DOMRADIO.DE: Spekuliert wird mittlerweile, wer der zurückgetretenen Premierministerin Liz Truss nachfolgen wird. Boris Johnson wird es wohl nicht. Der britische Ex-Premier teilte bereits mit, auf eine erneute Kandidatur als Premierminister zu verzichten. Was ist Ihre persönliche Einschätzung zum Rücktritt von Truss?
Thomas Jantzen (Evangelischer Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Schottland und Nordost-England): Wie soll ich das sagen? Da fällt einem fast nichts mehr dazu ein. Es ist ein bisschen peinlich, würde ich sagen. Das ist das eine.
Aber ich glaube, das Schlimmere sind die Auswirkungen der Politik von Truss auf die Wirtschaft. Denn während dieser Krise,in der wir alle stecken, bestehend aus den Folgen des Ukraine-Kriegs oder der Frage, wie man aus der Corona-Pandemie wieder herauskommen soll und in Großbritannien natürlich auch die Folgen des Brexit, kann man so etwas nicht gebrauchen.
DOMRADIO.DE: Können Sie uns sagen, was den Leuten in der Gemeinde und auch Ihnen gerade Sorgen bereitet?
Jantzen: Beim Gottesdienst in Newcastle haben wir kurz darüber gesprochen. Insbesondere diejenigen, die schon ganz lange hier sind und sich auch mindestens teilweise britisch fühlen, sind einfach enttäuscht wegen der ganzen Entwicklung. Was man braucht in so einer Zeit, ist eine stabile Regierung, eine, die irgendwie das Land aus der Krise führt. Das war jetzt mehr oder weniger das Gegenteil davon. Es gibt schon viel Enttäuschung.
Ansonsten "leiden" wir alle natürlich an den Preissteigerungen, aber das wird in Deutschland auch so sein. Im Schnitt sind wir in Großbritannien bei 15 Prozent, aber bei Grundnahrungsmitteln wie Mehl oder Milch auch bis zu 30 Prozent und mehr. Das ist dann deutlich zu spüren, insbesondere bei Leuten mit weniger Geld.
DOMRADIO.DE: Schottland spielt noch mal eine Sonderrolle. Die Schotten und Schottinnen wollten den Brexit eigentlich gar nicht. Welche Auswirkungen hat dieses Durcheinander in der Regierung auf das Land?
Jantzen: Die Schotten meinten, mit der gesamten Opposition Neuwahlen fordern zu können. Aber das ist natürlich nicht passiert. Wenn hier eine Partei gewinnt, dann hat sie das Mandat. Die Torys können ihren neuen Premier selber aussuchen.
Es macht kaum einen Unterschied, würde ich sagen. Der Norden fühlt sich generell oft von London aus vernachlässigt. Die aktuelle Situation verstärkt eigentlich nur noch das Gefühl.
DOMRADIO.DE: Wie nehmen Sie die Sorgen der Menschen wegen der aktuellen Krisensituation in der Gemeinde wahr und werden als Seelsorger aktiv?
Jantzen: Wir haben noch mit den Auswirkungen von Corona zu kämpfen. Wir haben viel Online-Kirche während der Corona-Zeit gemacht. Wir sind gerade an der Weiterentwicklung aus Corona heraus dran.
Wir haben versucht, mit den Leuten in Kontakt zu bleiben, nach Möglichkeit durch Onlineangebote, durch Telefonieren oder Rundbriefe. Es ist jetzt keine großartige Krise, aber es ist viel Veränderung zu spüren. Das verunsichert jeden Menschen, wenn sich alles wandelt. Es kam einiges hintereinander. Das verunsichert viele.
Deswegen versuchen wir eigentlich dadurch, dass wir unser Angebot stur weiter weitermachen und für die Menschen erreichbar sind, eine gewisse Konstanz reinzubringen. Das ist wichtig.
Das Interview führte Katharina Geiger.