DOMRADIO.DE: Gegen das Verbot der aktiven und kommerziellen Sterbehilfe in Deutschland wurde von Ärzten, Sterbehilfevereinen in Deutschland und der Schweiz sowie schwer erkrankter Menschen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Nun beschäftigt sich Karlsruhe mit dem Verbot. Dass das Sterben kein Geschäft sein darf, sehen wohl viele ein. Aber wenn jemand schwer krank ist und einfach nicht mehr leben will, können Sie das nicht nachvollziehen?
Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff (Professor für Moraltheologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg): Es gibt im Sterben immer Phasen, in denen der Lebenswille sehr stark zurücktritt und ein Sterbewunsch dominiert. Aber das sind Phasen, die auch durch palliativmedizinische Versorgung, durch mitmenschliche Begleitung und durch menschliche Nähe zu dem Sterbenden beherrscht werden können.
Das Problem bei der Suizidbeihilfe ist, dass wenn sie etwa professionell durch Ärzte oder auch von Suizidgesellschaften angeboten wird, es dann einen Sog auf Sterbende gibt und als eine Art gesellschaftlich erwünschtes Leitbild eines guten Sterbens proklamiert wird. Sterbende werden dann in einen Rechtfertigungszwang versetzt, dass sie ihr Dasein und die Tatsache, dass sie anderen vielleicht zur Last fallen, rechtfertigen müssen.
Dies ist mit der Selbstbestimmung und Freiheit der Menschen nicht vereinbar, sofern man Freiheit und Selbstbestimmung nicht nur als Autarkie, als völlige Unabhängigkeit von anderen ansieht, sondern sie auch in ihrer Einbettung in reale menschliche Beziehungen ernst nimmt.
DOMRADIO.DE: Das heißt, die jetzige Palliativmedizin, also das Begleiten beim Sterben, ist demnach ausreichend?
Schockenhoff: Palliativmedizinische Versorgung kann heute in sehr, sehr vielen Fällen Menschen nicht nur von unerträglichen Schmerzen befreien, sondern auch Symptome wie innere Angst, Not sowie Atemnot lindern und Menschen die äußeren Voraussetzungen für einen Sterbeprozess bieten, indem sie sich auch selbst mit ihrem Sterben auseinandersetzen und ihren eigenen Tod annehmen können.
DOMRADIO.DE: In einigen unserer Nachbarländer ist aktive Sterbehilfe erlaubt: In den Niederlanden, Belgien oder Luxemburg zum Beispiel. Diese Länder sind nicht weit weg. Wer will, kann direkt dorthin fahren. Was bringt also das Verbot in Deutschland?
Schockenhoff: Jede Rechtsordnung ist eben nur innerhalb ihres Geltungsbereiches wirksam. Man kann es niemandem verwehren, dass er sich mit Hilfe nahestehender Menschen in das Ausland begibt, etwa in die Niederlande oder nach Belgien. Dort herrscht eine andere Gesetzgebung
Aber aus den Erfahrungen, die diese Länder machen, kann man ja auch lernen und die gleichen Fehler vermeiden. Eine negative Erfahrung ist zum Beispiel, dass die genauen Voraussetzungen, unter denen die Euthanasie - wie es dort heißt -, also die Beendigung des Lebens durch eine gezielte ärztliche Maßnahme, sich immer mehr erweitert haben. Auch Kinder und Minderjährige werden da einbezogen, wenn sie nur einen der beiden Elternteile auf ihrer Seite haben. Auch psychisch kranke Menschen können einbezogen werden. Diese Ausweitung des Spektrums ist etwas Gefährliches.
Das zeigt sich auch in anderen Ländern, etwa in der Schweiz. Es stimmt eben nicht, dass es keine empirische Evidenz dafür gäbe, dass in den Ländern, wo Sterbehilfe und Suizidbeistand als ein legales Angebot wahrgenommen und angeboten werden, es nicht dazu führen würde, dass Menschen sich dem Druck ausgesetzt sehen, dieses Angebot anzunehmen.
In Belgien ist es eine besondere Situation. Da kann man zunächst wählen, ob man Sterbehilfe - so pauschal ist der Begriff dort - in Anspruch nehmen will. Dann muss man nochmals entscheiden, ob man es in der Form der Tötung auf Verlangen, sodass der Arzt also alles macht, wünscht, oder ob man es als Suizidbeihilfe, sodass man die Tatherrschaft, die letzte Verantwortung selbst behält, machen möchte.
Wenn man den Ansatz bei der Selbstbestimmung wirklich ernst nehmen würde, wäre ja zu erwarten, dass die meisten Menschen das dann auch selbst in eigener Verantwortung durchführen wollen. Das ist aber nicht so. Zwei Drittel der Menschen in Belgien sagen, dann soll der Arzt alles tun. Dann haben sie ihre eigene Verantwortung und ihren eigenen Anteil daran sozusagen verdrängt.
Und das zeigt, dass es letztlich nicht nur um Selbstbestimmung, Freiheit und Autonomie geht, sondern dass es eine tiefe Angst vor dem Sterben ist, die die Menschen bewegt und die sie dann zur Kurzschlusshandlung, wie der nach der Bitte um Tötung auf Verlangen, bewegt.
DOMRADIO.DE: Genau diese existenzielle Frage führt die Ärzte, die Sterbehilfevereine aus Deutschland und der Schweiz sowie die Menschen, die diese Verfassungsbeschwerden eingelegt haben, nach Karlsruhe. Ihnen geht es um die Frage: Hat selbstbestimmtes Leben Grenzen? Was würden Sie sagen?
Schockenhoff: Es geht nicht darum, ob Selbstbestimmung Grenzen hat. Selbstbestimmung ist immer nur möglich, wenn sie in tragfähige Beziehungen zu anderen Menschen eingebettet ist. Der Mensch ist ja nicht eine Monade oder ein unabhängiges Atom, sondern ein relationales Selbst. Das heißt, dass man sich in Beziehungen zu anderen entfaltet. Insofern sind Selbstbestimmung und Fürsorge oder Selbstbestimmung und Abhängigkeit von anderen keine Gegensätze.
Es geht den Beschwerdeführern in ihrer Argumentation darum, dass der Begriff der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe zu unpräzise und nicht hinreichend bestimmt sei. Und das könne zu Rechtsunsicherheiten bei Ärzten führen, die etwa als Palliativmediziner Menschen hohe Dosen von Schmerzmitteln verabreichen, damit sie ihren unerträglichen Schmerzzustand bekämpfen können.
Aber das ist unter Juristen umstritten. Bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, der dem Gesetz, dessen Verfassungsmäßigkeit jetzt geprüft werden sollte, vorangingen, hatten selbst Juristen hier unterschiedliche Ansichten vorgetragen.
Die einen meinten, dass eine Gefahr bestünde, dass ein Arzt, der hohe Dosen von Schmerzmitteln verabreicht, weil das notwendig ist, um den Schmerz zu bekämpfen und eine Schmerzfreiheit herzustellen, gefahrlaufe, in die Strafbarkeit hinein zu rutschen.
Andere haben das abgelehnt. Sie sagten, es gehe nur darum, dass durch das Gesetz untersagt werden solle, dass ein Arzt eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit, nämlich die Suizidbeihilfe als reguläres Angebot, dem Patienten unterbreitet, sodass das ein erwartbares Leistungsangebot ist. Und davon ginge in der Tat eine erhebliche Wirkung auf den Patienten aus, weil Ärzte eine hohe Autorität haben und es dann den Anschein hat, als würden die Ärzte selber das nun für angebracht halten und es einem Patienten nahelegen, diesen Weg zu gehen.
DOMRADIO.DE: Welches Signal erhoffen Sie sich von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes?
Schockenhoff: Ich halte dieses damals vom Bundestag nach langer Beratung und auch sorgfältiger Überlegung beschlossene Gesetz für einen ausgewogenen Ausgleich.
Dabei wird einerseits in einem Kernbereich der persönlichen Lebensführung die Suizidbeihilfe eines privaten Menschen für einen ihm nahestehenden Menschen straffrei gelassen, wie dies bisher schon der Fall war.
Andererseits wird aber die organisierte Suizidbeihilfe, die geschäftsmäßige auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe, die ein öffentliches Leitbild des guten Sterbens propagiert, unter Strafe gestellt wird.
Und deshalb hoffe ich dass das Gesetz in seinen wesentlichen Bestimmungen im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Bestand haben wird.
Das Interview führte Beatrice Steineke.