Dagegen kommen auch Terrorwarnungen und höchste Sicherheitsvorkehrungen nicht an: Wenn in Köln das Fest der Heiligen Drei Könige gefeiert wird, dann ist der Dom voll. Vielleicht nicht bis auf den allerletzten Stehplatz – wie in den Jahren vor der Pandemie – aber doch so, dass das eigene Herz höher schlägt, wenn man die vielen Gläubigen um sich herum "Gottes Stern leuchte uns…" singen hört oder alle zum Abschluss unter dem Dreikönigenschrein herziehen. Das alljährliche Festhochamt am Epiphaniefest ist eben der Inbegriff von katholischer Feierlichkeit, bei dem dichte Weihrauchschwaden zum Himmel steigen, die Orgel noch königlicher erklingt als sonst und auch der Reliquienschrein mit den Gebeinen der Sterndeuter aus dem Morgenland – zumindest gefühlt – noch goldener vom Hochaltar her funkelt. Schließlich bildet er an diesem Tag das Zentrum: den Dreh- und Angelpunkt für Besucher aus Nah und Fern.
Es ist eine geradezu magische Liturgie mit der immer gültigen Botschaft des Aufbrechens von Menschen, die im pilgernden Unterwegssein den Sinn ihres Lebens erkennen. Oder es doch zumindest den allerersten, die sich vor 2000 Jahren auf den Weg gemacht haben, gleich tun wollen; denen, die einen Stern am Firmament für sich entdeckt hatten, dem sie folgen wollten in eine neue, in eine bessere Welt, ihn zum Fixpunkt gemacht haben in ihrem Leben.
Von überall her haben sich an diesem Vormittag die Gottesdienstbesucher in den Kölner Dom aufgemacht. Zum Beispiel Gaby Kaudel. Um 5 Uhr in der Frühe ist sie aufgestanden, um sich rechtzeitig in die riesigen Besucherschlangen vor den Zelten der Polizei einzureihen und einen Platz in den vorderen Bankreihen zu ergattern. "Irgendwie sind wir doch alle auf dem Weg zu Jesus", lacht sie. Die 57-Jährige kommt regelmäßig aus dem Bistum Fulda nach Köln. "Dieser überwältigende Dom" hat es ihr angetan. "So etwas können nur Menschen bauen, die einen Glauben haben", ist sie überzeugt. "Dass die Heiligen Drei Könige hier liegen, macht sie für mich unmittelbar berührbar. Es ist ein gutes Gefühl, mit ihnen die gleiche Wegerfahrung zu teilen."
Auch Michael O’Sullivan, gebürtiger Brite, besucht traditionell am 6. Januar Köln und den Dom. In diesem Jahr zum zehnten Mal. Sonst lebt er in London, aber diesen Tag lässt er sich nicht entgehen und zeigt sich "very impressed". So etwas gäbe es sonst nirgendwo auf der Welt, gerät er ins Schwärmen.
Toni Müller kommt aus Neustadt an der Weinstraße. "Die Mitfeier an Dreikönigen ist mir ein Bedürfnis." Diese Feierlichkeit sei für ihn nicht zu toppen. Manchmal halte er sich auch eigens über Weihnachten in Köln auf. Da habe er schon den "dicken Pitter“" gehört – "einfach das Größte". Dafür lohne jeder Aufwand, sagt der Mann tief berührt.
Und die einstigen Studienfreunde Marc, Achim und Markus – heute um die 50 – beginnen nun schon seit 30 Jahren ihr ganz persönliches Dreikönigstreffen stets mit dem Pontifikalamt. Dieser geistliche Auftakt gehört für sie ganz selbstverständlich mit dazu. "Als Kölner sind wir stolz auf unseren Dom. Außerdem sind wir katholisch und lieben diese Tradition. Daher singen wir alle Lieder auch kräftig mit", sagen die drei, die aus Gemeinden in Deutz, Poll und der Südstadt stammen. "Die Heiligen Drei Könige gehören nun mal zu Köln wie der Schaum aufs Bier", schmunzeln sie. Klar, dass es nach der Messe daher auch noch ins Brauhaus geht.
Musik aus dem Dreikönigsoratorium von Helge Burggrabe
Aber es gibt auch die ganz leisen Momente in diesem Festgottesdienst. Für sie sorgt unter anderem Domkapellmeister Eberhard Metternich mit dem Vokalensemble Kölner Dom und der passend zum Anlass gewählten Musik. So ist es die Motette "Herzklopfen" aus dem "Dreikönigsoratorium" von Helge Burggrabe – eine Komposition 2022 eigens für den Dom geschrieben – die in Wort und Ton von dem innigen Erleben der "Viehhüter und Sternsucher" erzählt und zugleich eine Gottesbegegnung von einst ins Heute weitertragen will.
In seiner Predigt betont Kardinal Woelki, dass jeder im Leben – wie einst die Heiligen Drei Könige – einen Stern, eine Orientierung brauche, um aufzubrechen, weil er sonst ohne Ziel bliebe. Wörtlich sagt er: "Der Stern will uns einen Weg weisen. Der Stern will uns losketten von unserer Verfangenheit an uns selbst oder an ein bloßes System. Er will uns zum Gehen bringen dorthin, wo wir noch nicht waren." Viel wüssten heute nicht mehr, wozu sie lebten. "Das Leben läuft ab, als ob es Gott für sie nicht gäbe." Augenscheinlich beschäftigten sie sich nur mit sich selbst, könnten aber nicht einmal mehr mit sich selbst etwas anfangen.
Gleichzeitig warnt der Erzbischof vor Stillstand, Bequemlichkeit und davor, sich von etwas verführen zu lassen, das nur hell wie ein Stern erscheine, aber keiner sei. "Wie oft missbrauchen wir den Stern! Wir schmücken uns mit ihm, aber folgen ihm nicht. Wir heften ihn uns als Orden an die Brust oder ans Revers, statt uns von ihm leiten zu lassen." Dabei sei er eine Einladung, sich in Bewegung zu setzen.
Dann wiederum bleibe dieser Stern aber auch stehen: "über meiner Schule, meiner Universität, meinem Büro oder dort, wo ich sonst meine Arbeitsstelle habe, und über dem Haus meines Nächsten." Das sei wie eine Aufforderung, "hier sollst Du eintreten und Dich einbringen! Hier kannst Du Jesus finden." Schließlich könne dieser Ort auch jeder selbst sein. "Das heißt, der Stern kann mich zu mir selbst führen, um in mir Gott zu finden" – wie er in allen Dingen zu finden sei: "in unseren Freuden und Schmerzen, in unseren Erfolgen und Misserfolgen, in den großen Stunden unseres Lebens wie in den Kleinigkeiten des Alltags. Immer und überall ist er uns nahe."
Den Menschen im Lichte Gottes sehen
Der Kardinal erklärt, dass es darum gehe, dem einen Stern zu folgen, der zu Gott führe, "weil wir dann die Welt im Licht Gottes sehen: als Schöpfung, als Gottes Gabe an uns, als ein Lebensraum, den wir hegen und pflegen und in dem wir uns als Menschen entfalten können". Im Umkehrschluss bedeute das, Gefahr zu laufen, dass eine Welt ohne Gott zu einem bloßen Materiallager verkomme, das man ausräumen könne bis zur Zerstörung. Er fügt hinzu: "Der katastrophale Klimawandel macht anschaulich, was wir aus der Welt machen, wenn wir sie nicht mehr als Gottes Schöpfung achten. Vor allem aber sehen wir den Menschen nur dann richtig, wenn wir ihn im Lichte Gottes sehen, nämlich als Abbild Gottes. Von Gott her ist er Person, einmalig und unaustauschbar, mit unverletzbarer Würde ausgestattet vom Beginn bis zum letzten Atemzug seines Lebens."
Stern für den eigenen Lebensweg
Was den Menschen zum Menschen mache, so Woelki weiter, sei seine Gottesfähigkeit. Er appelliert an seine Zuhörerinnen und Zuhörer: "Wir müssen unser Leben über uns selbst hinaus auf Gott hin leben, und zwar in allen Dingen." Dazu wünscht er abschließend den vielen Menschen im Kölner Dom einen solchen Stern für ihren eigenen Lebensweg als Gottsuchende, aber auch dass jeder seinen Beitrag zum Frieden leiste, "damit unsere Gesellschaft menschlicher wird".
Schließlich gehört auch das zum Dreikönigsfest im Kölner Dom dazu: das bunte Finale am Ende, wenn die Sternsinger der Kölner Domsingschule, verkleidet als Caspar, Melchior und Balthasar, in den Altarraum einziehen und auf die große Spendenaktion von Kindern für Kinder aufmerksam machen, ihr "Christus mansionem benedicat" sprechen und der Kölner Erzbischof fröhlich in ihr "Gloria in excelsis deo" mit einfällt.