DOMRADIO.DE: Gab es bei der diesjährigen Herbst-Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken anstrengende Beratungen?
Karin Kortmann (Vizepräsidentin Zentralkomitee der deutschen Katholiken): Das kann man so sagen. Wir sind jetzt seit einem halben Jahr ganz intensiv in den Beratungen mit den Bischöfen über den Auftakt und die Umsetzung des synodalen Weges. Und wir wissen alle, es kommt darauf an, neue Strukturen zu eröffnen, Beteiligungsformen für Männer und Frauen gleichermaßen neu zu formulieren, aber eben auch die Entscheidungsmöglichkeiten, die wir in der deutschen Kirche haben, optimaler zu nutzen, als wir es in der Vergangenheit getan haben.
DOMRADIO.DE: Das sind viele Arbeitsfelder, die man sich vornehmen kann und will, in den nächsten zwei Jahren. Was liegt Ihnen ganz besonders am Herzen?
Kortmann: Am dringendsten ist die Frage der Beteiligung von Frauen in den kirchlichen Strukturen und Ämtern. Letztendlich geht es um die Frage: Wo bekommen Frauen kraft ihrer Funktionen, ihrer Erfahrungen, ihres Wissens und ihres Charismas die gleichen Möglichkeiten wie Männer? Das klingt vielleicht ein bisschen altbacken für einige, die das von außen betrachten.
Aber bei uns in der Kirche ist wirklich Not an Frau und es ist Not zu sagen: Frauen müssen den gleichen Zugang zu allen Ämtern und Funktionen in der Kirche haben, und dafür kämpfen wir. Das bedeutet: Wo gehen sie in die Gemeindeleitung? Wo sind sie in Bischöflichen Ordinariaten? Oder in Leitungsfunktionen? Wo werden die Fragen des Diakonats der Frau – bis hin zum Priestertum der Frau ernsthaft bewegt? Das Diakonat der Frau ist längst überfällig.
DOMRADIO.DE: Es geht hier auch um die Aufbereitung des sexuellen Missbrauchs, vor allem auch um die entsprechenden Entschädigungen. Wie bewerten Sie das?
Kortmann: Der ganze Prozess der Aufarbeitung der sexuellen Missbräuche ist für uns eines der beschämendsten Kapiteln in der katholischen Kirche. Die Anzahl und die weitere Veröffentlichung von Tätern und Opfern erschüttert uns jeden Tag neu. Deswegen kann man an der Stelle nur sagen: Liebe Bischöfe, Sie sind verantwortlich. Sie sind die Entscheidungsträger. Sie sind dafür zuständig in der Priesterausbildung, in der Begleitung der Priester, in der Verantwortung des Personaleinsatzes. Es sind Priester versetzt worden, die Täter waren ohne Wissen und Informationsweitergabe an die neue Gemeinde. Es sind Kinder wieder gefährdet worden, weil man die Täter nur versetzt hat. Wie man mit den Opfern umgeht, ist ebenfalls beschämend zu sagen, also zu sagen: Wir schauen uns jetzt mal an, wie eine finanzielle Entschädigung aussehen kann, das zeigt doch einfach: Da ist nichts zu entschädigen.
Das ist eine Anerkennung für sie als Opfer, aber sie brauchen doch viel mehr! Sie brauchen die Gewissheit, dass sie Therapien bekommen, dass ihnen geglaubt wird und neue präventive Maßnahmen ergriffen werden – und dass strukturelle Veränderungen in der Kirche eingeleitet werden, die es verhindern, dass es noch einmal geschieht. Ich empfinde es eher als hilflos, wie die Deutsche Bischofskonferenz gerade mit der Frage der Entschädigung hantiert. Es wäre gut, sie würden sich staatliche Hilfe an die Seite holen und gemeinsam mit dem Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung darüber reden. Sie können auch alle anderen Gruppen hinzuziehen, in denen auch sexuelle Missbräuche offensichtlich wurden. Man kann gemeinsam entscheiden, was der richtige Weg ist und welche Möglichkeiten es für die Opfer gibt.
Ein alleiniger kirchlicher Sonderweg wird nicht tragen. Wir müssen achtgeben, dass es nicht Täter erster und zweiter Klasse oder Opfer erster und zweiter Klasse gibt. Das hört sich jetzt ein bisschen lapidar an, aber ich meine damit, dass jedes Opfer ein Recht darauf hat, dass sein oder ihr Fall sauber juristisch verfolgt wird und sie entsprechend auch dann Unterstützung bekommen. Dafür sind die Bischöfe im Moment – so sehen wir es im ZdK – alleine nicht in der Lage, das gut zu händeln.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.