Kenia sucht eine Lösung für 261.000 Flüchtlinge aus Dadaab

Ein Dilemma mitten in der Wüste

Kenia drängt auf die Räumung von Dadaab, des größten Flüchtlingslagers der Welt. Für Jugendliche, die hier geboren wurden, steht eine Rückkehr aber nicht zur Debatte. Welcher Ausweg ist noch möglich?

Autor/in:
Markus Schönherr
Somalische Flüchtlinge in Dadaab / © Dai Kurokawa (dpa)
Somalische Flüchtlinge in Dadaab / © Dai Kurokawa ( dpa )

Menschenrechtler, religiöse Führer, die UNO - ihr aller Rat stößt in Kenia auf taube Ohren. Zumindest, was das Flüchtlingslager Dadaab betrifft: Trotz massiver Kritik beharrt die Regierung in Nairobi darauf, das weltgrößte Camp für Vertriebene bis Mai zu schließen und 261.000 Somalier in ihre Heimat zurückzuschicken.

Kenias größte Sorge ist das Sicherheitsrisiko, das von dem Camp ausgehe. Präsident Uhuru Kenyatta sieht Dadaab und andere Lager als Brutplatz für die islamistische Miliz Al-Shabaab. 2013 hatten deren Rebellen ein Einkaufszentrum in der Hauptstadt gestürmt und 67 Menschen massakriert. Zwei Jahre später starben 148 Studenten beim Anschlag auf die Universität von Garissa. Geht es nach Kenias Regierung, so stammten mindestens zwei der vier Angreifer aus den Flüchtlingslagern. "Nach dem Anschlag auf Garissa wird sich Kenia genauso ändern wie Amerika nach 9/11", verkündete Kenyatta damals.

Rechtsfreier Raum?

In den klimatisierten Amtsstuben von Nairobi gilt Dadaab als gesetzesfreier Raum: ein Rückzugsort für Schmuggler und Steuerhinterzieher, ein Umschlagplatz für gefälschte Markenprodukte.

Laut Franco de Paoli, Vertreter des Malteserordens in Nairobi, heißt das grundlegende Problem Armut. "Mittellose, alleingelassene und vertriebene Menschen sind ein leichtes Ziel für die Anwerber skrupelloser Terrorgruppen. Und seit seiner Gründung 1992 mitten im Nirgendwo zog das Camp eine Menge armer Menschen an, die versuchen, irgendwie zu überleben."

"Die Rückführung somalischer Flüchtlinge ist für Kenia primär eine Frage der Sicherheit", sagt Peter Aling'o, Politologe am Institut für Sicherheitsstudien (ISS). "Populistische und nationalistische Motive" will er nicht ausschließen. So gebe es etwa keine Beweise dafür, dass in den Camps Terroristen rekrutiert würden.

Aling'o plädiert aus einem anderen Grund dafür, offen über die Schließung von Dadaab zu diskutieren: Kenia habe über Jahre den Großteil der Last getragen, die mit der Beheimatung der Flüchtlinge einhergehe. Von seinen ostafrikanischen Nachbarn fühle sich das Land im Stich gelassen. Mit der angekündigten Schließung des Camps ließen zudem auch internationale Hilfsgelder nach.

Über den Sicherheitsaspekt hinaus wolle Kenia mit der Schließung von Dadaab seine Langzeitstrategie für das Horn von Afrika untermauern, meint Aling'o. Die Regierung sehe die Schließung als Voraussetzung, Stabilität ins Nachbarland zu bringen. "Somalia kann nur von den Somaliern selbst wiederaufgebaut werden, vor allem, wenn es dazu kommt, Forderungen an die Regierung zu stellen", erklärt der Experte.

Mehrheit lehnt freiwillige Rückkehr ab

Kenia, Somalia und die UNO - sie setzen auf eine freiwillige Rückkehr. Die lehnen laut einer Umfrage aber 74 Prozent der Exil-Somalier in Dadaab ab. Vor 25 Jahren kamen die ersten von ihnen in der Zeltstadt an; eine Generation junger Somalier wurde hier geboren. Unter schwierigsten Bedingungen hätten sich die Menschen in dieser Zeit einen Alltag aufgebaut, berichtet Ninja Taprogge von der Hilfsorganisation Care. "Das Camp ist in fünf Bereiche aufgeteilt, auf denen es Märkte gibt. Kinder gehen zur Schule und Frauen schöpfen jeden Morgen Wasser." Zudem hätten viele Somalier keine Kontakte mehr in ihre Heimat. "Sie wissen nicht, in welche Lebensbedingungen sie zurückkehren würden."

Kenias Innenminister Joseph Nkaissery will die Rückführungen fortsetzen - auf "humane und würdige Weise". Davon ist die ostafrikanische Nation laut Kritikern aber weit entfernt: "Chaotisch und desorganisiert" seien die Rückführungen bisher gewesen. Zudem habe die UNO es versäumt, die Flüchtlinge ausreichend über ihre Rechte aufzuklären.

In einem Punkt sind sich Experten und die Helfer vor Ort einig: Das Dadaab-Dilemma braucht eine andere Lösung als eine Massenabschiebung.

Joseph Alessandro ist Bischof der Diözese Garissa, in dessen Zuständigkeit Dadaab fällt. Er rechnet damit, dass die geplante Schließung des Camps im Mai "aus humanitären Gründen" verschoben wird, so wie bereits 2016. Die Entscheidungsträger in Nairobi mahnt er: "Der Rückführungsprozess kann erfolgreich sein - aber nur, wenn er nicht an eine Frist geknüpft ist und den Somaliern ihre Sicherheit garantiert wird."


Quelle:
KNA