DOMRADIO.DE: Welche Gründe gibt es, ein besonderes Arbeitsrecht für kirchliche Mitarbeitende aufrechtzuerhalten, zumal es sich um einen deutschen Sonderweg handelt?
Bruno Schrage (Verantwortlicher für Caritaspastoral und für Grundsatzfragen des Diözesancaritasverbandes Köln): Das ist schon genau die richtige Frage. Das Arbeitsrecht ist im staatlichen Kontext ein Schutzrecht für Arbeitnehmer und beschreibt die Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber. Jetzt könnte man die Frage stellen: Brauchen Arbeitnehmer ein besonderes Schutzrecht bei der Kirche? Oder: Braucht die Kirche ein besonderes Schutzrecht gegenüber Arbeitnehmern?
Mit aller Vorsicht muss man sagen, dass die Kirche das kirchliche Arbeitsrecht bisher genutzt hat, um ihren Identitätsprozess ein Stück mitzugestalten. Am Anfang im Jahr 1983, hat man mit diesem Identitätsprozess begonnen, indem man – ich sage es mal sehr einfach und holzschnittartig – gesagt hat: "Wir stellen nur katholisch ein und haben so eine katholische Kultur. Dann wird auch katholisch gearbeitet und dann ist unser Profil geklärt."
Das hat das Bundesverfassungsgericht sehr schnell eingeholt und gesagt: "Na, ganz so einfach ist es nicht. Ihr müsst in den Schranken des staatlichen Arbeitsrechts bleiben, auch wenn ihr ein besonderes Selbstbestimmungsrecht als Kirche habt. Das müsstet ihr schon deutlicher differenzieren." Dann hat die Kirche das differenziert und 1993 die sogenannte erste Grundordnung für den kirchlichen Dienst verfasst. Darin ist das zum Vorschein gekommen, was "OutInChurch" jetzt und davor schon die Caritas immer wieder vollkommen zu Recht laut kritisiert haben.
Die Kritik an der Grundordnung ist: "Das ist hoch diskriminierend. Wir machen die Identität, das, was uns als katholische Kirche wichtig ist, an der persönlichen Lebenshaltung und -führung fest; insbesondere an Kontexten, die, wie man so schön sagt, den Mitarbeitern unter die Bettdecke schauen."
DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es einen neuen Entwurf dieses kirchlichen Arbeitsrechts. Sehen Sie maßgebliche Verbesserungen?
Schrage: Zunächst einmal vorweg: "OutInChurch" hat Enormes erreicht. Den Kolleginnen und Kollegen, die in vielen kirchlichen Einrichtungen arbeiten, muss man dafür von Herzen danken. Erstens, dass sie trotz dieser diskriminierenden Grundlagen der Kirche treu sind; dass sie in ihren Berufen die Werte und Haltungen der Kirche zum Ausdruck bringen.
Das ist auch der erste große Fortschritt: Diese Diskriminierungen sind in den neuen Entwurf raus. An dieser Stelle kann man aufatmen und sagen: Gott sei Dank, jetzt wird die Vielfalt anerkannt.
Aber der neue Entwurf schwingt noch im Alten, wie das bei Institutionen oft so ist. Plötzlich steht da wieder so ein Duktus von Zugehörigkeit. Man hat das Gefühl, es wird doch wieder an einigen Stellen exklusiver, uniformer: Der Kirchenaustritt wird im Entwurf so bewertet, dass Ausgetretene zur Mitarbeit in der Kirche vollkommen ungeeignet sind. Das Arbeitsrecht soll nun auch für alle Ehrenamtlichen verbindlich gemacht werden. Es schwingt so hin und her.
Deshalb hat die Caritas einen Diskussionsprozess angeregt, der nicht nur im Diözesancaritasverband Köln, sondern auch über die Kommission Caritasprofil der Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes stattfinden soll. Denn wir müssen über unser Selbstverständnis als Kirche in einer pluralen Gesellschaft intensiv diskutieren. Wir können das nicht den Juristinnen und Juristen überlassen. Selbstverständnis und Identität kann man nicht normieren. Das ist ein Prozess.
DOMRADIO.DE: Bei dem Vortrag mit Diskussion am Dienstag sprechen Sie dann mit Professor Ansgar Hense, dem Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands mit Sitz in Bonn. Womit rechnen Sie von seiner Seite?
Schrage: Darauf dürfen wir gespannt sein. Professor Hense würde das, was ich gerade gesagt habe, sicherlich in seiner süffisanten Art zu kommentieren wissen. Er ist ein Kenner der Materie, ist blitzgescheit und keineswegs unkritisch. Ich kann mir vorstellen, dass er sehr stark auf diese Normierungstendenzen von Identität eingehen und darüber sprechen wird, was das für Mitarbeitende bedeutet. Ich kann ihm nicht vorgreifen, glaube aber, dass es hoch spannend sein wird, ihn als kirchen- und staatskirchenrechtlichen Juristen dazu zu hören und seine Kritik an diesem Entwurf wahrzunehmen. Er wird sicherlich auch positiven Zeichen setzen.
Ich möchte zumindest zur Veranstaltung einladen, die Teil eines Gesamtforums, also einer Veranstaltungsreihe ist. Bei den weiteren Terminen haben wir den Bundesvorstand von ver.di, Frau Bühler, eingeladen. Wir haben Beteiligte des Entwurfsprozesses eingeladen und zum Schluss schauen wir mit Professor Hartmann aus Fulda aus pastoraltheologischer Sicht auf das neue Papier.
Der erste Termin ist am kommenden Dienstag, dem 21. Juni, und ich wünsche mir eine sehr lebhafte Diskussion um dieses fast "Grundgesetz" einer deutschen Kirche in der pluralen Gesellschaft. Darüber müssen wir diskutieren.
Das Interview führte Tobias Fricke.
Veranstaltungstipp der Redaktion: Das Online-Forum des DiCV: "Kirchliches Arbeitsrecht: Auf dem Prüfstand oder schon auf dem Abstellgleis?" am Dienstag, 21. Juni 2022 um 16:30 Uhr per Zoom.