In den ersten Monaten nach der Flut hingen Reste von aufgeweichten Strohballen in den gut drei Meter hohen Baumkronen an der Lilienstraße in Euskirchen: "Daran konnte man sehen, wie hoch das Wasser gestiegen war", erzählte Dorothea Meyer damals im DOMRADIO.DE-Interview. Die Wassermassen hatten die Strohballen auf den umliegenden Feldern mit sich gerissen, danach waren die Büschel und Ballen in ganz Roitzheim verteilt gewesen. Roitzheim ist ein Stadtteil von Euskirchen, durch den die Erft gemächlich vor sich hin gurgelt. Aber in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 verwandelte sich der Bach in einen reißenden Strom.
Fast jeder in dem 1000-Einwohner-Dorf war danach betroffen: Autos, Geröllmassen und Häuser wurden mitgerissen. Dorothea Meyer versuchte in jener Nacht gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn den vollgelaufenen Keller ihres Hauses mit Eimern zu leeren – die Pumpen waren ausgefallen. Bis sie um 3 Uhr morgens aufgaben und sich in den ersten Stock flüchteten.
Spuren bis heute
Auch drei Jahre nach der Katastrophe sind die Spuren in Euskirchen noch offensichtlich: Ladenlokale sind nach wie vor geschlossen, Baulücken klaffen am Straßenrand. "Es wurde einiges geschafft, aber es gibt auch noch viel zu tun", sagt Maria Surges-Brilon, stellvertretende Vorsitzende des Caritas-Verbandes Euskirchen.
Die Caritas hatte unmittelbar nach den Überschwemmungen ein Fluthilfebüro errichtet, direkt neben der Kirche Herz Jesu in Euskirchen. Dort finden Menschen bis heute Unterstützung, wenn sie finanzielle Hilfen wollen oder sich mit ihrer Versicherung über Schadensbegleichung auseinandersetzen müssen. Es gibt aber auch psychosoziale Beratung und ganz praktische Hilfe, wie etwa der unbürokratische Verleih von Trockengeräten.
Über 4000 Menschen hatte die Caritas in Euskirchen allein im ersten Jahr mit Soforthilfen, Haushaltsbeihilfen und Zusatzunterstützung finanziell unterstützt. Mehrere Millionen Euro wurden ausgezahlt. Bis heute sorgten sich Betroffene um finanzielle Absicherung und eine Begleichung der Schäden, erzählt Surges-Brilon. Viele hätten sich für ihr neues Zuhause enorm verschulden müssen.
Die Not ist nicht verschwunden
"Die Not der Menschen ist immer noch da", stellt auch der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki fest, der sich an diesem Mittwoch ein Bild vom Wiederaufbau in Euskirchen gemacht hat. Bereits unmittelbar nach den Überschwemmungen hatte er die betroffenen Gebiete im Erzbistum Köln besucht, mit Betroffenen gesprochen und bei den Aufräumarbeiten mit angepackt.
"Es ist wichtig zu zeigen, dass die Menschen hier nicht vergessen sind und ich wollte schauen, was sich drei Jahre später getan hat, wie es den Menschen geht und welche Herausforderungen noch anstehen", sagt er. Viele Hilfen im Land NRW seien unkompliziert abrufbar gewesen, habe man ihm erzählt. Zugleich gebe es aber bis heute auch Auseinandersetzungen mit Versicherungen über die Frage, welche Schäden übernommen werden und welche nicht.
Traumatisiert bis heute
Tiefe Spuren hat die Flut auch auf den Seelen der Menschen hinterlassen, sagt Maria Surges-Brilon: "Wenn es Starkregen gibt, kommen die alten Ängste wieder." Immer frage man sich, wie schlimm es dieses Mal werde und ob man sich schützen könne. Jeden, der die Flut erlebt hat, betreffe das mehr oder weniger.
In den Jahren nach der Flut hat die Caritas auch psychosoziale Beratung angeboten. "Es gibt viele Menschen, die traumatisiert wurden und wirklich dringend psychotherapeutische Hilfe benötigen, um aus diesem Loch wieder rauszukommen." Es brauche eine Vielfalt von Hilfen, sagt sie.
Die Bilder von den jüngsten Überschwemmungen in Bayern haben auch noch mal verdeutlicht, die unmittelbare Nothilfe sei das eine, so der Kardinal: "Da ist sicher auch ganz viel guter Wille dabei. Aber die Jahre danach sind eben auch hart, deswegen war es für mich wichtig, hier nach Erftstadt zu kommen und zu zeigen: 'Ihr seid nicht vergessen und ich weiß, was ihr hier hinter euch habt.'" Und es gebe auch genügend Menschen, die einiges vor sich haben. Umso dankbarer sei er für die Hilfe, die die Caritas vor Ort geleistet hat und auch künftig leisten wird.
Wiederaufbau dauert lange
Dass Euskirchen so lange unter den Folgen der Fluten leiden würde, hatte auch die stellvertretende Vorsitzende des Caritas-Verbandes unterschätzt. "Ich erinnere mich an die ersten Begehungen in unseren betroffenen Einrichtungen, damals dachte ich: 'Okay, drei Monate oder ein halbes Jahr, dann können wir wieder loslegen.'"
Da habe man viel gelernt, sagt sie: "Sowohl was Schadensregulierung angeht, als auch was es mit den Menschen macht". Aber die Solidarität war groß und sie sei auch geblieben, sagt sie. Daraus seien Dorffeste entstanden, eine neue Nachbarschaftshilfe und ein Bewusstsein dafür, wie man sich schützt und reagiert, erzählt sie: "Und das hatten wir vorher nicht."