Katholisches Büro betont enormen Wert des Grundgesetzes

"Religiosität ist vom Grundgesetz gewollt"

Vor 75 Jahren hat der Parlamentarische Rat das Grundgesetz für die Bundesrepublik verabschiedet. Antonius Hamers ist Jurist, Priester und Leiter des Katholischen Büros NRW. Er würdigt das Grundgesetz aus christlicher Perspektive.

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland / © Julian Stratenschulte (dpa)
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland / © Julian Stratenschulte ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wir feiern am Donnerstag 75 Jahre Grundgesetz. Wie revolutionär war der Text damals, so kurz nach dem Dritten Reich? 

Antonius Hamers, Leiter des Katholischen Büros in Düsseldorf, am 19. Januar 2015 in Mülheim. / © Andreas Otto (KNA)
Antonius Hamers, Leiter des Katholischen Büros in Düsseldorf, am 19. Januar 2015 in Mülheim. / © Andreas Otto ( KNA )

Dr. Antonius Hamers (Katholischer Priester und Leiter des Katholischen Büros NRW): Das Grundgesetz war eine klare Zäsur nach dem großen Unrecht, welches das Dritte Reich über viele Menschen in Deutschland und in ganz in Europa gebracht hat. An den Anfang stellt es die Würde des Menschen, die im Dritten Reich immer wieder verletzt worden ist. Damit wird deutlich, dass es eine klare Abkehr vom Unrecht und eine Hinkehr zur Menschlichkeit ist. 

Der Mensch steht im Mittelpunkt und dementsprechend auch die Grundrechte, die ebenfalls am Beginn des Grundgesetzes stehen. Dort ist ebenso die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie, die die einzige Staatsform ist, die der Würde und der Freiheit des Menschen wirklich gerecht werden kann, zu finden. 

DOMRADIO.DE: Das Grundgesetz wird immer wieder mal geändert, zuletzt im Jahr 2022. Es gibt aber auch Teile, die für die Ewigkeit gedacht sind. Was bedeutet das?

Hamers: Es gibt die sogenannte Ewigkeitsgarantie, die die Artikel 1 und 20 umfasst. Artikel 1 besagt, dass die Würde des Menschen unverletzbar ist und es Aufgabe des Staates ist, die Würde des Menschen zu schützen und zu achten. 

Artikel 20 umfasst die Grundprinzipien unseres Staates, nämlich dass dieser ein Rechtsstaat ist, dass er eine Demokratie ist und dass er ein föderaler Staat ist. Konkret bedeutet das, dass wir Bundesländer und den Bund haben. Diese Grundlagen des Staates sind dem Gesetzgeber und dem Verfassungsgesetzgeber entzogen. Sie können nicht geändert werden. 

Antonius Hamers

"Es ist erste Bürgerpflicht in einer Demokratie die Parteien zu wählen, die Recht und Ordnung und Demokratie mittragen."

DOMRADIO.DE: An diesem Dienstag beginnt der Prozess rund um den mutmaßlichen Putschversuch durch die Reichsbürger. Wie gefestigt ist diese Ewigkeitsklausel vor diesem Hintergrund?

Hamers: Die Ewigkeitsklausel ist zunächst ein juristisches Postulat, eine juristische Vorgabe. Aber selbstverständlich muss jeder Staat, insbesondere eine rechtsstaatliche Demokratie, von seinen Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen werden. Insofern ist es äußerst wichtig, dass Menschen sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für die Grundrechte von Menschen, für die Würde von Menschen einsetzen und immer wieder deutlich machen, dass sie hinter diesen Prinzipien stehen.

Das wird zum Beispiel bei Wahlen deutlich. Es ist die erste Bürgerpflicht in einer Demokratie, an den Wahlen teilzunehmen und die Parteien zu wählen, die diesen Staat stützen und Recht, Ordnung und Demokratie mittragen.

Darüber hinaus muss man sich natürlich auch einbringen. Dies kann zum Beispiel in Vereinen geschehen, aber auch auf kommunaler Ebene oder überhaupt in politischen Prozessen bis hin zur Bundesebene.

DOMRADIO.DE: Sie haben sich schon als Abiturient mit dem Grundgesetz beschäftigt und damals an den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Grundgesetzes teilgenommen. Ein solches Interesse bei einem Jugendlichen erscheint außergewöhnlich.

Hamers: Ich war politisch immer sehr interessiert. Als ich 1989 Abitur machte, bin ich mit zwei Mit-Abiturienten zusammen nach Bonn gefahren. Da fand ein großes Bürgerfest "40 Jahre Grundgesetz" statt. Dieses Fest habe ich in bester Erinnerung. Das hat mich sehr beeindruckt und in meiner Meinung bestärkt, dass wir einen Verfassungspatriotismus brauchen, also einen gewissen Stolz auf die Verfassung und auch eine hohe Identifikation mit der Verfassung. 

Dieses Erlebnis hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass ich mich entschieden habe, Jura zu studieren. Darin habe ich meinen Beitrag gesehen, für diese Verfassung und den Rechtsstaat mit einzustehen. Es hat mich immer mit Dankbarkeit und Stolz erfüllt, auf der Grundlage dieser Verfassung in diesem Land leben zu dürfen. 

Antonius Hamers

"Wir als Christen sind in besonderer Weise gefordert, uns in diese Gesellschaft einzubringen."

DOMRADIO.DE: Sie sind Jurist und Priester. Inwiefern hat das Grundgesetz für Christinnen und Christen eine Bedeutung?

Hamers: Das Grundgesetz ist bewusst religionsoffen gestaltet und gibt die rechtliche Grundlage für Vielfalt in der Gesellschaft. Die sogenannten Kirchen- oder Religionsartikel machen deutlich, dass Religiosität und religiöse Gemeinschaften gewollt sind, weil sie eine wichtige Bereicherung für das gesellschaftliche Leben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt darstellen. 

Insofern sind wir als Christen in besonderer Weise gefordert, uns in diese Gesellschaft einzubringen und diesen Staat mitzutragen, Er gibt für uns den Rahmen, dass wir uns als Christen engagieren und entfalten können. Ich kann alle nur dazu aufrufen, ermutigen und ermuntern, ihren Beitrag für diese Gesellschaft und dieses Land zu leisten.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Grundgesetz

Das Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es enthält die wichtigsten Regeln für das Zusammenleben und ist so Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland. In insgesamt 146 Artikeln sind die Grundrechte der deutschen Bürger, die Aufgaben von staatlichen Institutionen und andere Gesetze verankert. Das Grundgesetz begrenzt staatliche Machtausübung durch demokratische Kontrolle.

Grundgesetz / © Jens Kalaene (dpa)
Grundgesetz / © Jens Kalaene ( dpa )
Quelle:
DR