DOMRADIO.DE: Was sagen Sie zu der Aussage von Minister Robert Habeck?
Luisa Neubauer (Klimaaktivistin von der "Fridays-for-Future"-Bewegung): Wir haben als Klimabewegung und als Zivilgesellschaft so hart gearbeitet, um eine Klimapolitik zu bekommen, die aufgeht und funktioniert. Jetzt sehen wir mit diesen neuen Zahlen ganz klar, dass es gute Klimapolitik geben kann und sie auch funktionieren kann.
Die Zahlen zeigen ganz konkret, dass die Emissionen gerade sinken. Sie können auch bis 2030 weiter sinken, damit die Ziele eingehalten werden. Das heißt noch nicht, dass es reicht. Es heißt aber, dass wir Mittel und Wege haben, um den Klimaschutz wirklich umzusetzen. Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Nachricht für jene Leute, die sich manchmal denken, dass alle über das Klima, aber zu wenig passiert und sie sich fragen, ob das überhaupt etwas bringt. Ja, es bringt etwas. Es bringt auch etwas, sich einzusetzen.
Gleichzeitig muss man betonen, dass es nicht heißt, dass alles gut wird, nur weil es jetzt eine gute Meldung gibt und weil wir wissen, dass man Emissionen reduzieren kann und es sich lohnt, Klimapolitik zu machen.
Das, was wir jetzt erleben, war möglich, weil Menschen diesem Land so zahlreich und oft auf die Straße gegangen sind und weil wir auf allen Ebenen kämpfen und weil Leute in ihrem Privatleben und im politischen Leben alles geben. Diesen Druck braucht es ganz offensichtlich auch weiterhin.
DOMRADIO.DE: Fridays for Future positioniert sich auch gegen die AfD und den Rechtsruck. Wie ist es dazu gekommen?
Neubauer: In einer Zeit, in der die Faschisten weltweit erstarken und Menschen bedroht und ausgegrenzt werden, sind wir alle gefragt, Haltung zu zeigen. Dabei geht es dann gar nicht darum, ob man Aktivistin ist oder nicht. Es geht darum, ob man Mensch ist.
In dem Augenblick, in dem ich still bleibe, in dem ich stumm bleibe, mache ich mich mit vielen Ungerechtigkeiten da draußen gemein. Das will ich nicht.
Gleichzeitig hängt das auch alles zusammen. Ich kämpfe für gerechten Klimaschutz, den es nur in einer intakten Demokratie geben kann, wo unsere Institutionen funktionieren, wo der Staat arbeiten kann und wo Menschen ein Vertrauen darauf haben, dass eine Gemeinschaft, eine demokratische Gemeinschaft zusammen vorankommen kann.
All das wollen die Faschisten und die Rechtsradikalen schreddern. Das heißt, auch im Sinne von einem guten und gerechten Klimaschutz brauchen wir eine wehrhafte Demokratie.
DOMRADIO.DE: Bei der kommenden Europawahl werden auch junge Menschen ab 16 wählen dürfen. Sehen Sie da eine Hoffnung für die Demokratie?
Neubauer: Um Europa wird es jetzt gerade in jedem Sinne heiß. Neue Studien haben jetzt wieder gezeigt, dass Europa von allen Kontinenten der Kontinent ist, der sich am schnellsten erhitzt. Forscherinnen und Forscher haben gezeigt, dass ganz akut in Europa Hunderttausende Menschen an Hitzewellen sterben könnten.
Es ist also längst nicht mehr der Fall, dass Klimaschutz ein Problem der Zukunft oder von irgendwelchen anderen Leuten ist. Wir sind hier auch massiv betroffen und wir tragen eine enorme Verantwortung auch für die Welt.
Bei dieser Europawahl stehen wir vor einer Richtungswahl. Wir stehen vor einem potenziellen, riesengroßen und gefährlichen Rechtsruck. Auf der anderen Seite gibt es aber so viel, was europäisch geleistet werden muss: Klimaschutz, Sicherheit, aber auch Wirtschaftsentwicklung sowie die Frage von Gleichheit und Bildung und vieles mehr.
Das heißt, bei dieser Europawahl rufen wir als Bewegung und rufe ich ganz maßgeblich dazu auf, für Demokratie und Klima wählen zu gehen und den Faschisten nicht diesen Kontinent und die EU zu überlassen. Denn sie werden jedes unserer Probleme verschärfen, egal wie groß diese Probleme heute schon sind.
DOMRADIO.DE: Gibt es in der Klimabewegung auch Menschen, die mit rechten Positionen sympathisieren?
Neubauer: Man muss zwischen faschistischen und rechten Positionen unterscheiden. Faschismus hat keinen Platz auf irgendeiner Demo. Gleichzeitig sind wir überparteilich. Da machen wir keine Auslese, weil wir uns genau dafür einsetzen, dass wir im demokratischen Feld entlang des gesamten politischen Spektrums gemeinsam vorankommen.
Wir leben in einem Land, in dem wir dauerhaft mit politischen Koalitionen arbeiten. Das heißt, es bringt nichts, alles auf eine Partei zu setzen. Es geht darum, eine Breite zu schaffen und auf die Straße zu tragen. Gleichzeitig bringt es aber nichts, eine Breite zu zelebrieren, wenn man dann keine klare Kante gegen Faschismus, gegen Rechtsradikalismus und gegen Ausgrenzung zieht.
DOMRADIO.DE: Auch die Bischofskonferenz hat sich klar gegen die AfD positioniert. Ist eine fruchtbare Koalition zwischen Kirche und Klimabewegung vorstellbar?
Neubauer: Diese Art von Allianzen gibt es schon ganz lange und das ist genau richtig so. Seit wir angefangen haben auf die Straße zu gehen, hat sich hier eine ganze Welt verändert, weil wir auf einmal sehen, wie selbstverständlich etliche Institutionen, Kirchen und Gewerkschaften aufstehen und sagen: "Nein, das ist doch auch unser Problem. Wir überlassen das nicht den Kindern oder den jungen Leuten, sondern wir verstehen, wir haben eine Stimme, wir sind gefragt."
Da sind gerade kirchliche Akteure, sei es katholisch oder evangelisch, immer wieder wie auch in den letzten Jahren aufgestanden und haben gesagt, dass hier etwas getan werden muss. Das ist gut.
Gleichzeitig gilt der Appell gerade an die katholische Kirche, noch mal scharf zu hinterfragen, wie es eigentlich mit den eigenen Kapitalanlagen aussieht. Die katholische Kirche hat ganz viele Kapitalanlagen, die teilweise immer noch in Kohle, Öl und Gas investiert sind. Wann kommen eigentlich die großen Solaroffensiven auf kirchlichen Flächen? Da gibt es noch viel zu tun.
DOMRADIO.DE: Sie sind dieses Jahr beim Katholikentag in Erfurt mit dabei. Was bedeutet Ihnen das?
Neubauer: Die Kirche in Deutschland ist ein Akteur, von dem wir erwarten, dass sie Haltung zeigt, dass sie standhaft bleibt und dass sie versteht, wenn es Zeit ist, für den Klimaschutz oder gegen den Faschismus laut zu werden.
Gleichzeitig sehe ich Momente wie den Katholikentag als auch als Momente des Zusammenkommens, des Innehaltens. Es klingt so pathetisch, aber das ist ganz wichtig in dieser Zeit, in der die Hoffnungslosigkeit so gefährlich nahekommt und in der es so leicht ist, zu resignieren.
So ein Zusammenkommen ist auch immer ein Moment, in dem wir uns im besten Falle in die Augen gucken, indem wir uns gewahr werden, dass wir dann doch viele sind und dass wir nicht alleine sind und dass es vielleicht leicht scheint, sich der Hoffnungslosigkeit hinzugeben, aber dass es eben auch eine trügerische Verlockung ist, weil dahinter eben nichts auf uns wartet.
Gleichzeitig können wir uns entscheiden, dass wir uns einsetzen, dass wir uns zusammentun und dass wir die Verhältnisse zum Besseren wenden.
Alle großen Veränderungen, die wir im Positiven in der Welt erlebt haben, also die großen Bewegungen, die Befreiung ermöglicht haben oder Bürgerrechte sowie Frauenrechte, Gewerkschaftsrechte oder Streikrechte etabliert haben, wurden erkämpft. Diese ganzen Errungenschaften, die für uns heute ganz normaler Teil unseres Alltags sind, haben andere Menschen für uns erkämpft. Andere haben auch dafür gekämpft, dass ich als Frau hier stehen kann und sagen kann, was ich will.
All diese Errungenschaften wurden durch nichts anderes als ganz viele Personen möglich, die für sich ganz privat und individuell gedacht haben, wie es wäre, wenn sie heute mal rausgehen und sich etwas Großem anschließen. Sie haben einen Schritt aus ihrer Komfortzone gemacht.
Das ist es letztendlich, worum es geht, dass wir für uns begreifen, dass ich das bin, was ich habe. Aber da draußen gibt es ganz viele Menschen. Zusammen können wir alles erreichen.
Das Interview führte Annika Weiler.