Das Bundesverfassungsgericht hat die eigenen Strukturen des kirchlichen Arbeitsrechts gestärkt. Der Zweite Senat hob am Donnerstag ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf, das die Kündigung eines Chefarztes in einem katholischen Krankenhaus nach dessen Wiederheirat für unwirksam erklärt hatte. Gerichte dürften sich nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen, "solange dieses nicht in Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen steht".
Der Zweite Senat unter Leitung von Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hob hervor, welche kirchlichen Grundverpflichtungen bedeutsam seien, richte sich "allein nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben und dem konkreten Inhalt des Arbeitsvertrags". Das Bundesarbeitsgericht habe "Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bislang nicht ausreichend berücksichtigt".
Kardinal Woelki befürwortet Urteil
Die katholischen deutschen Bischöfe begrüßten das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht. Sie fühlten sich durch den Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche "in ihrer Rechtsauffassung bestärkt", erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Im Ergebnis stelle der Beschluss eine Fortschreibung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht dar.
Ähnlich äußerte sich der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. "Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt uns Rechtssicherheit", sagte Woelki. "Es bestätigt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Hinblick auf die Auswahl der Mitarbeitenden im kirchlichen Dienst und die an diese gestellten Beschäftigungsanforderungen." Man werde mit dieser verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit weiterhin verantwortlich umgehen. Die deutschen Bischöfe werden nunmehr die Urteilsgründe sorgfältig auswerten.
Bundesarbeitsgericht gab Arzt Recht
Im konkreten Fall wurde einem in einem katholischen Krankenhaus beschäftigten Chefarzt aus Düsseldorf gekündigt, weil er nach seiner Scheidung seine neue Lebensgefährtin geheiratet hat. Der Arbeitgeber wertete dies als nicht hinzunehmenden Loyalitätsverstoß. Der Arzt verwies darauf, dass die standesamtlich geschlossene Ehe keinen Kündigungsgrund darstelle. Zudem sei er als Chefarzt nicht Träger der kirchlichen Verkündung.
In allen Instanzen war zuvor entschieden worden, dass die Entlassung unwirksam sei. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte zwar, dass Kirchen von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne des eigenen Selbstverständnisses verlangen könnten.
Allerdings habe die Klinik bei protestantischen Kräften nach einer zweiten Heirat nicht zum Mittel der Kündigung gegriffen. Zudem habe die Einrichtung gewusst, dass der Mediziner vor der Eheschließung lange unverheiratet mit der Frau zusammengelebt habe.
"Selbstverständnis der Religionsgesellschaften"
Das Bundesverfassungsgericht weist darauf hin, dass das Grundgesetz "die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht und dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften besonderes Gewicht zuzumessen ist". Die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates sei Grundlage der modernen, freiheitlichen Gesellschaft, verwehre dem Staat aber auch, Glauben und Lehre einer Kirche zu bewerten.
"Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu respektieren", heißt es wörtlich. Einschränkend weist der Senat darauf hin, dass überwiegend der Gewinnerzielung dienende kirchliche Organisationen dieses Vorrecht nicht in Anspruch nehmen könnten.
Richter: Europäisches Urteil nicht relevant
Gerichte sind demnach lediglich berechtigt, "Darlegungen des kirchlichen Arbeitgebers auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen". Zweifelsfragen seien durch Rückfragen bei den Kirchenbehörden oder durch ein kirchenrechtliches oder theologisches Gutachten zu klären. Auf einer zweiten Prüfungsstufe sei zu prüfen, ob Schranken der für alle geltenden Gesetzes überschritten worden seien.
Karlsruhe weist zugleich darauf hin, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) "keinen Anlass zu Modifikationen der Auslegung des Verfassungsrechts" biete. Straßburg hatte in einen ähnlichen Fall entschieden, dass die Kirche einem Organisten nach der Trennung von seiner Frau nicht kündigen dürfe.
Karlsruhe betont, das Bundesarbeitsgericht habe "Bedeutung und Tragweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verkannt", indem die Erfurter Richter "eine eigenständige Bewertung religiös vorgeprägter Sachverhalte vorgenommen" hätten. Erfurt muss nun "eine eingehende Gesamtwürdigung" vornehmen. Dabei könne auch der Gedanke des Vertrauensschutzes des Arztes gegenüber seinem Arbeitgeber berücksichtigt werden. Der Arbeitsvertrag werte eine Zweitheirat nicht anders als ein Leben in nichtehelicher Gemeinschaft. Daraus könne der Arzt gegebenenfalls einen Vertrauensschutz ableiten.