DOMRADIO.DE: Seit dem Ukraine-Krieg und der starken Fluchtbewegung von dort zu uns hat sich das Problem der Ungleichbehandlung von Flüchtlingen verstärkt. Wie sehen Sie das?
Alice Rennert (Leiterin des Bereichs Integration beim Caritas-Verband für die Stadt Köln): Ja, absolut. Es zeigt natürlich, dass mit Inkraftsetzung der EU-Massenzustrom-Richtlinie Unterschiede gemacht werden. Die Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, haben einen direkten Zugang zu Sozialleistungen, Aufenthalt, Integrationsleistungen, Bildung und Arbeitsmarkt
DOMRADIO.DE: Massenzustrom-Richtlinie, was heißt das?
Rennert: Menschen aus bestimmten Gebieten erhalten direkten Zugang zu dieser Art Leistungen, die für Menschen aus anderen Gebieten, wo diese Richtlinie nicht greift, nicht gilt.
DOMRADIO.DE: Enormes Konfliktpotenzial gibt es angesichts der auseinanderdriftenden Umgangsweisen mit Geflüchteten in den Sammelunterkünften. Da treffen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen aufeinander. Haben Sie auch von diesen Konflikten erfahren?
Rennert: Wir sind Träger einer Notunterkunft mit rund 400 Bewohnenden und konnten diese Beobachtungen leider auch machen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, der Geflüchtete aus Afghanistan ärgert sich darüber, dass der Geflüchtete aus der Ukraine mehr Leistungen, mehr Rechte hat. Ist das so?
Rennert: Ganz so einfach kann man das nicht ausdrücken. Das steckt sicherlich auch dahinter. Aber man muss natürlich wirklich sagen, dass in so einer großen Unterkunft mit rund 400 Menschen unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Das Konfliktpotenzial ist an der Stelle auch nicht neu. Es sind nur weitere Aspekte hinzugekommen. Das ist sicherlich sehr differenziert zu betrachten.
Es gibt Gefühle der Bevorzugung, sicherlich auch des Neids und auch ein deutliches Erkennen der ungleichen Behandlung, ein Unverständnis dessen aber auch Vorurteile innerhalb der Gruppen der Geflüchteten. Von daher kommt da vieles zusammen und natürlich letztendlich auch vor allem das Gefühl von Resignation und Perspektivlosigkeit, das die Gruppen von Menschen haben, die keinen Zugang zu Bildung und Arbeit haben. Letztlich besteht auch die Angst vor der Abschiebung.
DOMRADIO.DE: Ist Personalmangel die Hauptursache für Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten? Wenn Menschen nicht ausreichend beraten werden oder bei Konflikten nicht ausreichend vermittelt wird?
Rennert: Eine Verbesserung des Personalschlüssel ist immer positiv zu bewerten. Ich halte das aber nicht für die einzige Lösung und damit auch mangelndes Personal an der Stelle nicht für den einzigen Grund.
Kulturen prallen wirklich aufeinander. Wo Menschen in einer so hohen Anzahl teils ohne jegliche Privatsphäre in großen Hallen miteinander untergebracht sind, entsteht Konfliktpotenzial. Das ist letztlich auch nicht mit mehr Personal zu bewältigen.
DOMRADIO.DE: Jetzt sagen Sie, die Geflüchteten benötigen den gleichen Zugang zu Sprach-, Integrationskursen und Arbeit. Welche Hürden gibt es, dass dieses Gleichgewicht nicht geschaffen werden kann?
Rennert: Die Menschen, die jetzt aus der Ukraine unter dieser EU-Massenzustrom-Richtlinie zu uns gekommen sind, haben diesen Zugang zu Sozialleistungen. Das ist ein von der EU gesetztes Recht, das prinzipiell Vorrang gegenüber nationalem Recht hat. Andere Geflüchtete fallen da leider nicht drunter. Dort müsste es dringend Anpassungen geben, um eben schneller zu ermöglichen, was einfach erforderlich ist, damit die Menschen eine Perspektive erhalten. Denn nur über Bildung und Arbeit kann Integration wirklich erfolgreich vonstattengehen.
Das Interview führte Tobias Fricke.