Karsten Haug betreibt Fanpastoral zur Europameisterschaft

"Neu die Fragen der Menschen ernst nehmen"

Die Fußball-Europameisterschaft füllt die Stadien in Deutschland, sechs Spiele finden in Dortmund statt. Gemeindereferent Karsten Haug spricht über das Zusammenspiel von Sport und Glaube, wo er Berufung und Leidenschaften vereint.

Fans von Borussia Dortmund halten beim Gottesdienst in der Gründungskirche des BVB ihre Fanschals in die Höhe / © Federico Gambarini (dpa)
Fans von Borussia Dortmund halten beim Gottesdienst in der Gründungskirche des BVB ihre Fanschals in die Höhe / © Federico Gambarini ( dpa )

Dies ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des Podcasts "Himmelklar". Das komplette Gespräch zum Anhören gibt es hier: 

Himmelklar: Auch Dortmund ist Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft der Männer. Die einen denken, wir können Europameister werden. Die anderen trauen das der deutschen Elf nicht zu. Und Sie?

Gemeindereferent Karsten Haug (privat)
Gemeindereferent Karsten Haug / ( privat )

Karsten Haug (Gemeindereferent im Dortmunder Norden und pastoraler Leiter der Gründerkirche von Borussia Dortmund): Ich traue der Mannschaft schon was zu. Es wäre schon schön, wenn Deutschland möglichst weit kommt. Das haben wir ja bei der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land erlebt, dass dann eine gewisse Euphorie entsteht. Das wünsche ich mir eigentlich.

Grundsätzlich ist für mich die Europameisterschaft im eigenen Land aber ein internationales Fest, ein europäisches Fest eben.

Himmelklar: Die Tickets für die EM-Spiele 2024 sind schnell unter die Leute gebracht worden. Was löst denn eine solche Faszination für eine Europameisterschaft aus?

Haug: Erst mal ist es auf jeden Fall, dass dieses Turnier nur alle vier Jahre stattfindet. Das ist schon etwas Besonderes. So viele Europameisterschaften erlebt man im Leben ja nun auch wieder nicht. Das ist nicht alltäglich, es ist etwas Besonderes. Das gilt für die Weltmeisterschaft genauso.

Ich glaube, es gehört dazu, dass wirklich ganz viele unterschiedliche Mannschaften aufeinandertreffen – unterschiedliche Länder, Kulturen und auch, wie dort Fußball gespielt wird, das ist etwas Besonderes. Dazu kommt, dass es in unserer Heimat stattfindet, also direkt vor der Haustür.

Himmelklar: Die Europameisterschaft direkt vor der Haustür – sechs Spiele finden in Dortmund, bei Ihnen, statt. Wie geht es Ihnen gerade damit?

Karsten Haug

"Ich wünsche mir jetzt einfach, dass es möglichst bunt in Dortmund wird."

Haug: Es ist schon eine gewisse Anspannung, Freude und Vorfreude. Ich wünsche mir jetzt einfach, dass es möglichst bunt in Dortmund wird.

Himmelklar: Was ist Ihre Erwartung an die Heim-EM? Was ist Ihr persönlicher Tipp: Wer zieht ins Finale in Berlin ein und wie weit kommt die deutsche Elf?

Haug: Oh Gott, das ist aber wirklich eine schwierige Frage. Ich würde mir wünschen, wenn Deutschland ins Halbfinale kommt und dann eventuell auch weiter. Ich glaube, es kann immer ganz viel passieren. Das ist bei Turnieren so, es gibt eventuell einen Underdog.

Deutschland ist normalerweise auch eine Turniermannschaft, die sich von Spiel zu Spiel steigert – und das hoffe ich auch; das wünsche ich mir. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass Frankreich im Finale sein wird.

Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft / © Federico Gambarini (dpa)
Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft / © Federico Gambarini ( dpa )

Himmelklar: In Deutschland schwingt immer etwas Merkwürdiges mit, wenn wir patriotisch werden und wenn in Deutschland schwarz-rot-goldene Fahnen aufgehängt werden oder als Dekoration an den Autos wehen. Wie sehen Sie das?

Haug: Ich glaube, das ist jetzt alles nicht mehr so tragisch wie vielleicht noch vor 40 oder 50 Jahren. Ich habe das selber erlebt bei einem Weltjugendtreffen in Toronto in Kanada. Dort wurde ich von den kanadischen Pilgerinnen und Pilgern auf dem Weg zum Papst angesprochen, mit meiner Gruppe von Jugendlichen, und wir sollten die deutsche Nationalhymne singen. Das war etwas, was ich mir nie hätte vorstellen können. Dort wurden auch Fahnen gezeigt. Ich glaube schon, dass man Heimatverbundenheit zeigen darf. Die Frage ist, was sich noch dahinter verbirgt. 

Karsten Haug

"Ich möchte ein starkes und ein freies Europa. Deswegen fasziniert mich dieser Titel der Europameisterschaft so sehr – 'Vereint im Herzen Europas'."

Ich möchte ein starkes und ein freies Europa. Deswegen fasziniert mich dieser Titel der Europameisterschaft so sehr – "Vereint im Herzen Europas". Das finde ich so toll! Gerade in dieser Zeit fasziniert mich das und darin habe ich ganz viele Sehnsüchte und Wünsche, nämlich auch nach Frieden.

Himmelklar: Können Kirchen etwas dagegen unternehmen, dass so ein riesiges Event wie die Europameisterschaft auch immer in der Kritik steht? Es gibt Diskussionen ums Geld, gekaufte Deals und die UEFA. Wie sehen Sie das, haben Christinnen und Christen dabei eine andere Funktion oder auch eine Aufgabe?

Haug: Ich denke schon, dass wir als Christinnen und Christen und auch als Kirchen immer wieder den Finger in die Wunde legen müssen. Das gilt im Endeffekt immer da, wo es um Werte geht. Nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, das meine ich nicht, aber um Wege aufzuzeigen.

Das gilt für Bereiche wie Rechtsradikalismus, Gewalt in Stadien, Gesänge und so weiter. Das gilt aber auch für solche Themen wie Klimapolitik und Nachhaltigkeit. Ich glaube schon, dass wir da als Kirchen gefragt sind und dann auch wirklich Wege aufzeigen und mit gutem Beispiel vorangehen müssen.

Himmelklar: Sehen Sie in Zeiten von Kirchenmitgliederschwund und Säkularisierung eher eine Chance oder eine Konkurrenz zwischen Fußball und Kirche?

Haug: Ich bin in einer Gemeinde groß geworden, wo noch großes kirchliches und verbandliches Leben war. Dem trauere ich natürlich auch manchmal hinterher, keine Frage, denn dort bin ich ja aufgewachsen.

Ich erlebe aber auch große Chancen, dass wir als Kirche und als Seelsorgerinnen und Seelsorger neu die Fragen und Sehnsüchte der Menschen ernst nehmen und wirklich neu auf sie zugehen. Vor allen Dingen gilt es, erst mal zu hören: Was bewegt sie denn? Also nicht direkt erst mal plappern. Ich glaube schon, dass wir dann neue Anknüpfungspunkte schaffen können.

Himmelklar: Ihr Verein, der BVB, wurde an einem vierten Adventssonntag gegründet – und zwar von 18 jungen Männern aus der katholischen Dreifaltigkeitsgemeinde im Dortmunder Norden. Seit 2017 bieten Sie mit der Fanpastoral "Coming Home 09" ein seelsorgerisches Angebot für BVB-Fans an. Wie sind Sie da hingekommen, wo Sie heute sind? Wie kann es sein, dass Sie Ihre beiden Leidenschaften so gut kombinieren konnten und als Gemeindereferent an dieser Stelle gelandet sind?

Haug: Ich glaube, man kann das Schicksal nennen oder Gottes Fügung oder wie auch immer. Definitiv sind wir ja seit 2008 schon in der Dreifaltigkeitskirche am Borsigplatz unterwegs. Letztlich hat die damalige Personalverantwortliche im Erzbistum Paderborn gesagt: Hallo, Herr Haug, Sie machen das so gut, Sie wechseln jetzt in dieses Projekt hinein.

Ich habe mich erst gesträubt und ich habe mich hinterfragt: Möchte ich das überhaupt? Es war aber ein guter Schritt. Es macht unheimlich viel Freude, immer wieder ganz unterschiedlichen Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten und auch unterschiedlichen Verbindungen zu Borussia Dortmund zu begegnen. Das bereichert auch das eigene Leben und den eigenen Glauben.

Himmelklar: Ist es denn für Sie wirklich eins oder eher parallel zueinander? Also entweder oder – oder geht es nur zusammen?

Haug: Nein, es ist nicht entweder oder – definitiv nicht. Ich lebe meinen Glauben schon im Gebet und im Gottesdienst. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch Erfahrungen im Stadion und im Umfeld des Fußballs machen kann, wo ich anschließend sage: Vielleicht war dort auch Gott da. Gerade, wenn es um Freundschaften geht, die ich schon seit über 40 Jahren im Stadion habe, dann solche Momente wie das Spiel BVB gegen Malaga oder auch der Champions-League-Sieg 1997.

Karsten Haug

"Ich kann Gott auch im Fußball entdecken."

Warum kann ich nicht solche Ereignisse und solche persönlichen Begegnungen im Licht des Glaubens sehen? Da habe ich für mich eine Balance gefunden. Ich kann Gott auch im Fußball entdecken.

Borsigplatz in Dortmund / © Roland Juchem (KNA)
Borsigplatz in Dortmund / © Roland Juchem ( KNA )

Himmelklar: Als Gemeinde, auch als Fangemeinde jubelt man nicht nur, sondern man trauert auch – über Niederlagen zum Beispiel. Was sind die Momente, die Sie selbst am meisten berühren?

Haug: Tatsächlich hat mich letztes Jahr berührt, dass wir eben nicht Deutscher Meister geworden sind. Auch bei mir flossen die Tränen. Wir hatten so sehr damit gerechnet, wir hatten alles gegeben als Fans. Und als das dann nicht stattfand und in die Hose ging, da musste man erst mal schlucken, alles runterschlucken, und dann aber auch wieder die Mannschaft anfeuern.

An dem Tag danach, das war ja Pfingstsonntag – das werde ich, glaube ich, mein Leben lang nicht vergessen – dort sollte der Korso stattfinden. Und ich war zum ersten Mal in meinem Leben nicht im Pfingstgottesdienst, sondern ich bin einfach zum Borsigplatz gegangen. Dort standen über 100 Fans. Ich bin von Gruppe zu Gruppe gegangen und habe mich mit denen unterhalten.

Ganz viele haben gesagt, sie finden das unheimlich faszinierend und berührend, dass ihr Seelsorger jetzt bei ihnen wäre. Mit 50 Fans bin ich anschließend in die Kirche gegangen und wir haben hier das Vereinslied gesungen und haben Kerzen entzündet. Das nehme ich mit, das hat mich berührt und davon werde ich wahrscheinlich meinen Enkelkindern noch erzählen.

Himmelklar: Was bringt Ihnen persönlich Hoffnung?

Haug: Es ist schon die Richtschnur Jesus Christus. Das ist meine Hoffnung und meine Freude. Die ist aber auch in der Gemeinschaft der Kirche mit ganz unterschiedlichen Menschen, eben auch bei BVB-Gottesdiensten, aber auch mit der Gemeinde, mit Menschen unterwegs zu sein. Pilgernde Kirche, das ist so ein Stichwort. Und da hoffe ich auch immer noch auf Veränderung in meiner Kirche.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Quelle:
DR