Die arbeitsrechtlichen Bedingungen für die weit über eine Million Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirchen und ihrer
Wohlfahrtsverbände unterscheiden sich erheblich von den für andere Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen. Grundlage dafür ist das Grundgesetz, das den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein weitgehendes Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht einräumt.
So dürfen die Kirchen mit Blick auf die Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung von ihren Mitarbeitern bestimmte Loyalitätspflichten einfordern. In der katholischen Kirche gilt seit 1994 die "Grundordnung" des kirchlichen Dienstes. Mitarbeitende müssen danach "die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten". Gekündigt werden darf, wer öffentlich "gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche" agiert hat, oder wer durch "schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen" auffiel.
2015 haben die katholischen Bischöfe diese Regelungen in manchen Punkten liberalisiert. Wenn Beschäftigte von Kirche und Caritas nach einer Scheidung erneut zivil heiraten oder wenn sie eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft eintragen lassen, sollen das nur noch in Ausnahmefällen Kündigungsgründe sein. Im November 2022 entscheiden die Bischöfe über eine erneuerte "Grundordnung", in der nach bisherigem Stand das Liebes- und Privatleben der Angestellten in aller Regel Privatsache bleiben soll.
Auch die evangelische Kirche erwartet, dass die Mitarbeitenden sich so verhalten, dass ihr Verhalten nicht in deutlichem Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der Kirche steht. Allerdings sind die Anforderungen deutlich weniger streng. Derzeit gibt es etwa einen Rechtsstreit zwischen der Landeskirche Braunschweig und einem Domkantor, dem fristlos gekündigt wurde, weil er mit seinem Ehemann überlegte, eine Leihmutterschaft in Kolumbien zu beauftragen.
Nach den 2017 liberalisierten Loyalitätsanforderungen wird nur noch eine evangelische Kirchenmitgliedschaft für Mitarbeitende in der Verkündigung, der Seelsorge und Bildung erwartet. Bei Leitungskräften in der Diakonie reicht es, dass sie einer christlichen Kirche angehören. Alle anderen können auch ohne Kirchenzugehörigkeit bei dem evangelischen Wohlfahrtsverband arbeiten.
Zum eigenen kirchlichen Arbeitsrecht gehört auch, dass die Kirchen eigene Wege der Tariffindung ohne Gewerkschaften, Streik und Aussperrung gehen können. Beim sogenannten "Dritten Weg" einigen sich Dienstgeber und Dienstnehmer in paritätisch besetzten Kommissionen über Löhne und Arbeitsbedingungen. Auch diese Regelungen sind politisch stark unter Druck geraten: Die Gewerkschaften drängen seit längerem auf das Streikrecht auch bei Kirchen. Auch die Regierungskoalition strebt eine Reform der kirchlichen Arbeitsrechts in Abstimmung mit den Kirchen an. (KNA, 17.11.22)