DOMRADIO.DE: Welche Eindrücke nehmen Sie von ihrem Besuch mit?
Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Ich bin innerlich sehr berührt und bewegt über das, was die Menschen hier leisten und leisten müssen; dass sie hier ein Hilfs- und Netzwerk aufgebaut haben, um den Menschen in der Ukraine in großer Solidarität zu helfen und sie zu unterstützen. Es ist ein völkerrechtswidriger Krieg, der so unendlich viel Leid über die Menschen in der Ukraine gebracht hat, von dem sie so stark betroffen und heimgesucht sind.
Es ist beeindruckend zu sehen, mit welcher Logistik versucht wird, medizinische Güter, Hilfs- und Lebensmittel und Babypakete für Schwangere und Mütter von Kleinkindern vor Ort in die Ukraine zu bringen. Ich kann nur zutiefst dankbar sein für diese Initiative und für dieses wahnsinnig große Engagement. Ich kann nur hoffen, dass diese Lager nie leer werden und dass möglichst viele Menschen kommen, um zu helfen und mit all dem, was ihnen zur Verfügung steht, zu unterstützen.
DOMRADIO.DE: Wir stehen vor Rucksäcken, die bis zu fünf Leben retten können, wenn zum Beispiel zivile Wohnhäuser in der Ukraine von einer Rakete oder Bombe getroffen wurden. Was macht das mit Ihnen, wenn Sie hier stehen?
Woelki: Die Situationen, in denen diese Rucksäcke im Letzten eingesetzt werden, kann und will man sich nicht ausmalen. Bilder davon kann man im Fernsehen sehen. Die sind nur furchtbar und schrecklich. Mir fehlen dafür die Worte.
Wir können froh und dankbar sein, dass es diese Rucksäcke gibt. Es wäre besser, man würde sie gar nicht brauchen und nicht benötigen. Es hinterlässt auch ein Stück Hilflosigkeit. Zugleich aber auch Dankbarkeit, dass es möglich ist, solche Rucksäcke zu packen und so wenigstens fünf Menschen das Leben zu retten. Gleichzeitig denke ich mir, wie viel andere werden ihr Leben verlieren, weil mit einem Rucksack lediglich fünf Menschen gerettet werden können. Das ist die furchtbar erschreckende Nachricht, die mit diesen Rucksäcken verbunden ist.
DOMRADIO.DE: Sie engagieren sich sehr für geflüchtete Menschen, haben in diesem Jahr schon Kriegsgebiete und Flüchtlingslager besucht. Sie waren zum Beispiel im Heiligen Land und in Jordanien. Was machen diese Besuche mit Ihnen und was können wir als Christen besonderes tun?
Woelki: Als Christen haben wir die größte Friedensbotschaft der Welt. Das ist das Evangelium. Die ersten Worte des Auferstandenen waren: Der Friede sei mit euch. Es wäre gut, wenn wir so miteinander umgehen und leben und so ehrfurchtsvoll und respektvoll vor dem anderen sind, dass es nicht zu Kriegen und Auseinandersetzungen kommt. Dazu gehört auch, dass man das Territorium, das Land einer Kultur und eines Volkes respektiert und es nicht in verbrecherischer Weise überfällt.
Ich habe mir nie vorstellen können, dass so etwas zu meinen Lebzeiten in Europa nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges noch einmal passieren kann. Ich habe immer gedacht, dass die Völker Europas aus diesen Verbrechen des Naziterrors so viel gelernt haben, dass sie so nie wieder miteinander umgehen.
Ich habe immer vermutet, dass eine Europäische Union dazu in der Lage ist, Völker und Nationen zu einen und im Letzten zu befrieden, so dass es niemals mehr zu solchen kriegerischen Auseinandersetzungen kommt. Das habe ich nicht für möglich gehalten, und ich stehe erschüttert davor. Deshalb müssen wir uns für Gerechtigkeit, für Frieden, für Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben in allen seinen Situationen einsetzen.
Ich glaube, für uns Christen ist vor allen Dingen das Gebet um Frieden eines der stärksten Mittel. Das sollten wir nicht gering schätzen. Wir sollten als Christen den Himmel bestürmen, dass endlich Wege zum Frieden aufgezeigt und geschaffen werden und dass es Menschen gibt, die den Mut haben, diese Wege zu beschreiten.
Das Interview führte Alexander Foxius.