Die Niederlage am 4. Juli gilt als ausgemachte Sache. Die Frage ist nur: Wie groß wird bei der britischen Parlamentswahl das Ausmaß der Katastrophe für Premier Rishi Sunak und seine konservativen Mitstreiter sein? Wegen des Mehrheitswahlrechts droht den seit 14 Jahren regierenden Tories ein historisches Desaster.
Aus dem bevorstehenden politischen Umbruch wird aller Voraussicht nach die sozialdemokratische Labour Party als Siegerin hervorgehen - ohne ein wirklich überzeugendes Konzept. Labour-Chef Keir Starmer, von der Presse treffend "Mr. Langweilig" genannt, wirkte im Wahlkampf hölzern. Der zu erwartende Erfolg ist eher auf die Schwäche des Gegners als auf eigene Stärke zurückzuführen.
Angesichts dieser Gemengelage wenden sich die Kirchen in Großbritannien mit eigenen Kampagnen an die Wählerschaft. "Wir müssen vorbereitet sein", appelliert Kardinal Vincent Nichols in einem Wahlspot.
Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz von England und Wales ruft dazu auf, sich vor der Wahlentscheidung eine zentrale Frage zu stellen: "Wie wollen wir eine Gesellschaft aufbauen, in der Familien gedeihen können? Das ist die Grundlage." Keinesfalls sollte man den Ausgang der Wahl als sicher betrachten, so der Erzbischof von Westminster. Jede Stimme sei wichtig, um Einfluss auf den Kurs der künftigen Regierung zu nehmen.
Anglikaner haben Gebetsoffensive gestartet
Die anglikanische Church of England wählt indes einen spirituellen Ansatz, um auf die Bevölkerung einzuwirken. Mit Blick auf die Wahl hat sie unter dem Motto "Pray Your Part" eine 21-tägige Gebetsoffensive gestartet. Die Aktion soll dazu beitragen, trotz hitziger Debatten einen höflichen und freundlichen Umgang ohne Beleidigungen zu wahren. Das Königreich und die ganze Welt stünden vor "epischen Herausforderungen" - es gehe um Krieg, Frieden, Armut und Gerechtigkeit, sagt Erzbischof und Kirchenoberhaupt Justin Welby.
Tatsächlich ist die Stimmung unter den Briten angespannt. Das Wirtschaftswachstum entwickelte sich zuletzt zwar besser als in Deutschland, doch die schwierigen Jahre nach Brexit und Corona-Krise haben Spuren hinterlassen. Die Folgen des Ukraine-Kriegs ließen die Energiepreise explodieren. Der Aufschwung zu Jahresbeginn bleibt ein zartes Pflänzchen, Zuversicht kehrt nur langsam zurück. Profitieren kann die Regierung davon nicht. Zu tief sitzt die Enttäuschung über Chaos und Skandale unter Sunaks Amtsvorgängern Boris Johnson und Liz Truss. Hinzu kommt ein erbitterter Streit über die Migrationspolitik, der die Gesellschaft spaltet.
Schutz und ein offenes Ohr für Migranten
Zur Orientierung haben die katholischen Bischöfe einen Wahl-Leitfaden erstellt, der konkrete Handlungsempfehlungen zu wichtigen Fragen gibt. "Wir sind aufgerufen, Migranten und Flüchtlinge willkommen zu heißen, zu schützen und zu integrieren", heißt es darin etwa. Ein klarer Gegensatz zu Sunaks Plan, irregulär eingereiste Migranten ohne Rücksicht auf ihre Herkunft nach Ruanda abzuschieben.
Erstaunlich klar sind überdies die Formulierungen zur anhaltenden "Lebenshaltungskostenkrise", die viele Menschen hart getroffen habe.
"Die Regierung sollte Familien angemessen unterstützen", so der katholische Leitfaden. Zum Beispiel durch Steuererleichterungen oder Zuschüsse bei den Wohnkosten. Schließlich müsse sichergestellt werden, "dass Familien ein anständiges Zuhause haben können". Derlei Aspekte gelte es zu berücksichtigen, wenn man sich mit den zur Wahl stehenden Kandidaten befasse.
Auf solch detaillierte Einlassungen verzichtet die anglikanische Staatskirche, die augenscheinlich mehr um Neutralität bemüht ist.
"Wir wollen das Gebet in den Mittelpunkt unserer Kampagne stellen", betont Erzbischof Welby. Auch den Tories bleibt am Wahltag wohl nur noch eines übrig: beten.