Teile des Reformprozesses der katholischen Kirche in Deutschland verstoßen aus Sicht von Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller gegen die Lehre der Kirche.
Es gebe "bestimmte häretische Positionen innerhalb dieses Spektrums", sagte Kardinal Müller im Interview der "Rheinischen Post" (Samstag).
Kardinal Müller sieht Politisierung des kirchlichen Reformbegriffs
Der ehemalige Präfekt der vatikanischen Glaubensbehörde warf dem Reformprojekt Synodaler Weg vor, den politischen Reformbegriff auf die Kirche zu übertragen.
"Das mutet so an, als ob die Kirche sozusagen hinter der Aufklärung, hinter der Religionskritik, hinter der modernen Welt zurückgeblieben wäre", so Kardinal Müller.
Es werde versucht, die Lehre ähnlich einem Parteiprogramm nach politischer Ideologie und Zeitgeist umzugestalten.
Kirche kann laut Kardinal Müller nicht einfach "Kundenbedürfnisse" befriedigen
"Aber die Kirche kann nicht einfach eine Anstalt sein, die Kundenbedürfnisse befriedigt. Sich jetzt allem und jedem zu öffnen, ist ein fatalistischer Ansatz, der nicht helfen wird."
Zudem nehme sich die Kirche in Deutschland trotz steigender Austrittszahlen "zu wichtig", sagte Kardinal Müller. "Da haben wir genug zu tun. Da brauchen wir uns nicht als Vorbild für andere zu empfehlen."
Er selbst bekomme aus Deutschland noch viele Einladungen, "die ich gar nicht alle annehmen kann", sagte der deutsche Kardinal.
"Aber es gibt natürlich auch Leute, die meinen, mich zum Feind ihrer Ideologien machen zu müssen."
Kardinal Müller äußert sich zur Personalpolitik des Papstes
Auch zu päpstlicher Personalpolitik äußerte sich der 2012 von Papst Benedikt XVI. zum Präfekten der vatikanischen Glaubensbehörde berufene Geistliche in dem Interview mit der "Rheinischen Post".
Eine Entscheidung von Papst Franziskus über die Zukunft des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Woelki ist aus so aus seiner Sicht überhaupt nicht gefragt.
Woelki habe sich nichts zuschulden kommen lassen, "woraufhin etwa eine kanonische Untersuchung oder ein kanonisches Gerichtsverfahren in Gang gesetzt werden müsste", sagte Kurienkardinal Müller.
Bischöfe können als Mitbrüder des Papstes nicht "willkürlich abgesetzt werden"
"Ein Bischof ist kein Minister, der dem Bundespräsidenten seinen Rücktritt anbietet", erklärte Kardinal Müller. Sie würden von Christus und nicht vom Papst berufen.
"Der Bischof ist Mitbruder des Papstes im Bischofsamt und nicht sein Angestellter. Auch ein Bischof kann nicht willkürlich vom Papst abgesetzt und versetzt werden."
Nach einer Vertrauenskrise im Erzbistum Köln musste Kardinal Woelki dem Papst Anfang 2022 ein Rücktrittsgesuch vorlegen. Über dieses hat das Kirchenoberhaupt bislang nicht entschieden.
Kardinal Müller kritisiert Entlassung von Erzbischof Gänswein ohne "würdige Aufgabe"
Die zweite vieldiskutierte vatikanische Personalie, zu der Kardinal Müller sich äußerte, ist der Fall des Erzbischofs Georg Gänswein.
Kardinal Müller hat den Umgang mit dem ehemaligen Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. kritisiert.
Dessen Entlassung aus Rom ohne eine "würdige Aufgabe in der Kirche" sei "keine Reklame für die katholische Soziallehre", sagte Müller in dem Interview.
Nach wie vor keine feste Aufgabe für Erzbischof Gänswein im Heimaterzbistum
Gänswein hatte Papst Benedikt XVI. bis zu dessen Tod an Silvester 2022 begleitet. Im Juni hatte Papst Franziskus den aus dem Schwarzwald stammenden Geistlichen in sein Heimaterzbistum Freiburg zurückgeschickt. Dort hat er bislang keine feste Aufgabe zugeteilt bekommen.
Weder dürfe der Papst willkürlich einen Bischof versetzen noch "alles tun und lassen, wie es gerade seinem persönlichen Gusto entspricht", so Müller.
"Wir brauchen das Allzumenschliche, das es leider auch in der Kirche Gottes gibt, nicht schön zu reden. Alle bedürfen wir der Vergebung Gottes."
Sein eigenes Verhältnis zu Franziskus beschrieb der Kardinal als menschlich "gar nicht schlecht". Und: "Ich hatte schon vor Franziskus meine Position und musste nie auf das höfisch-diplomatische Gehabe Rücksicht nehmen."
Kardinal Müller lobt "Aufmerksamkeit für die Armen" von Papst Franziskus
Die Stärke des aktuellen Papstes sehe er darin, dass er auf die Einheit der Welt hingewiesen habe.
"Ob wir im Urwald sind oder im Petersdom, es ist überall die gleiche Eucharistie. Und es ist vor allen Dingen seine Aufmerksamkeit für die Armen, die die Mehrheit der Weltbevölkerung darstellen."
Müller gehört auch zu den aus Deutschland berufenen Teilnehmern der in Rom tagenden Weltsynode der Bischöfe. Von 2012 bis 2017 stand er als Präfekt der vatikanischen Glaubensbehörde vor.
Franziskus verlängerte seine Amtszeit nach fünf Jahren zunächst nicht, berief ihn aber 2021 zum Richter an die Apostolische Signatur, dem höchsten Kirchengericht.