Kritiker sprechen von einem "alten Zopf", der längst abgeschnitten gehöre. Selbst katholische Bischöfe stellen das Arbeitsrecht der Kirchen in Frage. Und spätestens der Missbrauchsskandal hat das Vertrauen in die beiden großen Kirchen in Staat und Gesellschaft in Frage gestellt - und damit auch die weitgehenden Rechte der Kirchen als Arbeitgeber.
Warum unterliegen Angestellte der Kirchen überhaupt anderen Bedingungen als die übrigen Arbeitnehmer? Fest steht: Kirchen sind Tendenzbetriebe - wie auch Zeitungen oder Gewerkschaften. Um der eigenen Glaubwürdigkeit willen können sie von ihren Mitarbeitern loyales Verhalten fordern. Doch insbesondere die katholische Kirche hat bisher darüber hinaus gehende Anforderungen auch an das Privatleben ihrer Mitarbeitenden gestellt.
Sonderstellung der Kirchen
Grundlage dafür ist das Grundgesetz, das den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein - weltweit einmaliges - weitreichendes Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht einräumt. Von den heute rund 1,3 Millionen Mitarbeitern der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände wird infolgedessen eine Übereinstimmung mit den kirchlichen Glaubens- und Moralvorstellungen auch im Privatleben erwartet.
Ein Verstoß dagegen - etwa Kirchenaustritt, Wiederheirat nach Scheidung oder Homo-Ehe - kann in der katholischen Kirche arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung nach sich ziehen. Bisher zumindest. Im sogenannten "Dritten Weg" regeln kirchliche Dienstgeber und Dienstnehmer außerdem Tariffragen in eigenen Gremien; die Gewerkschaften bleiben weitgehend außen vor.
Doch all das steht zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Politisch und rechtlich. Im Koalitionsvertrag einigten sich die Regierungsparteien der Ampel darauf, die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht zu überprüfen. Vor allem die Gewerkschaften fordern seit geraumer Zeit, dass das Betriebsverfassungsgesetz und damit etwa das Streikrecht auch für kirchliche Mitarbeiter gelten müsse.
Krachende juristische Niederlagen
Auch das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz setzt kirchliche Vorgaben unter Druck - etwa durch das Verbot der Diskriminierung sexueller Minderheiten, die Forderung nach Gleichstellung der Geschlechter oder die Frage, ob der Arbeitgeber Kirche nicht-christliche Bürger bei Bewerbungen ablehnen darf.
Treibende Kräfte der Veränderung sind die höchsten Gerichte in Europa und in Deutschland. Insbesondere der Europäische Gerichtshof hat wenig Verständnis für Ausnahmeregelungen bei den Kirchen. Er hat die individuellen Menschenrechte und den Antidiskriminierungsschutz auch gegenüber den Kirchen gestärkt; das Bundesarbeitsgericht folgt dieser Argumentation häufig.
Dagegen stärkte das Bundesverfassungsgericht bisher eher das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen als Arbeitgeber. Der Staat habe kein Recht, die von ihnen geforderten religiösen Normen zu bewerten.
Stolpersteine: Umgang mit Homosexualität und Ehescheidung
Zuletzt verzeichneten die Kirchen mehrfach krachende juristische Niederlagen. 2019 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass die Kündigung eines Chefarztes eines Düsseldorfer katholischen Krankenhauses wegen seiner zweiten standesamtlichen Heirat nicht rechtens war. 2018 gab es eine Klatsche für die evangelische Diakonie. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass kirchliche Arbeitgeber nicht bei jeder Tätigkeit von Bewerbern eine Religionszugehörigkeit fordern dürfen.
Dass das kirchliche Arbeitsrecht unter Druck geraten ist, liegt sicher auch an ihrer schwächer werdenden gesellschaftlichen Position. Es war ein überregional beachtetes Signal, dass die Stadt Königswinter bei Bonn 2012 der katholischen Gemeinde - erstmals bundesweit - die Trägerschaft eines Kindergartens entzog. Grund war, dass der Pfarrer der beliebten Kindergartenleiterin gekündigt hatte, weil sie nach einer Scheidung mit einen anderen Partner zusammenlebte.
Insgesamt wird der Umgang der Kirche mit Homosexualität und Ehescheidungen von der Öffentlichkeit zunehmend als unbarmherzig erlebt. Gerade im Osten Deutschlands und in manchen Großstädten wird es für die Kirchen zudem immer schwerer, Angestellte zu finden, die den Loyalitätsanforderungen entsprechen.
Neue "Grundordnung des kirchlichen Dienstes"
Die meisten Bischöfe spüren Reformdruck. Auch wenn sie betonen, dass damit moraltheologische Lehren der Kirche nicht verändert werden sollen. Bereits 2015 gab es erste Liberalisierungen der Rahmenordnung. Jetzt sollen weitere Schritte folgen.
Im Mai stellte die Bischofskonferenz den Entwurf einer neuen "Grundordnung des kirchlichen Dienstes" vor. Darin werden insbesondere die Anforderungen an die Lebensführung von Mitarbeitenden zurückgefahren. Künftig soll die private Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, keinen Anlass mehr für Entlassungen bieten. Als einziger Kündigungsgrund soll "kirchenfeindliches Verhalten" bleiben.
Dass katholische Einrichtungen wie Kitas, Pflegeheime oder Kliniken als christlich erkennbar bleiben, dafür sollen die Arbeitgeber stärkere Verantwortung übernehmen. Und das sollte auch eher in der täglichen Arbeit zu spüren sein als in den privaten Lebensverhältnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.