Klinikseelsorger veröffentlicht Buch über Leiden und Sterben

Schwerkranke als "Giftkröte" bezeichnen?

"Welche Farbe hat der Tod?" So heißt ein neues Buch, das der Ingolstädter Klinikseelsorger Christoph Kreitmeir über das Leiden und Sterben geschrieben hat. Der Franziskaner hat seit 2017 rund 1.800 Sterbegänge begleitet, wie er sagt. 

Autor/in:
Christopher Beschnitt
Eine Frau liegt im Sterben / © Motortion Films (shutterstock)
Eine Frau liegt im Sterben / © Motortion Films ( shutterstock )

 

KNA: Pater Christoph, Sie schreiben in Ihrem Buch, Gesundheit sei im Leben nicht das Wichtigste. Was dann? 

Pater Christoph Kreitmeir / © Privat (privat)
Pater Christoph Kreitmeir / © Privat ( privat )

Christoph Kreitmeir (Priester und Franziskanerpater): Gesundheit kann nicht das Wichtigste im Leben sein, weil sonst viele Menschen als minderwertig eingeordnet würden. Chronisch Kranke zum Beispiel, Behinderte. Für mich ist das Wichtigste der - religiös oder auch philosophisch motivierte - Glaube daran, dass das Leben trotz allen Leids einen Sinn hat. Welchen auch immer. 

KNA: Sie erklären, Sie möchten Kranke von der Frage nach dem Warum wegführen. Wieso und wie tun Sie das? 

Pater Christoph Kreitmeir

"Wenn du nichts mehr ändern kannst, kannst du immer noch deine Einstellung ändern."

Kreitmeir: Warum habe ich Krebs? Weshalb ist mein Kind tot? Solche Fragen bedrängen Betroffene fast zwangsläufig. Doch meistens lassen sie sich nicht beantworten. Deshalb versuche ich den Menschen klarzumachen: Wenn du nichts mehr ändern kannst, kannst du immer noch deine Einstellung ändern. In dem Fall die Einstellung zum Tod. Für mich als Christ ist der Tod kein Ende, sondern ein neuer Anfang. Diese Sichtweise möchte ich den Menschen eröffnen.

KNA: Wie empfänglich sind die Leute dafür?

Kreitmeir: Die meisten sehr. Das gilt nicht nur für ältere, eher kirchennahe Menschen. Das gilt auch für Jüngere, für die der christliche Glaube häufig nicht mehr selbstverständlich ist. Die glauben vielleicht nicht daran, dass da Gott ist. Aber sie glauben oft nebulös "irgendwie" an ein Leben nach dem Tod. Oft höre ich gerade von solchen Angehörigen, wie wichtig es ihnen ist, dass ihre Lieben im Jenseits von bereits verstorbenen Verwandten empfangen werden.

KNA: In Ihrem Buch steht: "Manchmal, wenn wir achtsam und leise sind, dann können wir auf unserer Seite 'Lebenszeichen' von der anderen Seite wahrnehmen." Was für Zeichen sind das?

Kreitmeir: Für mich kann ich sagen: Ich habe eine Sensitivität für das Jenseitige, ich kann manchmal regelrecht spüren, dass Verstorbene von der anderen Seite da sind. Wenn ich zum Beispiel am Sterbebett mit einer Frau über ihren schon lange toten Mann rede, kann es sein, dass ich auf einmal dessen, sagen wir mal, geistige Anwesenheit wahrnehme.

Christoph Kreitmeir

""Du wirst drüben erwartet und abgeholt, da gibt es ein Empfangskomitee." So kann das Sterben von Vorfreude geprägt werden."

Und das sage ich dann: "Du wirst drüben erwartet und abgeholt, da gibt es ein Empfangskomitee." So kann das Sterben von Vorfreude geprägt werden. Jesus sagte ja, er werde eine Wohnung für uns vorbereiten - warum sollten wir da allein wohnen?

KNA: Hat jemand, der keine "Zeichen" aus dem Jenseits spürt, nur noch nicht genug geübt?

Kreitmeir: Ich denke, entweder hat man diese Fähigkeit ähnlich wie Musikalität oder nicht. Falls man sie hat und nutzen will, muss man sie tatsächlich durch Übung stärken, etwa durch Meditation, Achtsamkeit oder natürlich Gebet. Es gibt auch Menschen, die nach Nahtoderfahrungen solche Fähigkeiten entwickeln können.

KNA: Kann dieser Standpunkt nicht Menschen unter Druck setzen und zur Verzweiflung bringen? Nach dem Motto: Warum bloß bekomme ich keinen Kontakt zu meinen Verstorbenen? Werde ich etwa von niemandem erwartet?

Kreitmeir: Oh, das hat mich noch niemand gefragt. Das ist natürlich das Letzte, was ich erreichen will. Nein, es muss klar sein: Diese Energie wahrnehmen zu können, ist eine Gabe; namhafte Heilige hatten sie zum Beispiel auch. Und auch, wenn man sie hat, gibt es keine Garantie für das Erspüren Verstorbener. Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Hinweis, dass es auf diesem Gebiet sehr viel Scharlatanerie gibt. Vorsicht vor Leuten, die ihr vermeintliches Talent als exklusives Wissen für Geld verkaufen wollen!

KNA: Sie schildern in Ihrem Buch auch, wie Sie eine schwerkranke Frau einmal «Giftkröte» genannt haben. Wie offen darf man gegenüber solchen Menschen sein? 

Kreitmeir: Wenn es passt: sehr offen. Dafür braucht man natürlich Erfahrung und Gespür. Offenheit bedeutet ja: Du bist mir wichtig, ich glaube, du könntest dich ändern. Ansonsten könnte ich es mir mit Blabla bequem machen. Im Fall, den Sie ansprechen, geht es um eine alte Frau - wirklich kein einfacher Mensch.

Sie erzählte mir auf dem Krankenbett, ihre Tochter habe sie "Giftkröte" genannt, das sei ja wohl unerhört. Ich fasste mir ein Herz und sagte: "Manchmal sind Sie wirklich wie eine Giftkröte!" Die Frau war erst schockiert. Später bedankte sie sich bei mir und bat ihre Tochter für ihr unleidliches Verhalten um Entschuldigung. Heute ist sie umgänglicher.

KNA: Sie sind katholischer Priester, lassen in Ihrem Buch aber oft durchblicken, dass Sie Ihre Kirche in Sachen Sterbebegleitung für ausbaufähig halten. Warum?

Kreitmeir: Wir sprachen über Kontakte zu Verstorbenen. Die zu verbieten, wie es der Katechismus tut, vergibt eine Chance des Beistands. Auch sollten wir bereits Verstorbenen nicht die Sakramente verweigern. Ich darf ein tot geborenes Kind nicht taufen, ich soll Toten keine Krankensalbung spenden. Aber genau solche Rituale würden den Angehörigen in ihrer Trauer helfen. Die Sakramente sollen bewusst empfangen werden, so das Kirchenrecht. Welcher Säugling tut das denn? 

Christoph Kreitmeir

"Die Kirche verschenkt da ihre Kernkompetenz, den Trauernden Trost und Hoffnung zu geben."

Welcher Sterbende voller Morphium? Außerdem verlässt die Seele den Körper meiner Erfahrung nach nicht sofort. Die Kirche verschenkt da ihre Kernkompetenz, den Trauernden Trost und Hoffnung zu geben.

KNA: "Welche Farbe hat der Tod?" heißt Ihr Buch. Wie lautet die Antwort?

Kreitmeir: Dunkelbunt. Sterben führt immer irgendwie durchs Dunkel, wegen körperlicher Schmerzen, wegen Angst, Ungewissheit, wegen des Abschiednehmens. Menschen begeben sich beim Sterben wie in einen Tunnel, dessen Ausgang sie nicht kennen. Aber an diesem Ausgang, das ist mein fester christlicher Glaube, wartet Licht, wartet das Paradies - Gott. Und der besteht aus allen Farben, die es gibt. 

Krankenhausseelsorge

Kranke zu besuchen, Trauernde zu trösten und Sterbenden beizustehen, gehört seit ihren Anfängen zum Kerngeschäft der Kirche. In ihrer Summe sind diese existenziellen Ausnahmesituationen in jedem Krankenhaus anzutreffen. Deshalb arbeiten Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger in Akutkrankenhäusern, in Palliativteams, in Kinderkliniken, in Psychiatrie und Maßregelvollzug sowie in Reha-Zentren, wo sie den Patienten, Angehörigen, aber auch Mitarbeitenden Beistand leisten. Sie tun dies unabhängig von Religions- und Konfessionszugehörigkeiten sowie in ökumenischer Weite und Verbundenheit.

Leerer Krankenhauskorridor / © Ground Picture (shutterstock)
Leerer Krankenhauskorridor / © Ground Picture ( shutterstock )
Quelle:
KNA