Kirchentag debattiert über Werte, Hoffnung und Taten

Christ und Politik

Christen sind in Deutschland nicht mehr die Mehrheit. Die Kirchen stecken in der Krise, ihre gesellschaftliche Relevanz sinkt rapide. Lässt sich Gesellschaft von da aus überhaupt noch mitgestalten? Eine Suche auf dem Kirchentag.

Frau bei Bibelarbeit auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag am 9. Juni 2023 in Nürnberg. / © Katharina Gebauer (KNA)
Frau bei Bibelarbeit auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag am 9. Juni 2023 in Nürnberg. / © Katharina Gebauer ( KNA )

"Christen verfügen über eine Art überirdische und nie versiegende Kraftquelle: Gott. Aus ihm und seiner Botschaft schöpfen sie Trost, Hoffnung, Mut und Zuversicht. Das ist hilfreich in ganz individuellen Lebenssituationen.

Aber es hat auch – gerade in Zeiten zunehmender Krisen – ein nicht zu unterschätzendes gesellschaftspolitisches Potenzial, wie während der fünf Tage des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg deutlich wurde.

Bibelarbeit mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 08.06.2023 beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg / © Thomas Lohnes (epd)
Bibelarbeit mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 08.06.2023 beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg / © Thomas Lohnes ( epd )

Mit der Bibel Zuversicht schenken

Mit großer Eindringlichkeit betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: "Ich bin dankbar für jeden, der Hoffnung und Zuversicht schenkt – beides brauchen wir so dringend!"

Christen hätten dafür mit der Bibel ein gutes Rüstzeug mitbekommen, denn die vielfältigen Geschichten von Gott und Jesus und seinen Wundern zeigten: Veränderung zum Besseren ist möglich: "Wie gut tut diese Zusicherung. Auch wenn wir auf die Ukraine schauen oder die Situation der vielen Flüchtlinge", so das Staatsoberhaupt.

Letzte Generation auf Evangelischem Kirchentag

"Wir können das Leid nicht immer abschaffen und oft nicht sofort, aber wir können Veränderungen schaffen." Veränderung gelingt jedoch nur dann, wenn man in Krisen nicht bei der Schuldfrage hängen bleibt und sich ideologisch verkämpft.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht neben Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation / © Daniel Karmann (dpa)
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht neben Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation / © Daniel Karmann ( dpa )

Vielmehr gilt es, nach vorn zu blicken, aus Fehlern zu lernen und mehr über Gelingendes zu sprechen.

Auf diese Krux einigten sich exemplarisch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und die Sprecherin der "Letzten Generation", Clara Hinrichs, die ansonsten sehr kontrovers miteinander rangen, etwa darüber, wie radikal Klimaschutz-Aktionen sein dürfen.

EKD-Klimaschutzrichtlinie Vorbild für umstrittenes Heizungsgesetz 

Dass Kirchen beim Klimaschutz nicht nur Vorreiter sein sollen, sondern es mitunter schon sind, dafür lieferte Habeck ein Beispiel.

Das Heizungsgesetz, das die Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten so stark erhitzte, habe einen kirchlichen Vorläufer: die 2022 von der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschlossene Klimaschutzrichtlinie, die für den eigenen Bereich fossile Heizquellen in Zukunft verbietet: "Im Grunde haben wir nur übersetzt, was die Kirchen gemacht haben. Jetzt kann ich es ja verraten."

Christen sollen ihre Stimme im öffentlichen Diskurs erheben

Am Ende brachte es der Vizekanzler auf die Formel: "Das Mittel gegen Ohnmacht ist: Hoffnung in Taten umsetzen!" Ein Plädoyer, das so oder ähnlich viele der hochkarätigen nicht-kirchlichen Redner auf dem Kirchentag formulierten.

Wobei sie die Christen zugleich in die Pflicht nahmen, sich für die zentralen Themen Frieden, Klima und Demokratie einzusetzen – und lauter vernehmbar ihre Stimme im öffentlichen Diskurs zu erheben.

Der Kabarettist und Mediziner Eckart von Hirschhausen mahnte: "Die Mehrheit weiß oft nicht, dass sie die Mehrheit ist. Für den Sieg der Dummheit reicht, dass die Mehrheit schweigt."

Anderer Umgang als im "harten politischen Geschäft"

Als geradezu vorbildhaft erwies sich in diesen Tagen die Debattenkultur. Das kirchliche Großevent mit seinen rund 2.000 Veranstaltungen schuf Räume für respektvolle Diskussionen, um über strittige und komplizierte Themen zu sprechen, ohne populistisch abzugleiten.

Thomas de Maiziere, Präsident des 38. Deutschen Ev. Kirchentag, am 09.06.2023 beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. / © Thomas Lohnes (epd)
Thomas de Maiziere, Präsident des 38. Deutschen Ev. Kirchentag, am 09.06.2023 beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. / © Thomas Lohnes ( epd )

Der Kirchentagspräsident und ehedem lang gediente Minister Thomas de Maiziere bilanzierte: "Man geht hier anders miteinander um als im harten politischen Geschäft."

Explizit dankte Minister Habeck den Kirchen, dass sie Kirchentage zu Orten entwickelt hätten, "wo zentrale gesellschaftliche Themen kritisch und konstruktiv diskutiert werden, von Jung und Alt. Es gibt nicht viele solche Orte."

Seit Moskaus Krieg steckt die Kirche in einem ethischen Dilemma

"Entrüstet euch!" von Margot Käßmann und Konstantin Wecker

"In einer Zeit, in der Pazifismus belächelt und verspottet wird, ist uns wichtig, dass Menschen verschiedenster Herkunft und Motivation sich wieder zusammentun. Frieden ist keine Illusion, Frieden ist machbar. Wir können uns ent-rüsten!" Die Texte, die wir für dieses Buch zusammengestellt haben zeigen, welche Kraft ein gewaltloses Handeln haben kann – und sie spiegeln auch die Hoffnung, dass die Stimme des Pazifismus’ wieder hörbarer wird.“ - Margot Käßmann und Konstantin Wecker

Quelle: margotkaessmann.de

Friedensdemo zum Ukraine-Krieg / © Patrick Pleul (dpa)
Friedensdemo zum Ukraine-Krieg / © Patrick Pleul ( dpa )

Evangelische Kirchentage in Deutschland prägten früher politische Debatten vielleicht stärker, gerade auch mit Blick auf Rüstungsfragen in den 1980er Jahren.

Es war aber auch einfacher, stark aufzutreten, in Zeiten, wo man sich einvernehmlich auf "Schwerter zu Pflugscharen" verständigen konnte.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine steckt die Kirche indes in einem Dilemma zwischen dem Anspruch, Konflikte gewaltfrei zu lösen, und einer Solidarität mit der Ukraine, die auch Waffenlieferungen umfasst.

Margot Käßmann nicht dabei

Tendenziell, so der Eindruck, war die Fraktion der Pazifisten, die an "Frieden schaffen ohne Waffen" weiter bedingungslos festhalten, eher in der Minderheit.

Eine prominente Vertreterin, die frühere Bischöfin Margot Käßmann, kam überraschend nicht. Stattdessen ein Novum: Erstmals saß mit dem Generalinspektor Carsten Breuer der oberste Soldat der deutschen Bundeswehr auf einem Kirchentagspodium.

Und diskutierte mit dem pazifistisch orientierten EKD-Friedensbeauftragen Friedrich Kramer. Ein Richtungswechsel, der aber auch zeigt: Man will offen für alle Positionen sein.

Außer für die von AfD-Mitgliedern. Von deren Ausschluss rückt das Kirchentagspräsidium nicht ab.

Kirchentagspräsident de Maiziere verteidigt Konzeption der Veranstaltung

Auffällig war allerdings auch, wie wenig Raum man dem Thema Missbrauch einräumte. Dazu gab es lediglich ein spärlich besuchtes Podium, einen Gottesdienst und zwei kleine Veranstaltungen.

Kirchentagspräsident de Maiziere versuchte auf Nachfrage von Journalisten abzuwiegeln: Es "sei nicht zulässig", von der Veranstaltungszahl darauf zu schließen, das Thema sei dem Veranstalter nicht wichtig.

Überzeugen konnte er damit nicht. Nicht nur die Medien nahmen diesen blinden Fleck bei den Protestanten deutlich wahr. Insgesamt zählten die Veranstalter bei diesem Kirchentag, dem ersten in Präsenz nach Corona, 70.000 Teilnehmer.

Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, spricht beim Eröffnungsgottesdienst zum 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag / © Daniel Karmann (dpa)
Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, spricht beim Eröffnungsgottesdienst zum 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag / © Daniel Karmann ( dpa )

Glaubensfest und Ideenbörse 

Das reichte zwar nicht an die knapp 120.000 Gäste vom Kirchentag 2019 in Dortmund heran, doch es ist immer noch das mit Abstand größte kirchliche Event im Jahr.

Und die zahlreich vertretenen Spitzenpolitiker zeigen: Dieses Christentreffen hat gesellschaftspolitische Relevanz.

Es war ein Glaubensfest, aber auch eine Ideenbörse für die Zukunft der Gesellschaft.

Wäre nur der Kirchentag Gradmesser für den Zustand der Kirche, wäre von einer Krise wenig zu sehen."

Inhalt fehlt.

Quelle:
KNA