Berliner Stadionseelsorger betet nicht für den Sieg

"Den Fußballgott gibt es nicht"

Der Stadionseelsorger Gregor Bellin betreut die "Goldene Kapelle" im Berliner Olympiastadion. Er betet mit seiner Gemeinde für eine Europameisterschaft ohne Gewalt. Gott verbinde dabei auch die Fans unterschiedlicher Vereine.

Deutsche Fans / © Tom Weller (dpa)
Deutsche Fans / © Tom Weller ( dpa )

KNA: Ist man hier in der Stadionkapelle dem Fußballgott etwas näher?

Gregor Bellin (Diakon und Stadionseelsorger im Berliner Olympiastadion): Man ist Gott prinzipiell immer nahe, dem "Fußballgott" aber wohl weniger, denn den gibt es gar nicht. Der Gott, zu dem wir beten, der mag zwar sicher auch Fußball, aber er ist kein Fußballgott.

Gregor Bellin, ständiger Diakon im Erzbistum Berlin und der katholische Geistliche in der Stadionkapelle / © Markus Nowak (KNA)
Gregor Bellin, ständiger Diakon im Erzbistum Berlin und der katholische Geistliche in der Stadionkapelle / © Markus Nowak ( KNA )

KNA: Warum nicht?

Bellin: Das ist mir vom Gottesbild her zu eng geführt. Jesus Christus ist nicht als Fußballgott in diese Welt gekommen, sondern als Heiland dieser Welt, um allen Menschen Heil zu bringen - und zwar dem Gegner, der hier Fußball spielt, genauso wie den eigenen Leuten. Er ist für alle da. Daran merkt man, dass dieser Glaube verbindet.

Gregor Bellin

"Das Leben spielt hier in seiner ganzen Bandbreite"

KNA: Was erleben Sie als Stadionseelsorger?

Bellin: Das Leben spielt hier in seiner ganzen Bandbreite. Es gibt auch Kurioses. Hier war mal ein Pokal-Endspiel von Hertha gegen Schalke. Die Herthaner sagen "Gelsenkirchen", da gibt es nämlich keine Fanfreundschaft zwischen den beiden Vereinen. Die Fans aus Gelsenkirchen standen in der Ostkurve. 

Als die neue Saison anfing, kamen Vertreter von Fanclubs zu mir und sagten: Sag mal, du bist doch so etwas Ähnliches wie ein Pastor. Kannst du nicht eine Exorzismusformel in der Ostkurve sprechen? Da merkt man, dass bestimmte Relikte noch in den Köpfen vorhanden sind. Ich habe übrigens keine Exorzismusformel gesprochen, um das deutlich zumachen.

KNA: Welche anderen Gemeinsamkeiten zwischen Fußball und Glaube sehen Sie?

Bellin: Es gibt natürlich viele Parallelen, die zwischen Glaubensleben und Fußballfans stattfinden. Die Fans ziehen in Kolonnen, also "pilgern" zum Stadion in einer gewissen Prozessionsordnung. Man hat einen Vorsänger, wie ein Kantor im Gottesdienst; der gibt vor und die Kurve antwortet. 

Man singt gemeinsam. Alles folgt einem gewissen Ablauf, ähnlich wie einem liturgischen Ablauf. Es gibt Reliquienverehrung in der Kirche. Wenn das Trikot in die Kurve geworfen wird, ist es helle Begeisterung.

Gregor Bellin

"Wir sind Teamplayer, eine Gemeinschaft."

KNA: Die Fangesänge haben Sie schon erwähnt. Ein bekanntes Lied ist "You'll never walk alone". Das könnte man vom Inhalt her auch religiös deuten.

Bellin: Ja, da wird etwas Wesentliches ausgedrückt. Wir Christen sagen: Gott ist immer der, der dich trägt und hält. Aber es ist auch gut zu wissen, wie man von den Fans getragen wird. Man kann oft sehen, wenn das Supporten der Fans ausfällt, wie die Leistung der Mannschaft nachlässt. Man sieht, wie man mit Emotionen etwas nach vorne bringen kann. Da merkst du: You never walk alone.

Aber nicht nur der Einzelne geht nicht alleine. Die großen Fußballer, die man hier schon gesehen und auch kennengelernt hat, die waren nicht nur deshalb große Fußballer, weil sie besonders gut mit dem Ball umgehen konnten, sondern weil sie immer wussten: Wir sind Teamplayer, eine Gemeinschaft.

Die Kapelle im Berliner Olympiastadion - eingeweiht zur Fußball-WM in Deutschland, mittlerweile Kirchenraum einer ökumenischen Gemeinde. / © Markus Nowak (KNA)
Die Kapelle im Berliner Olympiastadion - eingeweiht zur Fußball-WM in Deutschland, mittlerweile Kirchenraum einer ökumenischen Gemeinde. / © Markus Nowak ( KNA )

KNA: In der Kapelle unter dem Olympiastadion findet vor jedem Heimspiel von Hertha BSC Berlin eine Andacht statt. Darf ich da für den Sieg beten?

Bellin: Das darf der Einzelne gerne tun, aber wir werden es im Gottesdienst nicht machen. Denn dafür ist mir der Gottesdienst zu wichtig, als dass ich ihn in der Form für so Profanes missbrauchen würde.

Gregor Bellin

"Es ist sinnvoller dafür zu beten, dass es ohne Aggression und ohne Gewalttätigkeiten ausgeht."

KNA: ...wenigstens ein paar Fürbitten?

Bellin: Auch bei den Fürbitten machen wir das nicht. Da steht anderes im Vordergrund. Die Fürbitten, die wir hier halten, sind auch so, dass sie in jedem Gottesdienst normal so vorkommen könnten. Wir haben auch zum Beispiel seit Beginn des Ukraine-Krieges hier regelmäßig für den Frieden gebetet. 

Oder wenn jemand gestorben ist oder einen kranken Angehörigen hat, schließen wir diejenigen selbstverständlich gerne ins Gebet ein. Man kennt manchmal Fangruppen, mit denen die Vereine nicht so richtig zurechtkommen. Dann ist es sinnvoller dafür zu beten, dass es ohne Aggression und ohne Gewalttätigkeiten ausgeht.

Oder jetzt zur Europameisterschaft, ist es auch wichtig, dass die Spiele alle gut stattfinden können und die Fans sich in Freude begegnen und merken, dass Fußball verbinden kann, so wie auch der Glaube verbinden kann.

Gregor Bellin

"Es ist toll, wenn Fans verschiedener Vereine da stehen und sich beim Vaterunser an der Hand fassen."

KNA: Wer kommt denn hierher zum Gottesdienst?

Bellin: Das sind meist etwa 50 bis 80 Personen vor jedem Spiel; zum Teil Stammbesucher, zum Teil Neue. Es werden die normalen Vollzüge menschlichen Lebens genauso gefeiert wie in jeder anderen Gemeinde auch. 

Da, wo Fußballfans zusammenkommen, kommen Menschen zusammen. Und wo Menschen zusammenkommen, sind zum einen gläubige Menschen darunter. Zum anderen stellt sich da die Frage nach Gott in der einen oder anderen Sache sowieso immer wieder. Es ist toll, wenn Fans verschiedener Vereine da stehen und sich beim Vaterunser an der Hand fassen und sagen: Gott verbindet uns.

KNA: Das EM-Finale findet im Olympiastadion statt. Was wünschen Sie sich dazu?

Bellin: Ich will mir das Spiel ansehen. Mein Wunsch ist, dass es ein schönes Fußballspiel wird, an dem man sich wirklich erfreuen kann. Ich wünsche mir, dass diese Freude des miteinander gleichzeitig gegeneinander Fußballspielens von dem Rasen auf die Fans überschwappt. 

Außerdem würde würde mich vor allem freuen, wenn mit dem Endspiel eine Europameisterschaft zu Ende geht, die davongeprägt ist, dass es keine Gewalt, keine Ausschreitungen irgendwelcher Art gegeben hat. Das wäre eigentlich für mich das Schönste, wenn man sagt: Der Fußball hat an der Stelle gewonnen und der "Liebe Gott" hat die Hand drauf gehalten.

Das Interview führte Michael Kinnen.

Erzbistum Berlin

Das Erzbistum Berlin umfasst das Land Berlin, den größten Teil Brandenburgs sowie Vorpommern und einen kleinen Teil Sachsen-Anhalts. In seinen Kirchengemeinden leben rund 362.000 Katholiken. In seiner jetzigen Form wurde das Erzbistum 1994 errichtet. Erzbischof Dr. Heiner Koch übernahm die Bistumsleitung am 19. September 2015. Bischofssitz ist die St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin-Mitte.

Sankt-Hedwigs-Kathedrale in Berlin / © frantic00 (shutterstock)
Sankt-Hedwigs-Kathedrale in Berlin / © frantic00 ( shutterstock )
Quelle:
KNA