Kirchliche Verwaltungsgerichte

Neuer Schwung für alte Idee

Nach dem Anti-Missbrauchsgipfel und vor der Vollversammlung bringen Bischöfe eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland ins Spiel. Die Idee ist schon über 40 Jahre alt. Schon 1975 sollte es mehr Rechtsschutz für Katholiken geben.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Insignien weltlicher Gerichtsbarkeit: Hammer, Justitia und Aktenstapel. / © Volker Hartmann (dpa)
Insignien weltlicher Gerichtsbarkeit: Hammer, Justitia und Aktenstapel. / © Volker Hartmann ( dpa )

Walter Bayerlein (83) hat dieser Tage allen Grund, sich die Augen zu reiben. Der einstige Vorsitzende Richter am Münchner Oberlandesgericht und Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) kämpfte schon in den 1970er Jahren wie ein Löwe für eine eigene kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland. Gut 40 Jahre später wird sie heute wieder gefordert, auch von Bischöfen, und zwar als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal. "Wenn ich mehr Kraft hätte, würde ich an die Öffentlichkeit gehen und Remmidemmi machen", sagt Bayerlein, der gerade einen Krankenhausaufenthalt hinter sich hat: "Jetzt ist der Kairos."

Von 1971 bis 1975 tagte in Würzburg die Synode der westdeutschen Bistümer. Ihr Statut war weltweit einmalig: Laien und Kleriker hatten gleiches Stimmrecht. Am Ende der in mehreren Etappen stattfindenden und teils stürmischen Versammlung wurde unter anderem eine "Ordnung der Schiedsstellen und Verwaltungsgerichte der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland" beschlossen. Die Kirchliche Verwaltungsgerichtsordnung, kurz KVGO, wurde maßgeblich von Bayerlein verfasst. Der Jurist war damals 34 Jahre alt.

Gegen Willkür-Akte

An welche Fälle er und seine Unterstützer damals dachten, liest sich aus heutiger Sicht bisweilen kurios: "Ein Pfarrer verweigert zwei Katholiken die öffentliche kirchliche Trauung, weil einer von ihnen Neger ist." Oder: "Ein Pfarrer schiebt die Taufe auf, weil das Kind nichtehelich geboren ist oder weil er mit den Eltern in Streit lebt." Klar ist aber die Intention: Zum Schutz vor Willkür-Akte durch die Hierarchie sollten sich Katholiken an weisungsunabhängige Richter wenden können.

Diskussionen gab es bei der Synode um die Klagebefugnis und um das, was überhaupt gerichtlich überprüfbar sein sollte. Im Ergebnis entschied man sich für einen Mittelweg. Klagen können sollte nur, wer sich in seinen eigenen Rechten verletzt sah. Die gerichtliche Klärung von Lehrstreitigkeiten oder das Überprüfen von Rechtsnormen war nicht vorgesehen. Auch sollte es nicht möglich sein, etwa einen Bischof auf Priesterweihe zu verklagen.

Nicht mehr als ein Entwurf?

Die Deutschen konnten sich bei ihrem Vorhaben auf einen breiten Konsens im Weltepiskopat und auch in der römischen Kurie berufen. Papst Paul VI. ließ den Bischofskonferenzen sogar 1972 ein Rahmengesetz für solche Verwaltungsgerichte zukommen. Allerdings war der Text nur ein Entwurf, weshalb die Synode auch nur ein Votum an den Papst beschließen konnte. Das tat sie mit 239 Ja-Stimmen bei sieben Gegenstimmen und zwei Enthaltungen.

Der Text war Paragraf für Paragraf wie ein Gesetz verfasst und behandelte auf knapp 30 Seiten Instanzen, Verfahrensvorschriften, Beschwerdemöglichkeiten. In der letzten Zeile fehlte nur noch das Datum des Inkrafttretens. Gespannt wartete man daraufhin auf das Erscheinen des überarbeiteten Universalkirchenrechts. Als der Codex Iuris Canonici (CIC) 1983 veröffentlicht wurde, war in Deutschland wieder Augenreiben angesagt.

Reform einkassiert

Denn die erwarteten Normen für kirchliche Verwaltungsgerichte fehlten darin. So bleibt Gläubigen bis heute nur die Möglichkeit, sich auf dem Wege des sogenannten hierarchischen Rekurses in Rom zu beschweren. Ein umständliches und kostspieliges Verfahren, allein wegen des damit verbundenen Anwaltszwangs. Am Ende steht, wenn überhaupt, eine Gerichtsverhandlung auf Latein.

Doch Bayerlein ließ nicht locker. Als Mitglied des ZdK trug er jahrzehntelang bei gemeinsamen Konferenzen mit den deutschen Bischöfen das Anliegen vor, fast wie der alte Cato sein "ceterum censeo" im römischen Senat. Kardinal Karl Lehmann als Vorsitzender der Bischofskonferenz habe ihn aber stets vertröstet, erinnert sich Bayerlein heute. Erst sollte eine kirchliche Arbeitsgerichtsbarkeit geschaffen werden, was 2010 nach vielen Diskussionen mit römischen Stellen schließlich auch gelang. Bayerlein glaubt aber auch, dass die Bischöfe lange "einfach Angst vor Gewaltenteilung" gehabt hätten.

Bischöfe in Lingen können auf Vorschläge aufbauen

2001 zeigte der Benediktiner Dominicus Meier - früher Abt in Meschede, heute Weihbischof in Paderborn - in seiner kirchenrechtlichen Habilitationsschrift auf, dass der Synodenbeschluss von 1975 mit einigen Modifikationen kompatibel mit dem CIC gemacht werden kann. Wenn sich die deutschen Bischöfe in Lingen mit der Idee beschäftigen, müssen sie nicht bei Null anfangen.

Der Beschluss einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsordnung wäre jedenfalls eine späte Genugtuung für den Bayern Bayerlein. Der sagte 2010 in einem KNA-Interview: "Mit Recht treten wir weltweit für die Menschenrechte ein, fordern überall rechtsstaatliche Verhältnisse. Damit das Recht seine Schutzwirkung gegenüber dem Einzelnen entfalten kann, muss es auch ein geeignetes Verfahren geben, in dem es durchgesetzt werden kann. Es schwächt den inneren Frieden und die Überzeugungskraft nach außen, dass die Kirche für Konflikte in den eigenen Reihen keinen ausreichenden Rechtsschutz hat."


St. Bonifatius, Lingen (DR)
St. Bonifatius, Lingen / ( DR )

Vor der Bischofskonferenz / © Arne Dedert (dpa)
Vor der Bischofskonferenz / © Arne Dedert ( dpa )
Quelle:
KNA
Mehr zum Thema