof von Luxemburg danach eine erste Bilanz der Amtszeit.

Autor/in:
Anne Preckel
Kardinal Jean-Claude Hollerich / © Sven Becker (KNA)
Kardinal Jean-Claude Hollerich / © Sven Becker ( KNA )

Bei der Unterredung mit Papst Franziskus sei es unter anderem um den Ukraine-Krieg gegangen, sagte er gegenüber Radio Vatican im Anschluss in einem Bilanzinterview zu seiner Amtszeit. Hollerich kommentierte dabei auch den aktuellen Korruptionsskandal im EU-Parlament.

Mandat endet im März 2023

Kardinal Hollerichs Fünf-Jahres-Mandat an der Spitze der Kommission der katholischen Bischofskonferenzen in der Europäischen Union (COMECE) läuft im März aus: In dieser Funktion hat er sich an diesem Montag bei Papst Franziskus verabschiedet; begleitet wurde Hollerich vom COMECE-Vizepräsidenten, dem Essener Bischof Franz-Josef Overbeck.

Papst Franziskus begrüßt Jean-Claude Hollerich, den Präsidenten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) und Erzbischof von Luxemburg, im Oktober 2021 im Vatikan. / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus begrüßt Jean-Claude Hollerich, den Präsidenten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) und Erzbischof von Luxemburg, im Oktober 2021 im Vatikan. / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

"Wie immer war die ganze Atmosphäre geprägt von der Persönlichkeit des Papstes", berichtete Kardinal Hollerich nach der Begegnung gegenüber Radio Vatikan. "Wir haben einen Papst, für den Europa und die europäische Integration sehr wichtig ist, der darin eine Chance für Frieden sieht. Und wir haben viel über den Krieg in der Ukraine gesprochen."

Großes Leid in Ukraine

Im Interview mit Radio Vatikan erinnert Kardinal Hollerich an das große Leid der Menschen in der Ukraine. Vor diesem Hintergrund dürfe nichts unversucht bleiben, um Frieden zu erwirken: "Es sterben Menschen. Menschen leiden, Menschen werden verletzt. Menschen werden krank. Menschen frieren, Menschen haben Hunger. Und deshalb müssen wir alles tun, um dieses schwere Schicksal von den Leuten abzuwenden. Wir müssen alles versuchen, wirklich alles, um Frieden herzustellen."

Zuletzt hatte es Signale gegeben, die einen Dialog zur Beendigung des Krieges möglicher scheinen lassen. Wo sieht Kardinal Hollerich aktuell einen realistischen Weg zu Deeskalation und Frieden für die Ukraine? Der COMECE-Präsident hofft zumindest auf einen Waffenstillstand:

"Ich glaube, dass Russland doch sehr geschwächt ist. Allerdings sollte man sie auch nicht unterschätzen. Aber wenn wir einen Frieden anbieten, muss das ein Friede sein, wo beide Parteien ihr Gesicht wahren können. Und das ist wohl das Schwierigste. Bisher, glaube ich, heben die Kirche und der Heilige Stuhl interveniert bei eher humanitären Fragen. Und es wäre schön, wenn wir zu einem Waffenstillstand oder zu einem Frieden kommen könnten."

Erfolge im Dialog mit europäischen Institutionen

Zur Frage, was die COMECE-Kommission in den letzten Jahren im Dialog mit den europäischen Institutionen erreichen konnte, zieht Kardinal Hollerich eine positive Bilanz. Er erwähnt insbesondere die Eingaben der EU-Bischofs-Kommission zu Fragen der Menschenrechte und zur Religionsfreiheit: "Ich bin ganz zufrieden. Wir haben ja ein Sekretariat in Brüssel, wo auch viele Spezialisten arbeiten, die die verschiedenen Dossiers, Projekte der EU verfolgen und die auch aktiv mitarbeiten, die Vorschläge machen. Manchmal werden wir direkt gefragt. Wenn man auf die ganzen fünf Jahre zurückschaut, denke ich etwa an Frau Mogherini und dass wir gefragt worden sind, Punkte für die Achtung der Menschenrechte in der Außenpolitik auszuarbeiten, insbesondere zur Religionsfreiheit. Und da konnten wir uns sehr positiv einbringen."

Eingangsschild am Sitz der COMECE in Brüssel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eingangsschild am Sitz der COMECE in Brüssel / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Hollerich erinnert daran, dass die Organe der Europäischen Union zu einem "strukturierten, offenen Dialog mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften verpflichtet sind (Artikel 17 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV, eingeführt mit dem Vertrag von Lissabon). Dieser Dialog zwischen Politik und Religionsvertretern finde einerseits "auf hohem Niveau" statt und bestehe zudem "auch in sehr vielen kleinen Kontakten". "Wir werden schon gehört, weil wir mit einer moralischen Autorität sprechen. Und ich glaube, dass die Politik sehr froh ist, dass es eine moralische Autorität gibt, die Sachen offen aussprechen kann, was Politikern manchmal schwerer fällt."

Korruptionsskandal eine Belastung

Aktuell belastet ein Korruptionsskandal im EU-Parlament rund um die griechische Vizepräsidentin Eva Kaili und weitere Personen die Staatengemeinschaft. Wird der Skandal das Vertrauen der Bürger in die EU-Institutionen weiter schwächen? Kardinal Hollerich deutet die laufenden Untersuchungen als positives Zeichen und hofft auf Seiten der Bürger auf Unterscheidungsvermögen, wie der Jesuit gegenüber Radio Vatikan ausführt.

"Ich hoffe, dass die Leute verstehen, dass der Korruptionsskandal aufgeflogen ist. Dass Verbrechen geahndet werden, ist an sich ein Erfolg! Und auch der Präsident des Europaparlaments hat ja sehr schnell reagiert und die Vizepräsidenten von diesem Mandat entbunden. Man sieht, dass das EU-Parlament wirklich demokratische Werte wahrnimmt, gegen Korruption ist und auch konsequent agiert. Aber es schadet natürlich ungeheuer dem Ruf des Parlamentes – das dort auch noch gerade eine Vizepräsidentin für Korruption anfällig war."

Herausforderungen von Brexit bis Corona

In Hollerichs Amtszeit war Anfang 2020 der Austritt des Vereinigten Königsreiches (UK) aus der Europäischen Union gefallen – nach 47 Jahren Mitgliedschaft. Den Brexit habe er als "sehr traurige Angelegenheit" erlebt, so Hollerich.

Symbolbild Brexit / © Pixelbliss (shutterstock)

"Wir hatten ja auch in der COMECE die Bischöfe von England und Wales, die Bischöfe von Schottland vertreten, und wir laden sie noch immer ein als Beobachter, weil man auch sieht, dass sie noch immer am europäischen Integrationsprozess interessiert sind. Ich glaube auch, dass man jetzt mit etwas Abstand sieht, dass viele Engländer ihre Meinung geändert haben. Sie sehen jetzt, dass die Versprechungen doch sehr populistisch waren, nicht alle gestimmt haben und dass sie einen bitteren Preis für den Brexit zahlen müssen. Aber der Brexit ist da. Wir müssen damit leben. Nur müssen wir dieses Zusammenleben im Vereinten Königreich so gut wie möglich gestalten, ohne Spannungen und in Harmonie."

Die Corona-Pandemie habe er am Anfang als "ein Scheitern Europas" erlebt, denkt Kardinal Hollerich an den Beginn der Pandemie zurück.

"Man fand wieder zurück zu den Nationalismen. Als Luxemburger war das sehr komisch, in einem Land zu leben, wo die Grenzen gesperrt waren. Dann wird plötzlich Luxemburg sehr klein. Und es kamen auch wieder solche Attitüden auf von Nationalismus, die Gespenster der Vergangenheit kamen wieder hervor. Dann hat die EU agiert und gut agiert, und diese Gespenster wurden wieder vertrieben. Aber es muss uns eine Lehre sein: Die Gespenster der Vergangenheit sind noch nicht tot. Wir müssen alles tun, damit diese Gespenster gebannt bleiben und wir ein friedliches Europa zusammen erleben können. Und auch der neuen Generation ein friedliches Europa hinterlassen können."

Information der Redaktion: Lesen Sie hier den Beitrag von Radio Vatikan

Die EU-Bischofskommission COMECE

Etwa die Hälfte der Bewohner in der Europäischen Union sind nach Vatikan-Angaben Katholiken. Um den Dialog mit EU-Institutionen zu pflegen und Anliegen der katholischen Kirche zu Gehör zu bringen, unterhalten die Bischofskonferenzen der 27 Mitgliedstaaten eine eigene Kommission, die COMECE. Die Abkürzung steht für das lateinische "Commissio Episcopatum Communitatis Europensis".

Eingangsschild am Sitz der COMECE in Brüssel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eingangsschild am Sitz der COMECE in Brüssel / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
rv