Edwin Chow ist ratlos. "Keiner hat eine Idee, wie es weitergehen soll", sagt der Vorsitzende der Hong Kong Federation of Catholic Students (HKFCS) bei einem Gespräch in einem Cafe im Stadtteil Wan Chai, dem Brennpunkt der Demonstrationen der Demokratiebewegung. Chow und die HKFCS sind seit Beginn der Proteste im Juni bei den Massenkundgebungen dabei. "Wir haben auch Gebetsveranstaltungen für Frieden und Demokratie in Gemeinden organisiert", erzählt der 19 Jahre alte Politologiestudent der Universität der Baptisten in Hongkong. "Das entspricht unseren christlichen Werten."
Ratlosigkeit sieht Chow nicht nur in seinem Lager, sondern auch aufseiten der Regierung. "Die Protestbewegung hat keine Anführer. Das sind viele Gruppen und Bewegungen, die über die Sozialen Medien miteinander vernetzt sind. Was konkret gemacht wird, entscheidet man meist spontan vor Ort", erläutert er. Von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam ist Chow enttäuscht. "Als Katholikin sollte sie die gleichen christlichen Werte vertreten wie wir", meint er. "Aber sie hört dem Volk nicht zu und geht nicht auf die Forderungen ein."
Christliche Werte
Die Polizei setzt derweil verstärkt Tränengas und Schlagstöcke gegen Demonstranten ein. Die UN-Menschenrechtskommission OHCHR verurteilte am Mittwoch die Polizeigewalt. "Es wurde mehrfach beobachtet, wie Beamte Tränengaskanister in überfüllte, geschlossene Bereiche geworfen und direkt auf einzelne Demonstranten gezielt haben", hieß es in der OHCHR-Erklärung.
Von Chinas Seite ist indes immer lauteres Säbelrasseln zu hören. In Erklärungen spricht Peking von der "eisernen Faust" und brandmarkt die Demonstranten als "Terroristen". In Shenzhen direkt an der Grenze zu Hongkong soll chinesisches Militär zusammengezogen worden sein, wie Medien unter Berufung auf Satellitenaufnahmen berichten. Carrie Lam wirft ihren Gegnern vor, die Stadt "in den Abgrund stürzen zu wollen". Politische Beobachter sind der Ansicht, dass sie, obwohl Hongkongs Regierungschefin von Pekings Gnaden, längst nicht mehr das Sagen habe. Der Umgang mit der Protestbewegung werde ihr von Peking diktiert.
"Offener und inklusiver Dialog"
Ob China tatsächlich militärisch eingreifen wird, ist die am häufigsten gestellte Frage in Hongkong. Einerseits befürchte China, so Experten, ein Übergreifen der Demokratiebewegung auf das Festland. Andererseits wäre eine militärische Option wie vor 30 Jahren bei der blutigen Niederschlagung der Bewegung auf Pekings Platz des Himmlischen Friedens desaströs für Chinas weltweiten Führungsanspruch. Zudem würde der Traum einer Wiedervereinigung mit Taiwan nach dem Hongkong-Modell "ein Land, zwei Systeme" zerplatzen.
Es mehren sich Appelle zum Innehalten, um den Weg für einen "offenen und inklusiven Dialog" freizumachen, wie es die Vereinten Nationen formulierten. Zugleich kommt es aber immer häufiger zu Gegenaktionen von China-Treuen. Im Juli wurden Demonstranten von Mitgliedern der Triaden, der chinesischen Mafia, brutal zusammengeschlagen. Am Mittwoch demonstrierten Hunderte Regierungsanhänger vor dem Büro des Hongkonger Journalistenverbands gegen die "einseitige" Berichterstattung über die Polizeieinsätze gegen die "Randalierer".
Die Protestbewegung hingegen sorgt sich um den "weißen Terror" durch Undercover-Agenten, die von den Sicherheitsorganen in ihre Gruppen eingeschleust worden sein sollen. Die Demokratiebewegung genießt in Hongkong große Sympathien, auch wenn nicht alle mit den radikaleren Aktionen der jüngeren Demonstranten - wie etwa die Flughafenbesetzungen - einverstanden sind. "Aber die Toleranz für solche Aktionen nimmt zu", glaubt Edwin Chow beobachtet zu haben. "In den vergangenen Jahren haben immer wieder bis zu zwei Millionen Menschen friedlich für Demokratie demonstriert. Aber die Regierung hat nicht auf das Volk gehört", lautet sein knappes Fazit.