DOMRADIO.DE: Sie werben mit dem Bund Katholischer Unternehmer für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Wie muss die aussehen?
Ulrich Hemel (Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer): Es muss ein Mix sein aus gesellschaftlichem Engagement, dem Grundauftrag zur Versorgung mit Lebensmitteln und aus technischer Innovation, die schon längst auch in der Landwirtschaft angekommen ist, beispielsweise im Feld des Digitalen. Die Landwirtschaft ist heute bereits einer der am stärksten digitalisierten Bereiche in der Wirtschaft. Das ist aber beim traditionellen Bild der Landwirtschaft wenig bekannt.
DOMRADIO.DE: Wenn man "Digitalisierung" hört, könnte man denken, dass das Tierwohl und die Ökologie da viel zu kurz kommen.
Hemel: Ganz und gar nicht. Da gibt es ganz innovative Ansätze, beispielsweise das sogenannte Vertical Farming. Da nutzt man Gebäude bis hin zu völlig geschlossenen Kreisläufen, da nutzt man digital dosierte Bewässerungssysteme, da gibt es Datenbanken für genetische Vielfalt, die beispielsweise Biodiversität natürlich erhalten möchten und werden. Da gibt es eine Vielzahl von Initiativen, das wird in unserer Gesellschaft völlig unterschätzt. Und deswegen meinen wir, Bauern an den gesellschaftlichen Pranger zu stellen. Das ist ungerecht. Wir brauchen ein neues Bild der Landwirtschaft.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass der Klimawandel und Megatrends wie Regionalität und ökologische Ernährungs- und Lebensweise derzeit auch neue unternehmerische Möglichkeiten schaffen und, dass es die zu nutzen gilt. Wie sollen die Bauern das machen?
Hemel: Bauern müssen sich auf ihre Rolle konzentrieren, die sie vor Ort haben. Bauern leben ja nun mal in einer Gemeinschaft. In dieser Gemeinschaft bieten sie eine Vielfalt von Dienstleistungen an, die auch über die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und Lebensmitteln hinausgeht. Ein Beispiel: Landwirte werden zu Landschafts- und Kulturpflegern. Das kann man aber auch bezahlen. Ein Beispiel ist Tierschutz durch Maßnahmen für bedrohte Tierarten wie zum Beispiel Mauersegler. Das hört sich jetzt einfach an, aber das gehört dazu.
Beispielsweise die Bereitstellung von Brachflächen oder in bestimmten Regionen in Deutschland von Almwiesen, von Mooren und anderen Formen. Das kann man vergüten und das kann man auch vor Ort vergüten in einer Kommune. Das muss man nur wollen. Ein weiteres ist das Thema der ökologischen Bildung. Viele, gerade junge Menschen, haben den unmittelbaren Bezug zur Natur noch gar nicht wirklich für sich erfasst. Sie wissen nicht, wie Tiere leben. Sie haben nur allgemeine Vorstellungen über Tierwohl, sehen aber gar nicht, was da bereits an Gutem auch passiert. Da gibt es eine Vielzahl von Dingen schlichtweg zu entdecken.
DOMRADIO.DE: Viele Landwirtinnen und Landwirte würden das gerne anders machen, mit dem Fleisch und mit der Milch zum Beispiel, aber auch mit dem Anbau von Getreide und Gemüse. Oftmals ist das aber nicht finanzierbar. Was kann man denn da machen?
Hemel: Das ist ein großer gesellschaftlicher Lernprozess, der die Bevölkerung und auch die Politik umfasst. Ein Beispiel, das ich gewissermaßen erfinde: Ställe, die für mehr als 100 Schweine ausgelegt sind. Wenn Sie so etwas fördern, dann ist es klar, dass die Menschen anfangen, darin zu investieren. Die Banken werden Kredite dafür vergeben. Und wenn nachher die Gesellschaft sagt: "Das wollen wir ja gar nicht!", dann steht der Bauer sozusagen vor einer Investitionsruinen. Und noch schlimmer: Da leben ja Tiere, da leben ja Säugetiere.
Und damit müssen wir als Gesellschaft umgehen. Wir müssen deswegen auch neu lernen, klug auf die Verteilung von Mitteln im landwirtschaftlichen Bereich zu achten. Da sind Reformen nötig, die sind auch teilweise schon unterwegs, aber es ist ein weiter Weg. Diesen Weg müssen wir auch als Gesellschaft besser begleiten und besser verstehen.
DOMRADIO.DE: Wenn es nicht gelingt, die Landwirtschaft an die Anforderungen der Zukunft, also Klimawandel und Dürre, anzupassen, was sind da Ihre Befürchtungen?
Hemel: Zum einen sollten wir ja nicht vergessen, dass wir nicht auf einer Insel leben. Landwirtschaft gibt es ja nicht nur in Deutschland, die gibt es überall. Wir haben auch als Gesellschaft ein unerkanntes Problem mit den Exportsubventionen in der Landwirtschaft außerhalb der EU, mit den Handelsbeschränkungen, die es teilweise gibt. Da ist auch noch ein weiter Weg zu gehen innerhalb Europas und über Europa hinaus.
In Deutschland wiederum sind wir an sich schon auf einem ganz guten Weg. Aber auch hier müssen wir sozusagen die Förderung in der Landwirtschaft verändern. Von einem reinen Flächenangebot in die Richtung dessen, was Gesellschaft heute möchte, nämlich nachhaltige Lebensweise und biologisch produzierte Lebensmittel. Aber auch das kostet Geld.
Beispielsweise haben wir jetzt in den Zeiten der Energiekrise zu lernen, dass ein Kilo Dünger einen Liter Diesel kostet. Jetzt kann man sagen: Verzichtet doch auf Dünger. Ja, aber wir verzichten eben dann auch auf Lebensmittel. Das ist in Zeiten zunehmenden Hungers auf der Welt keine gute Idee. Wir reden hier von über 100 Millionen Menschen, die mehr hungern als zuvor. Wir haben schon ein paar Herausforderungen zu lösen. Deswegen ist das allererste, die Augen aufmachen und zu gucken, was da alles schon passiert und ins Gespräch zu kommen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.