DOMRADIO.DE: Ein neues Reliquiar zum Berühren. Wie kann man sich das vorstellen?
Monsignore Robert Kleine (Kölner Stadt- und Domdechant): Wenn man den Schrein im Dom vor Augen hat, gibt es da ja den Chorumgang mit einem Gitter. Dort wird jetzt etwas befestigt. In einer geometrischen Form gibt es ein kleines Relief. Von der Größe her hat es ungefähr den Durchmesser eines kleinen Balles. Das können Sie anrühren und das ist auf Augenhöhe. Deshalb wurde auch schon mal "Begegnung mit den Heiligen Drei Königen auf Augenhöhe" gesagt.
Das klingt vielleicht etwas seltsam. Aber wenn wir uns andere Pilgerorte anschauen, gibt es da meistens ein Ziel, wo der Pilger sagen kann, das er wirklich angekommen ist. Er kann haptisch oder handfest etwas festmachen.
Wir kennen das in Santiago de Compostela. Da gibt es die Figur des Heiligen Jakobus, die man umarmen kann. Es gibt im Petersdom, obwohl es nichts mit Reliquien zu tun hat, die Figur des Heiligen Petrus, wo der Fuß schon ganz abgerieben ist.
Beim Dreikönigenschrein ist das so nicht möglich gewesen. Nun haben wir aber eine Möglichkeit geschaffen, sodass man auch da die Hand drauf legen kann und sagen kann: Jetzt bin ich auch hier bei den Heiligen Drei Königen oder bei der Verehrung.
Sie erinnern ja eigentlich daran, dass Gott Mensch geworden ist. Da kann man die Hand auf das Reliquiar legen und auch hier sagen, dass man am Ziel ist. Die Heiligen Drei Könige waren am Ziel, als sie Christus gefunden haben. Und auch wir wollen Christus im Leben suchen und finden.
DOMRADIO.DE: Die Form des neuen Reliquiars soll auch an einen Stern erinnern?
Kleine: Ja, genau. Christus ist ja selbst der Morgenstern. Die Heiligen Drei Könige sind dem Stern gefolgt, so heißt es im Matthäusevangelium. Es erinnert daran, dass wir uns auch immer wieder aufmachen. Das neue Reliquiar ist so angebracht, dass ich, wenn ich da stehe, auch den Blick auf den Hauptschrein habe.
Das Spannende an unserem Dreikönigenschrein ist ja, dass er gar nicht alles aus der Erzählung der Heiligen Drei Könige beschreibt. Die sind nur auf einer Seite zu sehen. Vorne links kommen sie, sehen Maria und das Kind und bringen ihre Gaben. Das andere ist eigentlich ein Christus-Schrein. Denn da ist zu sehen, wie Christus getauft wird, wie er gekreuzigt wird. Er ist der Auferstandene.
Die Heiligen Drei Könige im Matthäusevangelium verweisen auf Christus. Um den geht es. Wenn wir Reliquien haben, beten wir die nicht an. Wir beten keine Heiligen an, sondern sie sind Fingerzeige auf Christus. Dafür steht jetzt ab Sonntag auch dieses neue Reliquiar.
DOMRADIO.DE: Für viele moderne Menschen ist das trotz allem eine merkwürdige Vorstellung, dass da sterbliche Überreste, also Knochen drin liegen. Ist das jetzt tatsächlich in dem Reliquiar so?
Kleine: Die Knochen, die im Dreikönigenschrein liegen, wurden von der Kaiserin Helena als die Reliquien der Heiligen Drei Könige gefunden. Die wurden dann nach Konstantinopel gebracht, später nach Mailand und 1164 nach Köln. Anfang des 20. Jahrhunderts sind einige Reliquien aus dem großen Dreikönigenschrein in ein kleines Kästchen verbracht worden. Das liegt in der Domschatzkammer.
Aus diesem kleinen Kästchen mit einem kleinen Säckchen, in dem sterbliche Überreste, also Knochenreste sind, sind einige im Jahr 2020 herausgenommen worden. Da begann der ganze Prozess der Überlegungen für dieses Reliquiar. Die sind jetzt mit einer kleinen Urkunde gesiegelt in das neue Reliquiar gebracht worden, wie das mit Reliquien üblich ist.
DOMRADIO.DE: Aus welchem Material ist dieses Reliquiar, wenn so viele Menschen es demnächst berühren werden?
Kleine: Das Ganze ist aus Silber. Da wird es lange brauchen, bis es abgewetzt ist wie der Fuß des Heiligen Petrus. Es muss natürlich auch ein Material sein, das noch einmal zeigt, worum es geht. Deshalb ist es ein hochwertiges Material. Auf der Vorderseite sind ikonografisch drei Kronen für die Heiligen Drei Könige abgebildet. Man kann es dann eigentlich nicht übersehen.
Das Wichtige ist natürlich der Hauptschrein, den wir haben, aber es gibt jetzt eine Möglichkeit, dieses Reliquiar anzurühren. Das kann man einerseits, wenn man den Chorumgang geht, den man tagtäglich gehen kann, wenn der Dom geöffnet ist.
Aber es ist auch von der anderen Seite erreichbar. Wenn man zum Beispiel jetzt bei der Dreikönigswallfahrt den Dreikönigenschrein unterschreitet, kommt man dann auch an dem Reliquiar vorbei, nämlich auf der Rückseite – und kann es auch anrühren.
DOMRADIO.DE: Wir sprechen jetzt immer noch während der Corona-Pandemie. Da fragen sich viele bestimmt, ob sie das guten Gewissens machen können. Wie ist es mit der Hygiene bestellt? Überlassen Sie das der Eigenverantwortlichkeit?
Kleine: Ja, natürlich. Jeder ist ja selbst verantwortlich. Wir weisen immer darauf hin, dass man Abstände hält. Eigentlich geht es im Dom immer noch geregelter zu als auf einer großen Einkaufsstraße wie der Schildergasse. Wenn Sie sonst unterwegs sind, finden Sie natürlich immer noch auch Desinfektionsmittel. Meistens sind die aber auch leer. Für den Fall habe ich immer etwas dabei. Wer auf Hygiene achten möchte und vorsichtig ist, kann sich natürlich wie immer anschließend persönlich auch die Hände reinigen. Das ist sicherlich etwas, was jeder selber überlegen muss. Man kann auch nur vorbeigehen und es ansehen. Man muss es nicht berühren. Das ist kein Zwang.
Wichtig ist, dass man an die Geschichte der Heiligen Drei Königen oder auch, wie sie eigentlich heißen, der Weisen aus dem Morgenland denkt, die aufgebrochen sind und reich beschenkt wurden, als sie das Kind sahen, denn da wurden sie von großer Freude erfüllt. Das ist das, was ich den Menschen wünsche, die in den Dom kommen. Freude, die in der Kirche und der Gesellschaft manchmal etwas zu kurz kommt, nämlich eine Freude, die man auch dadurch bekommt, dass man anderen etwas schenkt. Zeit oder Solidarität zum Beispiel.
DOMRADIO.DE: Warum ist das so besonders, dass man das Reliquiar anfassen kann?
Kleine: Wir haben viele Erfahrungen gemacht. Eine Pilgergruppe aus Los Angeles kam erst kürzlich und fragte nach dem Schrein und ob sie näher herankönnen. Da muss ich dann "Nein" sagen, das ist so nicht möglich. Sie können aber dann demnächst diesen Weg gehen und dann auch das Reliquiar anfassen und auf diese Weise ankommen.
Wir sind Menschen, die mit allen Sinnen leben. Dazu gehört der Geruch. Im Gottesdienst haben wir da beispielsweise den Weihrauch. Dazu gehört aber auch das Sehen. Man denke an die Kerzen, das Gold und die Blumen. Dazu gehört auch das Hören, durch die Musik. Aber auch das Anfassen und das sensitive Ankommen: Hier bin ich jetzt.
Wenn die Leute am Dreikönigenschrein stehen, dann fassen die Leute zum Beispiel auch das Gitter an. Oder sogar vor dem Dom gibt es eine schöne Klinke mit einem Engel. Da packen die Leute alle darauf, weil sie irgendetwas anfassen wollen.
Wir kennen das auch sonst, dass die Leute irgendwo gerne etwas spüren. Das ist ein Zeichen für Realität, dass wir etwas anpacken wollen. Dazu denke ich, dient das Reliquiar. Es ist ein Angebot, sich daran zu erinnern, wofür die drei Könige stehen, nämlich dass unser Gott Mensch geworden ist.
Das Interview führte Hilde Regeniter.
Information: Zu sehen ist das neue Dreikönigsreliquiar erstmalig in der Eröffnungsmesse der Dreikönigswallfahrt am Sonntag, den 18.09.2022. Das Kapitelsamt zur Eröffnung der Dreikönigswallfahrt überträgt DOMRADIO.DE um 10 Uhr hier.