Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch hat laut Medienberichten erstmals nach Erscheinen der Schweizer Missbrauchsstudie Fehler eingeräumt. Der heutige Ökumeneminister des Papstes soll in seiner Zeit als Bischof von Basel (1996 bis 2010) Missbrauchsvorwürfe gegen einen Priester weder der Polizei noch dem Vatikan gemeldet haben.
"Von heute aus betrachtet muss ich eingestehen, dass dieses Vorgehen nicht zufriedenstellend funktioniert hat und dass es ein Fehler gewesen ist, die vorgesehenen Maßnahmen nicht ergriffen zu haben", sagte er dem Schweizer "Sonntagsblick". "Ich bedaure dies vor allem im Hinblick auf die Opfer, wenn dieses Vorgehen bei ihnen den Eindruck erweckt haben sollte, von uns nicht ernst genommen worden zu sein", so der 73–Jährige. "Dafür bitte ich um Entschuldigung."
Keine Absicht zu Vertuschen
Koch sagte dem Boulevardblatt, man habe die Akte des besagten Priesters im damaligen Personalamt zuerst persönlich bearbeiten und abklären wollen. Dieses Vorgehen habe nicht die Intention gehabt, irgendetwas vertuschen zu wollen, so der Kardinal.
Laut der am 11. September veröffentlichten Studie der Universität Zürich geht es um einen 2019 gestorbenen Priester, der einen Neunjährigen geküsst sowie Minderjährige in die Sauna eingeladen und sie aufgefordert haben soll, sich bei Jugendgruppenausflügen öffentlich auszuziehen.
Nicht an den Vatikan gemeldet
Obwohl sich mehrere Betroffene ab 2003 beim Bistum Basel mit Missbrauchsvorwürfen gemeldet hätten, habe der damalige Bischof Koch entgegen der kirchlichen Leitlinien weder eine Voruntersuchung eingeleitet noch den Fall nach Rom gemeldet. Auch Kochs Nachfolger in Basel, Felix Gmür, habe nichts unternommen. Das Bistum Basel erklärte dazu, Gmür sei davon ausgegangen, "dass der damalige Bischof Kurt Koch alles nach bestem Wissen und Gewissen gemacht habe".
Der beschuldigte Priester hatte dem Bistum Basel laut der Studie in einer Erklärung versichert, dass es nie "in irgendeiner Form zu sexuellen Kontakten zwischen ihm und Kindern/Jugendlichen gekommen" sei. Auch bis zu seinem Tod 2019 mit rund 75 Jahren wurden demnach weitere Vorwürfe gegen ihn erhoben.
Über 900 Betroffene – nur die Spitze des Eisbergs
Bei der Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz identifizierten Historikerinnen der Uni Zürich seit Mitte des 20. Jahrhunderts 1.002 Fälle, 510 Beschuldigte und 921 Betroffene. Die beiden Studienleiterinnen gehen jedoch mit Blick auf frühere Forschungen im Dunkelfeld davon aus, dass dies nur "die Spitze des Eisbergs" sei. Eine umfassende Studie soll folgen.
Die Studienautoren hatten den Vatikan aufgefordert, Einblick in Akten in Zusammenhang mit Schweizer Missbrauchsfällen zu gewähren. Diese Frage müsse man "gemeinsam analysieren", sagte der zuständige Chef der vatikanischen Glaubensbehörde, Kardinal Victor Manuel Fernandez, dem "Sonntagsblick".
Geheimhaltung der Archive
"Auf der einen Seite wollen wir Transparenz. Auf der anderen Seite gibt es in den Archiven Zeugenaussagen von Menschen, die um absolute Geheimhaltung gebeten haben", so der neu ernannte Kardinal. "Wir können dem Willen dieser Menschen nicht widersprechen."
Auch Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin verwies gegenüber dem Boulevardblatt darauf, dass diplomatische Akten der Geheimhaltung unterlägen. Auf die Frage, ob eine punktuelle Einsicht nur in Missbrauchsakten denkbar sei, sagte er: "Das können wir prüfen". Die Schweizer Bischöfe hätten sich noch nicht bei ihm gemeldet. "Aber wenn eine Anfrage kommt, werden wir sie prüfen", sagte Parolin dem "Sonntagsblick".
Öffnung des Nuntiatur-Archivs möglich?
Vor einer Woche hatte die Schweizer "Sonntagszeitung" berichtet, Papstbotschafter Martin Krebs prüfe nun offenbar doch eine Öffnung des Nuntiatur-Archivs in Bern für eine Missbrauchsstudie. Zunächst hatte er einen Aktenzugang unter Berufung auf internationales Recht abgelehnt. Der Papstvertreter in der Schweiz erklärte demnach, es bestehe "ein Dilemma zwischen dem diplomatischen Schutz des Archivs und der Aufklärung von Missbrauchsvergehen in der Kirche". Der Nuntius fügte hinzu: "Ich darf Ihnen versichern, dass ich begonnen habe, zusammen mit Fachleuten nach gangbaren Lösungen zu suchen, wie mit diesem Dilemma umzugehen ist."